Pessimismus ist der Luxus der ReichenVon Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 61 vom Juni 2009 Der gesamte Rundbrief Nr. 61 kann hier heruntergeladen werden PDF-Datei , 618 KB.)
ein wunderbares Frühjahr ist das jetzt mit blühenden Blumen, saftig-grünen Bäumen, oft azurblauem Himmel und herrlichem Sonnenschein. Die Natur scheint nichts einzubüßen von ihrer urwüchsigen Kraft. Einfach herrlich! Wenn da die Lebenssinne nicht wieder aufleben… Doch da war doch auch noch etwas anderes? Erst die Umweltkrise, dann die Finanzkrise, jetzt die Wirtschaftskrise. Alles vorbei? Nein, gewiss nicht. Das Schlimmste kommt erst noch, ist "man" geneigt zu sagen. Sieben fette Jahre sind vorbeiBereits vor der aktuellen Wirtschaftskrise war klar, dass die "sieben fetten Jahre" auch im reichen Norden unseres Globus vorbei sind. Im Süden gab es ja ohnehin nie so etwas wie "fette Jahre". Es hat sich lange abgezeichnet, dass die Zukunft für die Kinder und die Jungen zum brutalen Wettkampf um Arbeitsplätze wird, anhaltenden Stress und ein ungesichertes Alter bedeutet. Die alten Menschen haben oft kein glückliches, zufriedenes Lebensende im Kreise lieber Menschen vor sich, sondern sie vegetieren einsam in Alters- und Pflegeheimen dahin. Zwar waren die USA und Europa bisher immer noch diejenigen, die von der neoliberalen Globalisierung hauptsächlich profitierten, dennoch hat hier zunehmend die Volkskrankheit Depression um sich gegriffen. Viele Menschen, durchaus auch erfolgreiche, fühlen sich hilflos. Selbst diejenigen unter ihnen, die sich bisher mutig für eine andere, bessere Welt eingesetzt haben, stehen in Gefahr zu resignieren. Sie erkennen, dass die Großkonzerne trotz Arbeitslosigkeit, wachsender Armut und Ungerechtigkeit im Süden wie im Norden sowie der Klimakatastrophe weitermachen mit ihrer Politik des Globalisierens, Liberalisierens und Privatisierens. Und mit der Verwandlung aller Dinge in Waren. In der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise ist keine wirkliche Kursänderung in Sicht. Die politisch Verantwortlichen versuchen hektisch, "systemrelevante" Banken und Unternehmen unter Einsatz astronomischer Finanzmittel zu retten. Das für den Klimaschutz notwendige Geld wird nun für unsinnige "Abwrackprämien" und dergleichen verschleudert. Als einziger Wunsch scheint bei der Politik weiter zu gelten: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Und die Banker zocken wieder, Ackermann von der Deutschen Bank fordert abermals frech eine Rendite von 25 Prozent! Woher aber nimmt unser Staat jetzt all die unglaublichen Summen für die "Krisenbewältigung"? Ständig wurde gejammert, dass kein Geld mehr vorhanden sei. Umfangreiche Sozialkürzungen wurden vorgenommen, um den Staatshaushalt zu stabilisieren. Hartz-IV ist eingeführt worden, weil angeblich die Kassen leer seien. Warum werden nun ganz selbstverständlich wir Steuerzahler zur Kasse gebeten und nicht als erstes diejenigen, die an den Spekulationen verdient und ungeheure Gewinne "privatisiert" haben? Zu befürchten ist, dass die jetzt eingeschlagene Art von staatlicher "Krisenbewältigung" zwangsläufig zu weiterem Sozialabbau, weiterer Bildungsmisere und Armut führen wird. Chancen in der KriseKrisen beinhalten aber auch Chancen. Chancen zur Umkehr. "Die gegenwärtige Krise ist für die Menschheit ein Kairos, ein entscheidender und zur Entscheidung rufender Augenblick, vom Tod zum Leben umzukehren", sagt Prof. Ulrich Duchrow (zum Schluss seiner Rede, die wir in Auszügen in diesem Rundbrief veröffentlichen Die vollständige Rede von Ulrich Duchrow ist hier veröffentlicht: "Ökologische Gerechtigkeit statt Wachstumswirtschaft für die Reichen" .). Umkehr beginnt damit, das System des Kapitalismus mit seinen Triebkräften Konkurrenz, Privateigentum und Gewinnmaximierung in Frage zu stellen. Wollen wir ein System, bei dem die Reichen immer reicher werden oder verfolgen wir mit unserem Wirtschaften das Ziel, alle Menschen mit dem zu versorgen, was sie zum Leben benötigen? Es gilt zu erkennen, dass unumgängliche Verzichte auf Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Mobilität, Wegwerfmentalität, etc. durchaus einen Gewinn an Freiheit und Lebensqualität darstellen können. Der