Aktion “gegossenes Blei” - Aktion “vergossenes Blut” bis zum bitteren EndeVon Evelyn Hecht-Galinski - Rede bei Gaza-Demonstration am 17.1.2009 in Stuttgart Ich stehe hier in Solidarität mit dem palästinensischen Volk, speziell mit den in Gaza lebenden Menschen, welche unter einem unvorstellbaren Staatsterror leiden, der von Israel ausgeht - Israel als eine der größten Militärkräfte der Welt, eine Nuklearmacht, die behauptet in Selbstverteidigung handeln zu müssen. Diese falsche These wird auch vehement von unserer Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier und anderen deutschen Politikern vertreten. Anstatt Israel bedingungslos zu unterstützen und einseitig die Hamas als Schuldigen anzuklagen, sollte man auf direkte Verhandlungen auch mit der Hamas bestehen. Ich würde Frau Merkel nur zustimmen, Ursache und Wirkung nicht zu verwechseln: Ursache ist die vollständige Blockade, die Wirkung sind Kassam-Raketen. Weder Frau Merkel noch ich haben das moralische Recht, Personen, die nicht einmal minimale Menschenrechte genießen, zu kritisieren. Die Bewohner und Bewohnerinnen von Gaza - übrigens mehr als die Hälfte der Bevölkerung sind Kinder und Jugendliche - brauchen unsere moralische und aktive Unterstützung, damit sie ihre Freiheit gewinnen. Wir können nur von freien Menschen verlangen, dass sie sich an ethische Maßstäbe halten sollen. Im Dezember noch bot die Hamas Verhandlungen über die Bedingungen für die Neuvereinbarung eines Waffenstillstandes an und hatte sogar eine 10-jährige Laufzeit vorgeschlagen. Dieses Angebot wurde von der Regierung Israels, aber auch von den Mitgliedern des Nahostquartetts ignoriert. Die einseitige Sicht der Bundeskanzlerin und Anderer legitimierte letztlich den Bombenhagel auf Gaza und bestärkte das israelische Militär und die israelische Regierung, weiterhin Kriegsverbrechen und Staatsterror gegenüber der Zivilbevölkerung des Gazastreifens auszuüben. Nach der ersten Phase des Gazakrieges mit Luftangriffen und Bombardierung folgte die Bodenoffensive als zweite Phase. Die dritte Phase als Steigerung brachte die Zerstörung von Krankenhäusern mit Phosphorbomben. Auch schreckte man nicht vor Angriffen auf UNO-Gebäude und gekennzeichnete Konvois zurück. Ein Hochhaus in dem internationale Medien untergebracht waren wurde bombardiert. Dazu kam die gezielte Tötung des Innenministers der Hamas Regierung und nochmals 70 Tote in der Nacht zum Freitag. Das israelische Sicherheitskabinett stritt schon darüber, welche Ziele nach über 2.000 Abbombardierungen noch anvisiert werden könnten. Eine Waffenruhe oder ein Waffenstillstand ohne Aufhebung der Blockade und ohne Öffnung der Grenzübergänge, um die humanitäre Katastrophe abzumildern, sollte von der Weltgemeinschaft nicht unwidersprochen hingenommen werden. Es darf nicht zur Tagesordnung übergegangen werden, ohne dass eine unabhängige Untersuchung eine völkerrechtliche Bewertung dieses Angriffskrieges ermöglicht. Der Staat Israel sollte nicht mit Partnerschaftsabkommen mit der EU belohnt werden, sondern es sollten Druck und Sanktionen auferlegt werden, bis Besetzung, Blockade und Siedlungsbau aufhören und alle Siedlungen aufgelöst sind. Die andauernde Blockade, Strangulierung und Abriegelung muss beendet werden. Laut IV. Genfer Konvention ist Israel als Besatzer weiter verantwortlich für die Bewohner/Innen des Gazastreifens. Die Hamas, die klare Gewinnerin aus den palästinensischen Parlamentswahlen im Januar 2006, sollte, weil es den USA und Israel nicht genehm war, mit der aufgerüsteten Fatah ihres Sieges beraubt werden. Als die misslang und die Hamas die alleinige Kontrolle im Juli 2007 über Gaza übernahm, schlossen Israel und Ägypten daraufhin die Grenzen zum Gazastreifen. Im September 2007 erklärte Israel den Gazastreifen zum feindlichen Gebiet. Das Kabinett beschloss eine Kürzung der Strom- und Treibstofflieferung an die Zivilbevölkerung und ließ auch keine internationalen Hilfslieferungen mehr zu. Am 4. November 2008 - gerade in der Wahlnacht Obamas - kommt der erste gezielte israelische