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Droht ein Krieg um Atomwaffen in Nahost?

Nur durch nukleare Abrüstung kann der Atomstreit im Nahen Osten beigelegt werden

 

Von Wolfgang Kötter

Nach einer langen Dürreperiode für die Abrüstung keimte wieder ein Hoffnungsgrün auf der soeben in New York zu Ende gegangenen Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Es herrschte eine kooperative Atmosphäre lobten die Teilnehmer, wenn auch konkrete Ergebnisse noch ausblieben. Dennoch regt sich vage Hoffnung, dass der für die internationale Sicherheit so lebenswichtige Vertrag vielleicht doch noch zu retten ist. Immerhin versprachen die fünf offiziellen Atomwaffenmächte, "beständig und eindeutig" für die nukleare Abrüstung zu wirken.

Zum verhaltenen Optimismus hat nicht zuletzt die aufgeschlossene Haltung der USA und Russlands beigetragen. Mit Genugtuung vermerkten die übrigen Staaten, dass die Präsidenten Medwedjew und Obama beim ersten Gipfeltreffen ihre vertragliche Abrüstungsverpflichtung anerkannt haben und beabsichtigen, als Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt die Atomwaffenarsenale radikal zu reduzieren. Denn wenn es gelingen soll, die drohende Flut von 20 bis 30 weiteren Atomwaffenstaaten zu stoppen, dann müssen die bestehenden Nuklearmächte mit der atomaren Abrüstung endlich ernst machen.

Das gilt insbesondere auch für die explosive Situation in Nahost, wo ganz offen mit Krieg gedroht wird. Israel sei zu einem Luftangriff auf den Iran bereit, berichtet die britische Times Israel stands ready to bomb Iran’s nuclear sites , in: Times vom 18.04.2009. . Israelische Medien melden derweil, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe sich mehrmals mit hochrangigen Militärs getroffen und sei "freudig überrascht" gewesen, wie weit die Vorbereitung eines Angriffs gegen iranische Militärobjekte fortgeschritten sei. Auf der anderen Seite gibt sich Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad unbeeindruckt. Zu Spekulationen über einen möglichen israelischen Luftangriff auf sein Land meint er: "Angesichts der militärischen Stärke Irans würde sich kein Land mehr trauen, den Iran auch nur zu bedrohen." Der Oberbefehlshaber der iranischen Armee Ataollah Salihi meint gar: "Sollten wir einem Angriff unterworfen werden, glaube ich nicht, dass wir mehr als elf Tage benötigen, die Existenz Israels auszulöschen." "Zerstörung in elf Tagen". Iran bedroht Israel , in: n-tv.de vom 03.05.2009. Doch wie real ist die Gefahr eines Krieges um Atomwaffen im Nahen Osten wirklich?

Atomwaffenbesitz bestätigt

Zwar ist die Existenz von israelischen Nuklearwaffen schon lange kein Geheimnis mehr, trotzdem hat die Regierung den Besitz nie offiziell zugegeben, aber auch nicht verneint. Als Außenminister bestätigte Schimon Peres den Atomwaffenbesitz sogar einmal in einem Fernsehdokumentarfilm, als er über die Zusammenarbeit mit Frankreich in den 50er Jahren sprach. Olmerts Atomwaffen-Anspielungen sorgen für Empörung in Israel , in: SPIEGEL-Online vom 12.12.2006. Frankreich hätte Israel bei seinem Atomwaffenprogramm geholfen und dafür militärische Unterstützung im Suez-Krieg bekommen. Während eines Deutschland-Besuchs im Dezember 2006 nannte der damalige Premier Ehud Olmert in einem Fernsehinterview Israel in einem Atemzug mit den Atommächten USA, Frankreich und Russland und erweckte damit den Eindruck, er bestätige indirekt einen Kernwaffenbesitz. Für einen Paukenschlag aber sorgte US-Vertreterin Rose Gottemoeller jetzt auf der New York Konferenz. Indem sie Israel in einem Atemzug mit Indien, Pakistan und Nordkorea aufforderte, dem Kernwaffensperrvertrag beizutreten, bestätigte Washington erstmals öffentlich die Existenz israelischer Atomwaffen. Statement by Rose Gottemoeller , in der UN am 03.05.2009. Das Echo aus Jerusalem war ein erschrockener Aufschrei. Dies sei eine "äußerst besorgniserregenden Entwicklung", beklagte der einstige Chefstratege von Expremier Ariel Scharon Dov Weissglas, die die Sicherheit Israels langfristig gefährden könne. Die USA, so meinte die Washington Times tags darauf, zeige sich "vorbereitet, ein 40 Jahre altes Geheimabkommen, durch das Israels Nuklearwaffen vor internationaler Kontrolle abgeschirmt wurde, zum Entgleisen zu bringen." Bislang konnte sich Jerusalem darauf verlassen, dass Washington die Kontrolle seiner Atomwaffenbestände verhindert. In einem Geheimabkommen sollen Premierministerin Golda Meir und US-Präsident Richard Nixon 1969 vereinbart haben, dass sich Israel verpflichtet, keine Nukleartests durchzuführen. Die USA würden im Gegenzug darauf verzichten, Israel zum Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag zu drängen.

