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Gideon Levy: Offener Antwortbrief an A. B. Yehoshua

Von Gideon Levy - Haaretz vom 18.01.2009

 

Lieber Bulli,

danke für den offenen Brief und Deine freundlichen WorteSiehe A.B. Yehoshua: An open letter to Gideon Levy .. Du schreibst, Du habest ihn aus einer Position des Respekts heraus verfasst. Auch ich respektiere Deine wunderbare literarische Arbeit sehr. Leider habe ich sehr viel weniger Respekt für Deine momentane politische Position. Es ist als hätten sich die Mächtigen, Dich eingeschlossen, einem großen Feuer unterworfen, das jeden Rest von moralischem Rückgrat verzehrt hat.

Auch Du, geschätzter Autor, bist der erbärmlichen Welle zum Opfer gefallen, die uns überschwemmt, betäubt, uns die Sicht genommen und unser Gehirn gewaschen hat. Du rechtfertigst tatsächlich den brutalsten Krieg, den Israel jemals geführt hat und gibst Dich so mit der Betrügerei zufrieden, "die Besatzung des Gazastreifens" sei "vorbei", rechtfertigst Massentötungen mit dem Heraufbeschwören solcher Ausreden wie: "Hamas mischt seine Kämpfer absichtlich unter die zivile Bevölkerung". Du beurteilst hier eine hilflose Bevölkerung, der weder eine Regierung noch eine Armee zugestanden wird - inklusive einer fundamentalistischen Bewegung, die mit unlauteren Mitteln für eine gerechte Sache kämpft, nämlich das Ende der Besatzung - in der selben Art und Weise, wie Du eine Regionalmacht beurteilst, die sich selbst als humanitär und demokratisch versteht, sich aber als grausamer, brutaler Eroberer gezeigt hat. Als Israeli kann ich nicht ihre Führung verurteilen, wenn gleichzeitig unsere Hände mit Blut bedeckt sind, ich will auch nicht Israel und die Palästinenser in der selben Art und Weise beurteilen, in der Du es getan hast.

Die Bewohner des Gazastreifens nannten nie ein "eigenes Stück Land" ihr Eigen, wie Du behauptest. Wir haben Gaza aus eigenen Beweggründen und Interessen verlassen, und dann haben wir sie eingesperrt. Wir haben dieses Gebiet vom Rest der Welt und von der Westbank abgeriegelt und ihnen nicht erlaubt einen See- oder Flughafen zu bauen. Wir kontrollieren ihr Einwohnerregister und ihre Währung - eine eigene Armee für sie kommt gar nicht in Frage - und da behauptest Du, die Besatzung sei vorbei? Wir haben ihnen den Lebensunterhalt verunmöglicht, sie zwei Jahre lang belagert, und Du meinst, sie hätten "die israelische Besatzung vertrieben"? Die Besatzung des Gazastreifens hat einfach eine neue Form angenommen: ein Zaun an Stelle von Siedlungen. Die Gefängniswärter stehen jetzt draußen anstatt drinnen.

Und: Nein, ich weiß nicht "sehr gut", dass wir nicht die Absicht haben, Kinder zu töten, wie Du schreibst. Wenn einer Panzer, Artillerie und Flugzeuge in ein so dicht besiedeltes Gebiet schickt, kann er nicht vermeiden, Kinder zu töten. Ich verstehe, die israelische Propaganda hat Dein Gewissen bereinigt, meines aber nicht, und nicht das eines großen Teils der Welt. Ergebnisse, nicht Absichten, zählen, - und die sind erschreckend. "Wenn Du wirklich vom Tode unserer und ihrer Kinder betroffen wärest", schreibst Du, "würdest Du den gegenwärtigen Krieg verstehen". Auch in den schlechtesten Passagen Deiner literarischen Arbeit, und es gibt davon sehr wenige, hast Du es nicht geschafft, ein moralisch so verdrehtes Argument heraufzubeschwören: dass das kriminelle Töten von Kindern aus Sorge um ihr Schicksal geschieht. "Jetzt schreibt er schon wieder über Kinder", musst Du Dir dieses Wochenende wohl gesagt haben, als ich wieder über das Töten von Kindern schrieb. Ja, es muss geschrieben werden. Es muss herausgeschrien werden. Um unser beider Willen.

Dieser Krieg ist Deiner Meinung nach "der einzige Weg, Hamas verstehen zu lassen". Sogar, wenn wir den herablassenden Ton Deiner Bemerkung außer Acht lassen, - ich hätte von einem Schriftsteller mehr erwartet. Ich hätte von einem bekannten Schriftsteller erwartet, dass er vertrauter wäre mit der Geschichte nationaler Aufstände: Man kann sie nicht gewaltsam niederringen. Trotz all der destruktiven Gewalt, die wir in diesem Krieg angewandt haben, kann ich nicht sehen, wo und wie die Palästinenser beeinflusst wurden; es werden immer noch Qassam-Raketen nach Israel gefeuert. Sie und die Welt haben ganz klar etwas aus den letzten Wochen ausgelassen - dass Israel ein gefährliches, gewalttätiges und skrupelloses Land ist. Möchtest Du in einem Land mit solch einer Reputation leben? Ein Land, das stolz verkündet, es sei "verrückt" geworden, wie manche Minister es im Hinblick auf die Militäroperation in Gaza formulierten? Ich nicht.

Du schreibst, Du seist immer besorgt um mich gewesen, weil ich "in solch feindselige Orte" reise. Diese Orte sind weniger feindselig als Du denkst, wenn man dort hinkommt mit nichts anderem bewaffnet als dem Willen, zuzuhören. Ich bin dort nicht hingegangen, um "die Geschichte der Leiden auf der anderen Seite zu erzählen", sondern, um über unsere Taten zu berichten. Das war immer die sehr israelische Basis meiner Arbeit.

Zum Schluss bittest Du mich, meine "Moral aufrechtzuerhalten". Ich möchte nicht mein Image bewahren, sondern das dieses Landes, das uns beiden gleich lieb ist.

In Freundschaft, trotz allem,

 

Quelle: Haaretz vom 18.01.2009. Originalartikel: Gideon Levy / An open response to A.B. Yehoshua . Übersetzt von: Gudrun Weichenhan-Mer.

Fußnoten

Veröffentlicht am

20. Januar 2009

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