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Absturz: Der Staubsauger des Welthandels fällt aus

Der Kollaps der Exportmärkte wird den deutschen Arbeitsmarkt 2009 schwer in Mitleidenschaft ziehen, befürchtet der Politikwissenschaftler Elmar Altvater im Interview

 

Von Lutz Herden

Halten Sie den vorhergesagten Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um etwa sieben Prozent bis Ende 2009 für realistisch?

Elmar Altvater: Ich selbst verfüge über kein Institut, das ökonometrische Berechnungen anstellen kann. Ich vertraue in dieser Hinsicht den Wirtschaftsforschern, die über das nötige Instrumentarium verfügen. Nach allem, was man derzeit beobachten kann, ist wirklich damit zu rechnen, dass die Wirtschaftsleistung sehr stark zurückgeht, auch sieben Prozent sind möglich. Wenn für Japan und China die Exporte um 50 Prozent einbrechen, wenn sich für Deutschland möglicherweise ähnliche Größenordnungen abzeichnen, dann ist es nur folgerichtig, wenn das heftig auf die Gesamtwirtschaft durchschlägt.

Eine einmalige Situation, die es in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland so noch nicht gab.

Dieses Land hatte bis Ende der sechziger Jahre immer ein positives Wachstum, man sprach von einem Wirtschaftswunder, zeitversetzt gab es das auch in Lateinamerika oder den asiatischen Tigerländern, später in China und Indien. Man könnte auch sagen, diese Periode war die Ausnahme. Jetzt nähern wir uns wieder der Regel, zu der tiefe Einbrüche gehören. Die sind sehr viel tiefer als jemals zuvor in der Geschichte des Kapitalismus nach 1945. Das wird sich auch in einer entsprechenden Arbeitslosigkeit niederschlagen.

Zu Lasten der inneren Stabilität?

Auf jeden Fall muss mit erheblichen sozialen Konflikten gerechnet werden.

Ist der eklatante Absatzeinbruch auf den Exportmärkten vor allem mit dem Versiegen vieler Kreditströme zu erklären?

Das ist sicher ein Grund, aber nicht der einzige, vielleicht auch nicht der allerwichtigste. Der Einbruch ist entscheidend auf die Veränderung der Verteilung zurückzuführen: Die Profite sind ungeheuer angestiegen und die Masseneinkommen blieben weit dahinter zurück - und zwar überall. So haben wir es heute mit sehr viel mehr Milliardären zu tun als jemals zuvor in der Geschichte. Und die konsumieren halt nicht soviel. Millionen Arbeitnehmer mit geringem Einkommen können das nicht kompensieren, so dass damit Nachfrage in Größenordnungen ausfällt.

Hat nicht ebenso eine veränderte Produktionsweise Auswirkungen auf die Nachfrage, etwa bei Investitionsgütern?

Ja, man muss davon ausgehen, dass die hohen Renditen in der finanziellen Spekulation gewonnen worden sind und gleichzeitig die Rentabilität produktiver Investitionen teils rückläufig ist. Was von Marx als Fall der Profitrate analysiert wurde, trifft nach wie vor zu. Mit deren Fall schwindet natürlich auch die Nachfrage nach Investitionen, wovon die Märkte überall auf der Welt nicht verschont bleiben. Lassen Sie mich noch auf einen anderen Gesichtspunkt verweisen: In Heiligendamm waren beim G 8-Gipfel 2007 auch die strukturellen Ungleichgewichte in der Welt ein Thema. Schon damals galt, wenn diese Ungleichgewichte, besonders die enormen Defizite in den USA - sowohl im Haushalt als auch in der Leistungsbilanz - nicht verringert und wenn andererseits die Überschüsse in China, Japan und anderen Ländern, darunter auch Deutschland, nicht abgebaut werden, führt dies dazu, dass eine schwere Krise - ein Erdrutsch - der Regulator sein wird. 2007 war vollkommen klar: die USA würden über kurz oder lang als der große "Staubsauger" des Welthandels mit ihrem extremen Importüberschuss ausfallen, von dem ja auch die Bundesrepublik in der Form ihre Exportüberschusses profitiert hat.

