Uri Avnery: Schmutzige SockenVon Uri Avnery "Ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte Nachricht für euch", sagt der Feldwebel im Witz zu seinen Leuten. "Die gute: Heute wechselt ihr eure Socken. Die schlechte: Ihr wechselt untereinander." Ich bin nicht der einzige, der durch diese Wahlen an den alten Witz aus der britischen Armee erinnert wird. Wir stehen einer armseligen Gruppe von Politikern gegenüber, die zum Teil verbrieft Mist gebaut haben, zum Teil noch überhaupt nichts erreicht haben. Wenn sie uns vor den Wahlen so gegenüber stehen, gibt es unter ihnen nicht wirklich Meinungsverschiedenheiten über irgendeine Sache von Belang. Keiner von den Haupt-Kandidaten bietet wirklich Lösungen für die grundlegenden Probleme an. Um da Unterschiede zu entdecken, müsste man schon mit einer starken Lupe hinsehen. Die instinktive Reaktion wäre: "Zum Teufel mit allen. Wir wählen einfach nicht!" Aber das ist eine kindische Reaktion. Wir können es uns nicht erlauben, nicht zu wählen, oder aus Trotz oder Protest. Wenn die Unterschiede auch winzig sind, so können sie doch wichtig sein. Also, Nase zu halten und wählen. Wenn’s sein muss, nehmen wir auch etwas gegen die Übelkeit. Wenn alle übel sind, nehmen wir das kleinere Übel. FÜR MICH ist das größere Übel Binjamin Netanyahu. Wenn er eine Stimme mehr bekommt als seine Rivalen, wird ihn der Präsident mit der Regierungsbildung beauftragen. Netanyahu hat sich schon zur Koalition mit der Partei von Avigdor Liberman verpflichtet, dem Nachfolger des Faschisten Meir Kahane, und auch mit Schass, die zur rechtsextremen Partei geworden ist. Vielleicht nimmt er auch noch die extreme "Nationale Union", und die Reste der national-religiösen Partei mit den Orthodoxen. Das wäre dann der Kern der Koalition: Eine rassistische rechtsgerichtete Regierung, die von vorne herein jede Möglichkeit eines Endes der Besatzung, die Errichtung eines palästinensischen Staates und den Abbau der Siedlungen ausschließt. Danach kann Netanyahu auch noch Kadima und die Arbeitspartei einladen, was aber eigentlich nichts mehr ändern wird. Er wird sie spottbillig bekommen, denn er kann ja auch ohne sie eine Regierung bilden. In solch einer Regierung werden sie nur als Feigenblatt fungieren, als Camouflage gegenüber den Amerikanern. Lasst uns nicht vergessen, wer mit Netanyahu gemeinsam an die Regierung kommt: Typen wie Livnat Limor, Benny Begin, Bogie Yaalon. Es gibt Leute, die mit einer machiavellischen Idee aufwarten: Lasst ruhig den Likud an die Macht kommen. So wird die Welt Israels wahres Gesicht sehen und es boykottieren. Die Regierung wird stürzen, und wir können von vorne anfangen. Tut mir leid, diese Wette ist mir zu riskant. Ich bin nicht bereit, um die Zukunft des Staates zu spielen. Um eine abgedroschene Formulierung zu benützen: Ich habe keinen anderen. Es gibt andere, die versuchen, uns so zu trösten: Netanyahu ist schwach. Wenn die Amerikaner ihn unter Druck setzen, gibt er nach. Letzten Endes wird er tun, was Obama ihm sagt. Da wäre ich mir nicht so sicher. Auch darum möchte ich nicht wetten. Seine Koalitionspartner werden nicht nachlassen. Für mich ist die erste Entscheidung: Auf keinen Fall Netanyahu. ZIPI LIVNI hat einen riesigen Vorteil: Sie ist nicht Bibi Netanyahu. Es scheint, als wäre das ihr einziger Vorteil. Im Moment ist sie - vielleicht, vielleicht - die einzige, die eine Koalition unter dem Likud verhindern kann. Viele glauben, dass das genügt, um sie zu wählen. Gibt es noch einen Grund? Schwer zu sagen. Sie hätte sich über all die trüben Gewässer erheben können und eine klare eindeutige Botschaft formulieren können: Friede mit dem palästinensischen Volk und mit der arabischen Welt. Das hätte sie sowohl von Netanyahu als auch von Barak unterschieden und sie zur Staatsfrau gemacht. Es hätte die Wahlen zum Volksentscheid über Krieg oder Frieden gemacht. Diese Gelegenheit hat sie versäumt. Wie alle anderen Kandidaten fürchtet sie sich vor dem Wort "Frieden". Wahrscheinlich haben ihre Ratgeber sie gewarnt, die Friedens-Aktien in der Börse der öffentlichen Meinung wären unterm Teppich. Wenn sie eine wirkliche Führungspersönlichkeit wäre, wenn ihr der Friede wirklich wichtig wäre, hätte sie auf solche Ratschläge gepfiffen