Seit der Staatsgründung vor gut einem halben Jahrhundert herrscht in Israel die Bedrohungsangst, es würde mit seiner Bevölkerung von 6 Millionen den über 200 Millionen Arabern und Moslems in der Region unterliegen. Aus israelischer Sicht war die nukleare Abschreckung wegen der fehlenden strategischen Tiefe des Landes und seiner geringen Bevölkerungszahl die einzige Möglichkeit, die eigene Existenz dauerhaft zu sichern. Das demographische und territoriale Ungleichgewicht sollte mit eigenen Atomwaffen kompensiert werden. Damit aber setzte Israel, wie der Politologe Mohssen Massarrat von der Universität Osnabrück einschätzt, "gewollt oder ungewollt eine Eskalation nuklearen Wettrüstens in der Region erst in Gang." Einen weiteren Atomwaffenstaat in der Region will Jerusalem um keinen Preis dulden. Bereits zwei Mal bombardierte die israelische Luftwaffe deshalb Nuklearkomplexe im Irak bzw. in Syrien. Für einen angedrohten Militärschlag im Iran kämen mehr als ein Dutzend Ziele in Betracht, darunter die Atomanlagen in Natanz, Isfahan und Arak.

Schurke oder Unschuldslamm?

Was den Iran betrifft, so ist die Lage unübersichtlicher. Die internationale Atomenergieagentur IAEA kam nach zahlreichen Überprüfungen zu zwiespältigen Schlussfolgerungen. In Focus : IAEA and Iran . Einerseits hat der Iran jahrelang heimlich Forschungsarbeiten an der Anreicherungstechnik betrieben, statt sie wie gefordert der IAEA zu melden. Außerdem fanden Inspektoren in Gas-Ultra-Zentrifugen Spuren hoch angereicherten Urans. Die iranische Seite erklärte die Uranreste mit Verunreinigungen importierter Elemente und versicherte, selber niemals hochgradig angereichertes Uran produziert zu haben. Die Bauteile stammen nach Ansicht von Experten zwar vermutlich aus Pakistan. Trotzdem hat der Fund waffenfähigen Urans weltweites Misstrauen erzeugt. Die IAEA kritisiert: "Der Iran hat nicht alle notwendigen Informationen geliefert und der Agentur auch den Zugang zu Dokumenten und zu Personen verwehrt." Andererseits hätten die Inspektoren aber "keine Beweise dafür gefunden", dass Iran "gegenwärtig versucht, sein Nuklearprogramm für militärische Zwecke zu nutzen". Ahmadinedschad gab kürzlich bekannt, dass sein Land inzwischen die Technik für den gesamten nuklearen Kreislauf beherrscht, von der Urananreicherung bis zur Herstellung von Brennstäben. Als nächsten Schritt werde man ganze Atomkraftwerke ohne Hilfe aus dem Ausland bauen. Nach Informationen der IAEA arbeiten derzeit 5.500 Anreicherungszentrifugen auf Hochtouren. Expertenschätzungen zufolge produzieren sie genug Material, um jährlich zwei Atombomben herzustellen. In ein bis zwei Jahren könnte Iran dann soweit sein und eigene Atomwaffen produzieren. Außerdem arbeitet das Militär an einem Raketenprogramm. Die bereits getestete Schahab-3-Rakete hat eine Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern und kann somit auch Israel erreichen.

