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Arundhati Roy: Die Stille um Sri Lanka

Von Arundhati Roy, 01.04.2009 - Boston Globe

Neu Delhi. DER HORROR, der sich in Sri Lanka entfaltet, wird möglich durch die Stille, die diesen Horror umgibt. In der internationalen Presse wird über die Geschehnisse so gut wie nicht berichtetSiehe ausführlichen Hintergrundbericht zum Thema Bürgerkrieg in Sri Lanka von Annie Kelly: Der Bürgerkrieg auf Sri Lanka: Traumatisierte Tamilen leben in Furcht vor neuer Offensive - auch in den Mainstream-Medien des Landes Indien nicht, in dem ich lebe. Aufgrund der wenigen Informationen, die durch den Filter dringen, scheint es, als nutze die Regierung Sri Lankas die Propaganda des "Kriegs gegen den Terror" als Feigenblatt, um alles, was auf Sri Lanka den Anschein von Demokratie erweckt, abzuschaffen und um unglaubliche Verbrechen gegen das tamilische Volk zu begehen.

Die Regierung arbeitet nach dem Prinzip: Jeder Tamile und jede Tamilin ist ein Terrorist oder eine Terroristin, bis er oder sie das Gegenteil beweisen kann. Zivile Orte, wie Krankenhäuser oder Schutzräume, werden bombardiert und zur Kriegszone gemacht. Verlässliche Schätzungen gehen von mehr als 200.000 Zivilisten aus, die in der Falle sitzen. Die Armee Sri Lankas rückt vor - bewaffnet mit Panzern und Flugzeugen.

Mittlerweile gibt es zudem Berichte über so genannte "Wohlfahrts-Dörfer", die eingerichtet wurden, um vertriebene Tamilen in den Provinzen Vavuniya und Mannar unterzubringen. Wie die Londoner Zeitung The Daily Telegraph berichtet, werden diese Dörfer "zu Zwangsaufnahmezentren für alle Zivilisten werden, die vor den Kämpfen fliehen". Ein Euphemismus für ‘Konzentrationslager’?

Mangala Samareweera war früher Außenminister Sri Lankas. Er sagte gegenüber dem Daily Telegraph: "Vor wenigen Monaten begann die Regierung, alle Tamilen in (der Hauptstadt) Colombo zu registrieren - mit der Begründung, sie könnten ein Sicherheitsrisiko darstellen -, aber das kann auch für andere Zwecke ausgenutzt werden, wie (damals) bei den Nazis, in den 30ern. Im Grunde werden sie die gesamte zivile tamilische Bevölkerung als potentielle Terroristen etikettieren".

Angesichts des von der Regierung genannten Zieles, die Befreiungstiger (Liberation Tigers of Tamil Eelan [LTTE]) "auszulöschen", scheint die bösartige Verschmelzung von ‘Zivilist’ und "Terrorist" zu signalisieren, dass die Regierung kurz vor etwas steht, das mit einem Genozid enden könnte. Laut Schätzungen der UNO sind bereits mehrere tausend Menschen getötet worden; weitere Tausende wurden lebensgefährlich verletzt.

Wir werden Zeugen eines frechen, offen rassistischen Krieges - besser gesagt wird das, was auf Sri Lanka geschieht, sehr effektiv vor der Öffentlichkeit verborgen. Die Straffreiheit, mit der die Regierung von Sri Lanka diese Verbrechen begehen kann, zeigt gerade jenes tief verwurzelte rassistische Vorurteil, das zu der Marginalisierung und Entfremdung der Tamilen auf Sri Lanka in erster Linie geführt hat. Dieser Rassismus hat eine lange Geschichte, zu der soziale Ausgrenzung, ökonomische Blockaden, Pogrome und Folter gehören. Hier liegen die Wurzeln der Brutalität des jahrzehntelangen Bürgerkrieges, der einst als friedlicher, gewaltloser Protest begann.

Warum diese Stille? In einem anderen Interview sagte Mangala Samaraweera: "In Sri Lanka gibt es heute praktisch keine freien Medien". Er beschreibt die Todesschwadronen und die "Entführungen mit weißen Vans". Dies habe dazu geführt, dass die Gesellschaft "vor Angst erstarrt" sei. Stimmen des Widerspruchs wurden entführt und ermordet. Die Internationale Föderation der Journalisten (The International Federation of Journalists) beschuldigt die Regierung Sri Lankas, mit einer Kombination aus Antiterrorgesetzen, Ermordungen und Entführungen Journalisten zum Schweigen zu bringen.

Laut unbestätigter Berichte stellt die Indische Regierung der Regierung Sri Lankas logistische Unterstützung und Material zur Verfügung. Falls dies stimmt, wäre es empörend. Und was ist mit den Regierungen anderer Länder? Mit Pakistan oder China? Was tun sie, um die Situation zu verschlimmern?

In (der indischen Provinz) Tamil Nadu hat der Krieg auf Sri Lanka die Leidenschaft der Menschen so angeheizt, dass es bereits zu zehn Selbsttötungen kam. Der öffentliche Zorn und die öffentliche Angst, die zum Teil genuin sind, zum Teil durch offensichtlich zynische politische Manipulation ausgelöst wurden, sind zum Wahlkampfthema geworden.

Sehr erstaunlich, dass das Problem inzwischen nicht in ganz Indien bekannt ist. Warum diese Stille?

Angesichts der Größenordnung der Geschehnisse auf Sri Lanka ist die Stille unentschuldbar. Hinzu kommt, dass die Indische Regierung sich seit langem in unverantwortlicher Weise in den Konflikt eingemischt hat. Einmal stand sie auf der einen, einmal auf der anderen Seite. Einige von uns hätten viel früher über diesen Krieg sprechen sollen. Sie taten es nicht, weil sie schlicht zu wenige Informationen über den Krieg hatten.

Während das Töten weitergeht, während Zehntausende in Internierungslager gesperrt werden und mehr als 200.000 andere zu verhungern drohen und während ein Genozid kurz bevorsteht, kommt aus dem großen Land Indien Totenstille. Die humanitäre Katastrophe ist kolossal. Die Welt muss einschreiten, jetzt, bevor es zu spät ist.

Arundhati Roy ist Autorin von Novellen wie ‘Der Gott der kleinen Dinge’. Sie lebt in Neu Delhi. In Kürze erscheint ihre neue Essay-Sammlung: ‘Field Notes on Democracy’. 

 

Quelle:  ZNet Deutschland vom 28.04.2009. Originalartikel: The silence surrounding Sri Lanka . Übersetzt von: Andrea Noll.

Fußnoten

Veröffentlicht am

29. April 2009

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