Hätte man demnach viel eher dafür sorgen müssen, dass eine Nachfrage entsteht, die diese Ausfälle in Teilen kompensiert?

Leider hat man das nicht getan, die Einkommensverteilung hat die Renditen des Kapitals begünstigt - und ist daher zu Lasten der Löhne und Gehälter gegangen. Es hat keine Umverteilung in die andere Richtung gegeben im Jahr 2007, als die letzte Chance bestand, endlich umzusteuern. Das wird jetzt nachgeholt, aber die große Frage ist: Auf welchen Widerstand der Kapitalgruppen stößt das? Wir sind in einer Situation, in der das Bankendesaster als besonders gefährliches Krisensymptom dazu kommt, weil der Zusammenbruch des Finanzsystems droht, das - wie wir immer hören - systemische Bedeutung hat, so dass die riesigen Rettungspakete geschnürt werden.

Aber die sind kaum geeignet, etwas für die von Ihnen beklagte fehlende Nachfrage zu tun …

… absolut nicht, die dienen allein dazu, die Banken zu rekapitalisieren, weil die ihre eigenes Kapital verspekuliert haben. Oder es werden "Bank Banks" gegründet, um für gutes Geld faule Papiere zu übernehmen und einzulagern, mit denen man nichts mehr anfangen kann. Das sind keine Konjunkturprogramme, sondern Programme zur Stabilisierung des Finanzsektors, damit der nicht zusammenkracht, weil man befürchten muss - und das ist nicht ganz falsch -, dass die gesamtwirtschaftlichen Folgen eines solchen Crashs schwerwiegend sind. Es handelt sich also um einen klassischen Fall der Sozialisierung von Verlusten.

Wenn sich die Arbeitslosigkeit wieder über die Vier-Millionen-Grenze steigt - wie ist nach Ihrem Eindruck die Bundesagentur für Arbeit darauf vorbereitet?

Gar nicht. Die Agenda 2010 war geprägt vom Grundsatz Fordern und Fördern und von der Annahme, es gibt im Prinzip genügend Arbeitsplätze. Das erweist sich nun in der Krise als völlig falsch. Wir werden jetzt erleben, dass die Arbeitslosigkeit nicht nur wächst - sie wird eine weitere Prekarisierung der Arbeit mit sich bringen, wenn nicht schnell etwas dagegen getan wird, indem gesetzliche Mindestlöhne und eine Grundsicherung, finanziert aus Steuermitteln, eingeführt werden. Letztere muss sich an den Mindestlöhnen orientieren. Wenn das nicht geschieht, gibt es einen sozialen Absturz, nicht nur einen quantitativen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Was soll, was kann dagegen noch getan werden, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist weit fortgeschritten, die Konditionen für Arbeitssuchende sind schlechter denn je.

Ja, und zwar extrem. Die Flexibilisierung, so wie sie bislang durchgesetzt wurde, hat ja vor allem den Unternehmen genützt. Und das wird sich in der Krise erst recht nicht ändern, weil die Gewerkschaften durch den Zustand des Arbeitsmarktes, aber auch die ideologische Entwicklung und durch eigene Fehler in einer ziemlich schwachen Position sind. Daher sind öffentliche Aktionen, beispielsweise die europa-, ja sogar weltweiten Demonstrationen am 28. März so wichtig.

Das Gespräch führte Lutz Herden

Der Politikwissenschaftler und Buchautor Elmar Altvater war Mitglied der Enquête-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten (1999-2002) des Deutschen Bundestages. Heute arbeitet er für attac (Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat) und das Weltsozialforum.

 

Quelle: der FREITAG vom 26.03.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

27. März 2009

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