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Praxistest: Bulldozer gegen Teppichmesser

Die israelische Armee hat in Gaza die Theorie über den "asymmetrischen Krieg" vom Kopf auf die Füße gestellt

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Von Rudolf Walther

Vom Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz (1780-1831) stammt der Satz: "Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls." Kriegführende müssen immer mit Ungewissheiten und Unsicherheiten rechnen. Für weite Teile der Kriegsberichterstattung dagegen und für das begriffliche Raster, mit dessen Hilfe Kriege interpretiert werden, ist nichts zufällig, unsicher oder ungewiss. Hier herrschen bleierne Gewissheiten und robuste Interessen auf allen Seiten.

Ende der Staatenkriege

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kam die Phrase vom "Krieg gegen den Terrorismus" in Mode, obwohl jeder Leutnant auf der Offiziersschule lernt, dass man terroristischer Gewalt mit Armeen und Soldaten nicht beikommen kann ohne die Verletzung des Kriegs- und Völkerrechts. Vom Katheder herunter ersannen Professoren danach den Zwillingsbruder des "Krieges gegen den Terrorismus" - den "asymmetrischen Krieg".

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler verkündete das geschichtsphilosophische Gesetz vom Ende der Staatenkriege, wie sie seit 1648 völkerrechtlich normiert wurden, und vom Beginn "asymmetrischer Kriege" zwischen staatlichen Armeen auf der einen, Gruppen von Freischärlern, Terroristen, Warlords und Partisanen auf der anderen Seite. Angeblich leben wir jetzt in einer Epoche, in der einer Weltmacht mit "Teppichmessern" der Krieg erklärt werden kann. Münklers Buch Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie (2006) grundiert seither das Leitartikelwesen.

Und wie sahen die Realitäten auf dem Kriegsschauplatz im Gazastreifen aus? Auf der einen Seite Flugzeuge, Panzer, Bulldozer, schwere Artillerie, Präzisionswaffen, Nachtsichtgeräte - kurz, das ganze Arsenal einer modernen Armee, die in gut drei Wochen über 1. 300 zivile und bewaffnete Palästinenser getötet hat. Auf der anderen Seite Handfeuerwaffen, alte automatische Sturmgewehre, Handgranaten, selbst gefertigte Raketen mit 40 Kilometern Reichweite. Mit Tausenden dieser Raketen wurden in den vergangenen drei Jahren 16 israelische Zivilisten getötet.

Zu Beginn des Krieges meinte Die Zeit am 31. Dezember voreilig, aber in der Frage der Strategie korrekt: "Statt in die Falle des Straßenkrieges zu laufen, machen sich die Israelis eine ›asymmetrische Kriegsführung‹ zu eigen - mit Präzisions- und Abstandswaffen aus der Luft". Mittlerweile wurde der Krieg auch auf dem Boden geführt - und zwar so: "Die israelischen Trupps sind meist von einigen Bulldozern und Kampfpanzern angeführt. Die Bulldozer bahnen ihnen dabei einen Weg quer durch die Felder und Baumgärten, damit sie die möglicherweise verminten Feldwege und Straßen vermeiden können. Ähnlich bewegen sich die Soldaten in bewohnten Gebieten von Haus zu Haus, indem sie die Mauern durchbrechen. Sie verlassen sich bei diesen nächtlichen Operationen möglichst nur auf das Licht der eigenen Phosphorbomben und Leuchtraketen. Auf diese Weise können sie den Vorteil ihrer Nachtsichtgeräte nutzen, während sie für die Kämpfer nur schwer sichtbar sind", vermerkte die Neue Zürcher Zeitung am 15. Januar.

Vom Schreibtisch sieht der Krieg für den Poeten der Asymmetrie etwas anders aus. Münkler sieht in den Straßen- und Häuserkämpfen "eine tendenzielle Symmetrie zwischen israelischem Militär und Hamas-Kämpfern" (Frankfurter Rundschau am 15. Januar). Der eben noch behauptete "asymmetrische Krieg" wird also unter der Hand "tendenziell symmetrisch" - was nur belegt, dass der Begriff funktioniert wie ein Joker im Kartenspiel oder wie der Schlüsselstein in einer Doppelmühle. Mal symmetrisch, mal asymmetrisch - alles Jacke wie Hose.

Ödes Ping-Pong-Spiel

Seit über den Krieg nachgedacht und nicht nur akademisch schwadroniert wird - also seit dem Buch des chinesischen Philosophen Sun Tsi Über die Kriegskunst (etwa 500 v. u. Z.) bis zu Clausewitz´ Vom Kriege (1832) - beruhte die Kriegführung immer darauf, erstens Fehler und Schwächen des Gegners auszunutzen, und zweitens so schnell wie möglich die gleichen Waffen zu besitzen und anzuwenden wie der Gegner. Dieses Prinzip der Reziprozität ließ sich meistens nur mit zeitlicher Verzögerung oder gar nicht realisieren. In diesem strikten Sinne waren und sind Kriege prinzipiell so angelegt, wenigstens vorübergehend Asymmetrien herzustellen. Die Floskel taugt aber weder zur Unterscheidung von Kriegen und Kriegsstrategien noch zur Unterscheidung von Kriegen und terroristischen Gewaltakten oder Verbrechen, die man polizeilich und politisch bekämpfen kann, aber - nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit - nicht militärisch.

Der Krieg im Gazastreifen sah zunächst wie ein Krieg aus. Dass die Waffen zwischen der israelischen Armee und den Hamas-Formationen ungleich verteilt waren, ist eine Binsenwahrheit, die nicht aussagekräftiger wird, wenn man sie als "asymmetrisch" kostümiert. Die israelische Kriegführung aus der Luft wie auf dem Boden unterschied sich von derjenigen der Hamas einzig dadurch, dass sie viel effizienter war, wie die Opferzahlen und die materiellen Schäden belegen. Insofern zeigt das Urteil des Schriftstellers Amos Oz Züge von frei gewählter Blindheit: "Der systematische Beschuss der Zivilbevölkerung in israelischen Siedlungen ist ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschheit. (…) Israel ist ein Staat, die Hamas hingegen eine Verbrecherbande." Gideon Levy von der Zeitung Haaretz dagegen beschuldigte die israelische Armee, "Kriegsverbrechen zu begehen."

Das erscheint wie ein ödes Ping-Pong-Spiel mit gegenseitigen Vorwürfen nach dem Muster: "Du Verbrecher". "Selber Verbrecher!" Schon Clausewitz entzog diesem sterilen Spiel den Boden. Er hielt es für "höchst gefährlich", dass andere als Militärs über die Kriegsführung entscheiden. "Selten wird das zum tüchtigen Handeln führen. Frankreichs Beispiel, wo Carnot 1793, 1794 und 1795 die Kriegsangelegenheiten von Paris aus leitete, ist durchaus verwerflich, weil der Terrorismus nur revolutionären Regierungen zu Gebote steht." In Israel herrscht Wahlkampf und Politiker unterschiedlicher Statur steuern die Militärs aus der Ferne wie einst besagter Lazare Carnot (1753- 1823), der Schöpfer der Revolutionsarmee, der während der Jakobiner-Herrschaft 1793/94 in Robespierres Wohlfahrtsausschuss saß und für das Kriegswesen zuständig war.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 04 vom 23.01.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Rudolf Walther und des Verlags.

Veröffentlicht am

28. Januar 2009

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