Sicherheit kann nicht erbombt werden

Beide Seiten rasseln zurzeit mit dem Säbel und demonstrieren in martialischen Manövern militärische Stärke. Israel hatte nach einem Bericht der New York Times bereits Mitte vergangenen Jahres bei einer Großübung im Mittelmeer das Auftanken von Kampfflugzeugen für einen Luftangriff auf den Iran geprobt. Anfang Januar sollen israelische Kampfflugzeuge einen für militante Palästinenser im Gazastreifen bestimmten Waffentransport im Sudan angegriffen und zerstört haben. U.S. Officials Say Israel Struck in Sudan , in: New York Times vom 26.03.2009. Das Angriffsziel lag mit rund 1.200 km etwa soweit von Israel entfernt wie die Atomanlagen im Iran. Für den Fall, dass israelische Bomben auf iranische Atomanlagen fallen, so tönt es aus Teheran, ständen tausende Antwortraketen zum sofortigen Gegenschlag auf Jerusalem, Tel Aviv und die atomare Waffenschmiede Dimona bereit. Die israelische Luftwaffe hat kürzlich drei AWACS-Radarflugzeuge bekommen und erfolgreich ein Raketenabwehrsystem getestet, mit dem aus dem Iran abgefeuerte Raketen vor dem Einschlag in Israel in der Luft zerstört werden sollen. Unter dem Codenamen "Juniper Cobra" sind weitere Raketenabwehrübungen gemeinsam mit den USA geplant. Mögen die gegenseitigen Drohungen auch zu einem guten Teil propagandistische Ziele verfolgen, so ist das doch eine höchstgefährliche Politik, denn sie könnte eskalieren und ein Krieg würde die gesamte Region in ein Flammenmeer verwandeln.

Neue Wege gehen

Der Generaldirektor der IAEA El Baradei hält die bisherige Iranpolitik für verfehlt, sie habe vielmehr kontraproduktive Wirkung. Der IAEA-Chef ist überzeugt, dass es angesichts der von den iranischen Technikern inzwischen erworbenen Fähigkeiten zu spät sei, Teheran zur völligen Aufgabe der Urananreicherung zu bewegen. Ausdrücklich warnt er vor einer erneuten Militäraktion: "Jeder Einsatz von Gewalt wäre Wahnsinn!" Stattdessen gehe es darum, sicherzustellen, dass der Iran nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag austritt. Teheran könne nur mit einem umfassenden Dialog von der Entwicklung eigener Atomwaffen abgebracht werden. Eine wichtige Erfahrung laute: "Wir können uns Sicherheit nicht erbomben." Auch US-Außenministerin Hillary Clinton hat den von der Bush-Administration verfolgten Kurs, den Iran international zu isolieren, für gescheitert erklärt. Die Regierung von Präsident Barack Obama will nun einen neuen Ansatz verfolgen, in dem sie auch einen direkten Dialog mit Teheran beginnt. "Nach Jahren, in denen die USA weitgehend am Rande standen, sind wir jetzt ein vollständiger Partner bei den internationalen Gesprächen über den Iran", so Clinton.

Irans Präsident hat seinerseits ein neues Angebotspaket für die Atomgespräche angekündigt. Vielleicht bietet sich nun wirklich eine Chance, neue Wege zu gehen. Möglicherweise könnte die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in Nahost einen Ausweg aus der hochexplosiven Situation zeigen. Erfolgreich werden die Bemühungen jedoch nur sein, wenn sie den sicherheitspolitischen Gesamtkontext der Region berücksichtigen und wenn die Atomwaffenmächte mit gutem Beispiel bei der nuklearen Abrüstung vorangehen.

Fußnoten

Veröffentlicht am

01. Juni 2009

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