und sich als Frau mit Prinzipien erhoben. Stattdessen gab sie sich Mühe, mehr Macho als alle anderen Machos an der Regierung zu sein. "Der einzige Mann in der Regierung". Sie bewegt Himmel und Erde gegen Gespräche mit Hamas. Sie war gegen eine zweiseitige, abgesprochene Feuerpause. Sie versuchte, Netanyahu und Liberman mit zügellosen nationalistischen Aussagen zu übertrumpfen. Das ist schlecht. Außerdem ist es dumm. Wer einen männlichen Mann haben will, wird keine Frau wählen. Wer einen grausamen Feldherrn möchte, wird keine Zivilistin wählen, die laut Ehud Barak "nie im Leben eine Waffe in er Hand hatte". Es war ein Führungs-Test, und Zipi ist durchgefallen. Tatsächlich, hie und da sprach sie auch vage über "zwei National-Staaten", aber in all ihren Jahren in der Regierung hat sie nicht den kleinsten Schritt in diese Richtung gemacht. Deshalb gibt es keinen Grund, sie zu wählen, außer diesem einen: Wenn sie eine Stimme mehr bekommt als Netanyahu, wird der Präsident sie mit der Bildung der Regierung beauftragen. Diese Regierung wird mit Sicherheit auch Netanyahu dabei haben, und wahrscheinlich auch Liberman. Trotzdem wäre sie verschieden von einer Regierung unter Netanyahu, wenn auch nicht sehr. Unter amerikanischem Druck könnte sie dabei sogar einen Schritt in Richtung Frieden gehen. ICH KANN NICHT Ehud Barak wählen. Auch wenn ich wollte. Meine Hand würde mir nicht gehorchen. Der unmenschliche Krieg in Gaza spiegelt Baraks Charakter wider. Er führte diesen Krieg als Teil seines Wahlkampfes. Als die Demonstranten in den Straßen Tel-Avivs riefen: "Mit dem Blut von kleinen Kindern / kauft man keine Wählerstimmen!", haben sie die Sache genau beim Namen genannt. Wie Netanyahu ist Barak mit Brief und Siegel durchgefallen. Als er 1999 zum Premierminister gewählt worden war, befand auch ich mich unter denen, die ihm auf dem Rabin-Platz zujubelten. Ein Jahr später war ich unter denen, die aufatmeten, als seine Regierung zusammenbrach. In seiner kurzen Zeit an der Macht, gelang es ihm, die Camp-David-Konferenz einzuberufen und zu sabotieren, so wie das giftige Lügen-Mantra zu verbreiten "Wir haben keinen Partner für den Frieden", die zweite Intifada zu verursachen und die Friedensbewegung von innen zu zerstören. Im Gegensatz zu Livni tut Barak nicht einmal so, als gäbe es für ihn eine Perspektive in Richtung Frieden. Er sieht vor sich eine Landschaft von kriegerischen Gebirgsketten, eine nach der anderen, bis über den Horizont hinaus. Es stimmt, dass, im Unterschied zu Kadima und Likud, auf der Liste der Arbeitspartei einige gute Leute stehen. Diese werden aber ohne Einfluss auf den Gang der Dinge bleiben. Es ist insgesamt eine Ein-Mann-Liste, und dieser Mann ist von Grund auf verdorben. Er hat es schon bewiesen. FÜR EINEN MOMENT schien es, als würde sich Merez in etwas Größeres verwandeln. Sie holte auf ihre Liste neue, sympathische Leute. Berühmte Schriftsteller empfahlen sie. Und dann passierte wieder, was schon in der Vergangenheit passiert war: Ein Krieg brach aus und Merez unterstützte ihn mit Begeisterung. Ihre drei literarischen Musketiere - Amos Oz, A.B. Yehoshua und David Grossman - überschlugen sich fast, um den Krieg gut zu heißen und zu loben, einer nach dem anderen. Genau so hatten sie es beim zweiten Libanon-Krieg getan. Zwar riefen die drei nach einigen Tagen - gemeinsam mit Merez und "Peace Now" - zum Stop des Angriffs auf. Dieser Aufruf beinhaltete keine Entschuldigung für den vorhergehenden. Ziemliche Chuzpe. Nachdem sie mitgeholfen haben, den Damm zu brechen, dachten sie wohl, sie könnten die Flut mit den Fingern halten. Nachdem sie aber diesen grausamen Krieg gut geheißen haben, hörte ihnen niemand mehr zu. Jede Frau, jedes Kind, die bis zum letzten Moment in diesem Krieg getötet wurden, soll auf ihr Gewissen drücken. Es wird natürlich solche geben, die sagen: Man wählt doch nicht, um zu strafen und zu rächen. Trotz dieses Verbrechens muss man Merez wählen, denn unter allen "zionistischen" Parteien ist sie das kleinere Übel. Sie spricht von Frieden und gesellschaftlicher Gerechtigkeit, und einige ihrer Vertreter, Shulamit Aloni und Yossi Sarid, waren gute Minister in der Regierung Rabin. Merez hat auch gute parlamentarische Gesetzes-Arbeit