Obama und das Dilemma in SomaliaVon Bill Fletcher Jr., 19.04.2009 - BlackCommentator.com / ZNet Durch die Debatte um den Piratenangriff auf ein US-Schiff vor der Küste Somalias gerät ein weit wesentlicherer Punkt in der Diskussion um das Horn von Afrika möglicherweise aus dem Blickfeld. In der Washington Post vom 11. April sprach die Obama-Administration davon, möglicherweise eine Militäraktion gegen eine rechtsgerichtete islamistische Gruppe, bekannt als "Al-Shabab", durchzuführen. Al-Shabab begann als Militärflügel der Union of Islamic Courts (UIC). Diese Bewegung beherrschte und stabilisierte im Jahr 2006 einen Großteil Somalias. Schon zuvor hatte die Bewegung in einigen Teilen Somalias regiert. Ende 2006 marschierte Äthiopien in Somalia ein. Hinter dem Plan standen die USA. Schnell überrannten die Äthiopier die UIC-Stellungen und verjagten die UIC von der Macht. Eine Übergangsregierung ohne Wurzeln wurde installiert. Die UIC startete einen tödlichen Guerilla-Krieg gegen diese Übergangsregierung (TNG) und deren äthiopische Verbündete. Die Militäreinheit Al-Shabab war eines der Instrumente dieser Kampagne. Nach einiger Zeit kam es zum Streit zwischen der UIC und Al-Shabab. Heute ist Al-Shabab eine weitgehend unabhängige Organisation. Als Vorwand für den Einmarsch der Äthiopier wurde behauptet, die UIC unterhalte Beziehungen zur Al-Kaida. Derartige Verbindungen konnten nie nachgewiesen werden. Doch die Bush-Administration nutzte die Vorwürfe als Begründung für die amerikanische Unterstützung der Invasion und um Militäraktionen gegen die UIC und angebliche Al-Kaida-Stellungen durchzuführen, nachdem der Einmarsch der Äthiopier erfolgt war. Ende 2008 zog sich Äthiopien weitgehend aus Somalia zurück. Es war den Äthiopiern zu keiner Zeit gelungen, die Situation in Somalia zu stabilisieren. Gleichzeitig hatten sich die Äthiopier sämtliche Somalier zu Feinden gemacht. In dieser höchst instabilen Situation trat Al-Shabab auf - als eine um die Macht ringende, innere Kraft. Teile der Obama-Administration und des US-Militärs sind der Überzeugung, Al-Shabab unterhalte Beziehungen zu Al-Kaida und sollte daher von den USA militärisch angegriffen werden. Andere in der Administration raten zur Vorsicht. Die Ziele von Al-Shabab konzentrierten sich auf Somalia, die Verbindung zu Al-Kaida sei bestenfalls dubios. Somalia befindet sich im Chaos - in vielerlei Hinsicht - und wieder einmal wurde dieses Chaos von der amerikanischen Außenpolitik herbeigeführt. Siad Barre bzw. dessen diktatorisches Regime (der Diktator wurde 1991 gestürzt), war einer der Hauptverbündeten der USA. Doch die ursprünglichen Reformpläne des Barre-Regimes wurden abgelehnt - darauf lassen sämtliche Beweise schließen. Nach dem Ende des Regimes - in der Zeit der Warlords - mischten sich die USA erneut ein und scheiterten; die USA wollten zudem nichts mit den ernsthaften Anstrengungen der Somalis, ihr Land wiederaufzubauen, zu tun haben. Die USA und der Rest des globalen Nordens ließen es getrost zu, dass Somalia ins zivile Chaos abdriftete. So war die Situation während der meisten Zeit in den 90ern und Anfang 2000. Als das Land endlich wieder stabiler wurde, gelangten die USA - unter Bush - zu der Überzeugung, die UIC sei inakzeptabel und müsse gestürzt werden. So wurde Somalia erneut ins Chaos gestürzt. US-Militärschläge gegen Al-Shabab würden die Situation weiter anheizen - falls sie überhaupt etwas bewirken könnten. Man bedenke, was sich momentan in Pakistan abspielt. Die USA führen Militärschläge gegen angebliche Terroristenbasen IN Pakistan durch, wobei meist zivile Opfer zu beklagen sind. Auf diese Weise wird nicht nur Feindschaft gegen die USA gesät, sondern auch eine weitere Destabilisierung der politischen Situation im fragilen Pakistan erzeugt. Anstatt die pakistanische Regierung zu unterstützen, fällt Amerika, durch seine Militärangriffe, dieser Regierung diskreditierend in den Rücken. Falls die USA Somalia angreifen, beantwortet das alle Fragen nach der Zielsetzung der USA - zumindest aus der Sicht des somalischen Volkes. Es gibt keine Beweise, dass Al-Shabab beabsichtigt, mit seinen Aktionen Amerika anzugreifen. Daher würden amerikanische Militäraktionen gegen Al-Shabab zurecht als Akte unprovozierter Gewalt gewertet werden. Bevor es zum Einmarsch Äthiopiens (mit Rückendeckung der USA) in Somalia kam, hatte die UIC versucht, die Bush-Administration davon zu überzeugen, dass sie keine feindlichen Beziehungen zu den USA anstrebe. Bush ignorierte das Angebot und zog buchstäblich am Abzug (des Gewehrs). Bleibt die Frage, wie die Regierung Obama verfahren wird: Wird sie den einfachen Weg gehen, ihre Augen verschließen und den Abzug bedienen? Die Alternative wäre, anzuerkennen, dass der Rahmen des so genannten "Kriegs gegen den Terror" nichts weiter ist als eine Brille mit kaputten Gläsern, durch die niemand die Realität erkennen kann, nur Fragmente. Obama hat nur eine Chance, die Dinge zu korrigieren. Eine übereilte Reaktion würde sehr wahrscheinlich neue Feinde schaffen - von der Sorte, die Amerika so fürchtet - ganz zu schweigen von einer Destabilisierung der Region. Bill Fletcher Jr. ist Leitender Redakteur der Seite BlackCommentator.com. Er ist Senior Scholar des Institute for Policy Studies. Fletcher war bis vor kurzem Präsident des TransAfrica Forum.
Quelle: ZNet Deutschland vom 06.05.2009. Originalartikel: Obama and the Somalia Dilemma . Übersetzt von: Andrea Noll. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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