Militäreinsatz im Gazastreifen seit der Waffenruhe wegen eines 250 Meter langen Tunnels bis zum Grenzzaun. Sechs Palästinenser werden bei Gefechten ermordet. In den darauf folgenden Tagen werden nochmals 8 Palästinenser ermordet. Am 27. Dezember beginnt Israel, obwohl das Ultimatum erst am 28.12. abgelaufen wäre, mit der Operation "gegossenes Blei". Wer durchbrach die Waffenruhe? Diese Chronologie zeigt es deutlich auf: Israel. Die Mehrheit der Israelis ergötzt sich an den "Abbombardierungen" der Ziele im Gazastreifen, die schon seit Monaten vorbereitet worden sind, und befindet sich im Blutrausch oder pilgert auf die "Hügel der Schande" vor Sderot um hautnah mit der Presse auf Gaza zu schauen und Kassam-Raketen abzuwarten. Die Berichterstattung für alle Journalisten aus dem Gazastreifen, die von Israel unterbunden wird, muss sofort ermöglicht werden, damit die Welt sieht, was dort geschieht. Anstatt sich mit solidarischen Bekundungen mit dem Recht Israels auf Selbstverteidigung anzubiedern und damit grünes Licht für die unmenschlichen Luftschläge und andere Kriegstaten zu geben, sollten unsere Politiker, das EU-Quartett und die US-Regierung israelische Kriegshandlungen als das titulieren, was sie sind, nämlich: Menschenrechts verachtende und völkerrechtswidrige Handlungen gegenüber einer beinahe wehrlosen, besetzten und ausgehungerten Zivilbevölkerung. Nach den verständnisvollen Äußerungen von den USA fühlt sich Israel noch sicherer in seiner Kriegslüsternheit und erkennt die neueste UN-Resolution nicht an, wie alle andern auch schon. Olmert schreckte nicht einmal davor zurück, die noch amtierende amerikanische Regierung zu blamieren, indem er prahlte, dass er Präsident Bush ans Telefon holen ließ, um ein Veto oder eine Enthaltung für die Waffenstillstandsresolution zu fordern. Das zeigt, wer über die amerikanische Nahostpolitik entscheidet. Anders als bei der Finanzkrise, will sich der kommende Präsident Obama nicht äußern, solange Bush noch amtierender Präsident ist. Wurde der Zeitpunkt für diesen Krieg deshalb bewusst im Vakuum zwischen Bush und Obama gewählt? Liegt nicht der wahre Grund für diesen massiven und blutigsten Krieg seit 1967 in Israels Wahlkampf? Einer der übelsten Wahlkämpfe seit langem, in dem die israelischen Politiker nur ihre eigene Interessen vertreten und nur in einem vereint sind - im Hass gegenüber Palästinensern und Arabern, deren humanitäres Leid man nicht anerkennen will. Auch ich bedauere den Abschuss von Raketen gegenüber Zivilisten in Israel. Aber ist es nicht die unmenschliche Blockade und Totalabriegelung des größten und am dichtest besiedelten "Freiluftgefängnisses", die die Ausgehungerten und Verzweifelten als Folge des israelischen Staatsterrors zu diesen Raketen greifen lässt? Insgesamt ca. 3 Tote in diesem Krieg durch die Kassam-Raketen gegenüber mindestens 1.070 ermordeter und über 4.000 verletzter Palästinenser. Jeder Tote ist natürlich einer zu viel. Diese Toten hat aber vor allem die israelische Regierung zu verantworten, die die unmenschlichen Zustände gegen das palästinensische Volk angerichtet hat. Die angeblich "einzige Demokratie im Nahen Osten" behauptet immer wieder, kein Staat in der Welt würde den dauernden Beschuss eines Teils seines Landes dulden. Es gibt aber auch keinen Staat in der Welt, der ein Land seit 41 Jahren besetzt hält und dessen Volk seine grundlegendsten Rechte, Freiheit und Unabhängigkeit vorenthält. Die Besatzer, die diese Untaten gegen jedes Völkerrecht anrichten, gehören vor das Haager Kriegstribunal. Mein Aufschrei über diese Schandtaten soll alle demokratischen deutschen Bürger und Bürgerinnen wachrütteln und zum Protest ermutigen - und das nicht nur heute. Wie sagte J.F. Kennedy: "Ich bin ein Berliner." Ich sage: "Ich bin eine Palästinenserin." Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des früheren Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Heinz Galinski, ist Mitglied der
"Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost"
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