geleistet. EIN GANZ ANDERES Problem gibt es mit den so genannten "arabischen" Parteien. Eine davon ist die kommunistische Partei Hadash, die zu einem kleinen Teil auch jüdisch ist. Das Programm von Hadash ist dem des konsequenten Friedenslagers am nächsten. Es wird Leute geben, die sagen: Das genügt mir. Ich wähle nach meiner Überzeugung, ohne taktische Erwägungen. Hadash sollte auch für gute parlamentarische Arbeit gewürdigt werden. Das Problem der "arabischen" Parteien aber ist, dass es ihnen nicht gelungen ist, sich in der politischen Arena einen Platz zu sichern. Die ist in der Hand der "zionistischen" Listen geblieben ("zionistisch" heißt hier einfach "nicht arabisch"). Um bei der jüdischen Bevölkerung anzukommen, hätte Hadash an ihre Spitze, oder zumindest an zweiter Stelle, Dov Khenin setzen müssen, der bei den Stadtratwahlen in Tel Aviv als neuer Stern am Politik-Himmel entdeckt wurde. Sie hat es nicht getan, und so einen guten Teil der Stimmen verloren, die von Merez und Arbeiterpartei zu ihr gewandert wären. Der Einfluss der "arabischen" Parteien auf die israelische Politik ist nahe Null. Nur an einem Punkt wird er sichtbar: Am Tag nach den Wahlen wird die Frage gestellt: Schaffen es die Zentrum-links Parteien, von Kadima nach links, den Aufstieg der Rechten zu verhindern? In dieser Rechnung, und nur dort, werden die "arabischen" Parteien voll gezählt. DANN BLEIBT NOCH das Phänomen Avigdor Liberman. Liberman gründete eine Partei auf nichts als Rassimus. Seine Wahlkampagne dreht sich um die Forderung, "nicht-loyalen" Bürgern die israelische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Damit meint er die Araber, also 20 % der Bürger Israels. An jedem anderen Ort würde solch ein Programm faschistisch genannt, ohne Anführungszeichen. Es gibt in der gesamten westlichen Welt keine größere Partei, die es wagen würde, solch eine Forderung aufzustellen. Die Neo-Faschisten in der Schweiz und in Holland wollen Fremde hinauswerfen, nicht Staatsbürgern die Staatsbürgerschaft nehmen. Der Kern dieser Partei besteht aus Einwanderern der ehemaligen Sowjetunion. Viele von ihnen brachten eine gehörige Portion Verachtung für die Demokratie mit, die Sehnsucht nach einem starken Führer (von der Sorte Stalin oder Putin), Rassismus gegenüber Dunkelhäutigen und eine Neigung zu grausamen Kriegen, Beispiel Tschetschenien. Jetzt haben sich im Land geborene, junge Leute dazu gesellt, die durch den Krieg radikalisiert wurden. Als Jörg Haider ins österreichische Kabinett genommen wurde, zog Israel aus Protest seinen Botschafter aus Wien zurück. Im Vergleich zu Liberman war Haider allerdings noch liberal, ebenso Jean-Marie Le Pen. Netanyahu hat nun verkündet, Liberman würde ein "wichtiger Minister" in seiner Regierung, Livni deutete ähnliches an und auch Barak schloss solch eine Möglichkeit nicht aus. Es gibt optimistische Stimmen, die sagen, Liberman sei nur eine vorübergehende Kuriosität. In jedem israelischem Wahlkampf taucht aus einer momentanen Laune eine Mode-Partei auf, erreicht beachtliche Ergebnisse und verschwindet dann, als wär’ sie nie gewesen. So eine Partei war 1977 Dash, die auf der Welle "Systemänderung" ritt. Sie gewann 12,5 %, fiel auseinander und war bis zur nächsten Wahl verschwunden. Ebenso "Zomet" von Rafael Eitan, die auf einer Welle von Reinheit ohne Korruption ritt. Eine weitere Partei war "Shinui" (Veränderung), die auf der Welle des Hasses gegen Religiöse daherkam, um dann spurlos zu verschwinden. Bei den letzten Wahlen war es die Rentner-Liste, für die zigtausende von jungen Leuten spaßeshalber stimmten. Diesmal ist Liberman die Mode-Partei, die auf der Welle der primitiven Instinkte der Massen schwimmt, die im Gaza-Krieg hervorbrachen. Es gibt auch pessimistischere Stimmen, die sagen, der Faschismus sei in Israel zur Dauer-Erscheinung geworden. Die drei großen Parteien legitimieren ihn. Dieser Erscheinung muss Einhalt geboten werden, bevor es zu spät ist. ALSO, WIE soll ich kommenden Dienstag wählen? Ich werde mir eine Liste schreiben, die mit den Schlimmsten anfängt und beim geringsten Übel aufhört, und die wähle ich dann. Aus dem Englischen: Gudrun Weichenhan-Mer, vom Verfasser autorisiert
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