Weg zur Veränderung beginnt also mit der Bereitschaft, den Glauben an die Verheißungen des globalen Kapitalismus aufzugeben und sich vom Dogma abzuwenden, es gäbe dazu keine Alternative. Pessimismus ist der Luxus der ReichenDiese Umkehr geschieht heute schon in sozialen Bewegungen, Netzwerken und Projekten. Dort entstehen auch neue Visionen einer anderen, besseren Welt. Zunächst nehme ich hier die vielen Menschen und sozialen Bewegungen im Süden wahr, die unter viel schwierigeren materiellen Umständen ihre Hoffnung nicht verlieren, sondern die sich engagieren, wenn wieder einmal eine Katastrophe droht oder die Konzerne zu brutal werden. Dorothee Sölle hat diese Hoffnung der Armen in Südamerika einmal so zum Ausdruck gebracht: "Arme haben keine Zeit für Pessimismus. Pessimismus ist ein Luxus der Reichen." Dass es im Süden ein großes Veränderungspotential gibt, wird zum Beispiel durch die Beteiligung an den Weltsozialforen sichtbar. So fand das neunte Weltsozialforum dieses Jahr im brasilianischen Belém mit etwa 135.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sowie mehr als 5.000 Organisationen statt. Das macht mir ebenso Hoffnung wie die vielen Suchenden und Engagierten hierzulande. So stürmten beim Kapitalismuskongress von attac in Berlin 2.500 Menschen die Veranstaltungen - doppelt so viele, wie erhofft. Viele zweifeln am Kapitalismus und fragen nach Alternativen. Dabei sind sich nahezu alle Kritiker einig, dass es eine fertige Alternative nicht wird geben können. Es braucht eine Vielfalt von Alternativen. Dazu gehört die Beendigung der Privatisierung sozialer und öffentlicher Dienste wie etwa die Energie- und Wasserversorgung, Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und auch Nahverkehr, die nicht dem Renditedenken unterworfen werden dürfen. Es gehören dazu eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie bedingungslose Grundeinkommen. Da solche Reformschritte zwar den Kapitalismus etwas bändigen, aber nicht außer Kraft setzen können, braucht es weitere grundlegende Veränderungen: eine Rückbesinnung auf Formen solidarischer Ökonomie mit kooperativen Wirtschaftsformen statt Konkurrenz und genossenschaftliche oder gemeinwirtschaftliche Eigentumsformen statt Privateigentum. Lebenshaus als Zeichen einer Alternative im KleinenHoffnung machen mir ebenfalls die Unterstützerinnen und Unterstützer dieses kleinen Projekts namens Lebenshaus Schwäbische Alb. Bei unserem Ansatz eines auf das Gemeinwohl zielenden, nicht gewinnorientierten Projektes war von Anfang an klar, dass es nicht nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt werden soll. Vielmehr haben wir schon immer auf Menschen gesetzt, denen nicht das Streben nach möglichst hoher Rendite wichtig war, sondern die ihr Vermögen lebensförderlich einsetzen wollen. "Verzicht auf müheloses Zinseinkommen, sozialer Ertrag statt finanzieller Rendite!", so in etwa lässt sich schlagwortartig die Haltung unserer Unterstützerinnen und Unterstützer auf einen Nenner bringen. Dass dabei so viele Menschen mitgemacht haben und hoffentlich weiter mitmachen, durch Spendengelder, Beiträge und zinslose Darlehen unsere Arbeit zu ermöglichen, das war und ist für mich immer auch ein unübersehbares Hoffnungszeichen. In diesem Zusammenhang ist uns der Prozess wichtig, in dem gemeinsam mit vielen Menschen über den Umgang mit eigenem Vermögen reflektiert wird. Dabei ist uns allen bewusst, dass die Alternativen im Kleinen selbstverständlich nicht in der Lage sind, das ganze Geldsystem auf Lebensförderlichkeit hin zu verändern. Aber es kann ein Anfang gemacht werden, Geld aus dem geldvermehrenden und lebenszerstörenden Kreislauf herauszuziehen und zur Förderung konkreten Lebens einzusetzen. So werden Zeichen gesetzt. Um die materiellen wie psychischen Folgen der jetzigen und erst noch auf uns zukommenden Krisenzeiten abzufedern, werden soziale Netzwerke wie das Lebenshaus mit das Wichtigste sein. Unser Projekt hat von Anfang an auf Gemeinschaft und Solidarität gesetzt. Wir hoffen, dass das bisher geknüpfte Netz haltbar bleibt und möglichst noch gestärkt wird. Vermutlich werden die Aufgaben mehr werden, die in diesem Bereich auf uns zukommen. Problem der nächsten tausend Jahre: KlimawandelExperten stellen fest, dass der Klimawandel noch weit schneller voranschreitet als bisher selbst von Pessimisten angenommen. "Die aktuelle Finanzkrise ist das Problem einiger Jahre, aber der Klimawandel ist das Problem der nächsten tausend Jahre", schreibt Franz Alt. "Unsere Enkel werden uns nicht danach fragen, ob die Wirtschaft im Jahr 2009 um einige Prozent gestiegen oder geschrumpft ist. Aber sie werden wissen wollen, was wir gegen den Klimawandel unternommen haben. Und was werden wir ihnen antworten?" Als Lebenshaus engagieren wir uns weiter auf verschiedene Weise gegen Klimakatastrophe und atomare Gefahren. Neben konkreten Maßnahmen wie Wärmedämmung und Verwendung Erneuerbarer Energien in unserem vereinseigenen Gebäude mischen wir uns auch in die Meinungsbildung ein. Dies geschieht beispielsweise, indem wir gemeinsam mit Umweltverbänden und Anti-Atom-Initiativen für den 5. September unter dem Motto "Mal richtig abschalten - Atomkraft Nein Danke!" zu einer bundesweiten Großdemonstration nach Berlin aufrufen. Aktuell beteiligt sich das Lebenshaus ebenfalls an einer von 40 Verbänden und Initiativen im Super-Wahljahr 2009 gemeinsam getragenen Kampagne für den Atomausstieg und für ein zügiges Umsteuern auf 100% Erneuerbare Energie. Kern der Kampagne "Neue Energie" ist das 8-Seiten-Faltblatt mit dem Titel "Glaubst du das wirklich?" , das nun bundesweit verbreitet wird. Mit einer Startauflage von einer halben Million gab es einen furiosen Auftakt. Wir wünschen uns, dass sich viele unserer Leserinnen und Leser an einer Weiterverbreitung beteiligen.Nur zwei Monate nach Kampagnen-Start ist das Etappenziel erreicht: In der kommenden Woche werden mehr als eine Million Exemplare des Faltblattes "Glaubst du das wirklich?" gedruckt sein. Am heutigen 10.06.2009 wurde der Druckauftrag für weitere 300.000 Exemplare erteilt, so dass die gedruckte Gesamtauflage bei 1.100.000 Exemplaren liegt. Die Nachfrage hält an und verstärkt werden auch größere Mengen bestellt. 20.000 Faltblätter gehen beispielsweise ins nordrhein-westfälische Gronau, wo die einzige deutsche Urananreichungsanlage betrieben wird. Demonstrationsrecht, Gewalt und GewaltfreiheitÜber unser aktuelles Friedensengagement wird in diesem Rundbrief ebenfalls sehr ausführlich berichtet. Dabei beschäftigen wir uns mit den Erfahrungen, die wir Anfang April anlässlich unserer Proteste beim "Jubiliäumsgipfel" der NATO in Kehl und Straßburg gemacht haben. Genauer gesagt, nach Straßburg kamen wir erst gar nicht, weil unser Ostermarsch bereits nach wenigen hundert Metern durch eine Polizeisperre gestoppt und am Überqueren des Rheins gehindert wurde. Unsere unmittelbare Erfahrung stand unter dem Eindruck eines gigantischen Polizeiaufgebots, wie ich es in rund 35 Jahren Teilnahme an vielen Demonstrationen noch nie erlebt habe. Insgesamt prägte die Polizei mit massiven Vorkontrollen, Zugangsbehinderungen und Verhinderung ganzer Demonstrationszüge die Aktionen. Dazu kam das brutale Vorgehen französischer Polizisten gegen friedliche Anti-NATO-Demonstranten, die durch die deutsche Bundespolizei mit deren eigenen Kräften, Wasserwerfern und Tränengas tatkräftig unterstützt wurde. In der medialen Berichterstattung blieben alle Inhalte außen vor. Diese war vielmehr geprägt von Bildern eines brennenden Hotels jenseits des Rheins, zerstörten Bushäuschen und Auseinandersetzungen zwischen Vermummten und Polizei. Diese Erfahrungen veranlassten uns der Frage nachzugehen, wie wir uns sinnvoll für Gewaltfreiheit engagieren können. Auf die Wahrnehmung unseres Demonstrationsrechts zu verzichten und einfach wegzubleiben, kann nicht der Weg sein. Dies hätte jedenfalls mit aktiver Gewaltfreiheit rein gar nichts zu tun. Wie aber lässt sich sicherstellen, dass Demonstrationen nicht für die Auseinandersetzung mit der Polizei genutzt werden und seitens der Teilnehmenden keine Gewalt angewandt wird? Die Diskussion über Gewalt und Gewaltfreiheit (s. die Artikel von Axel Pfaff-Schneider und Wolfgang Sternstein in diesem Rundbrief) muss sicher fortgeführt werden. "Ein Volk ohne Visionen geht zugrunde", heißt es in der Bibel. Lassen Sie uns angesichts vielerlei Krisen, in welche die Menschheit heute geraten ist, und trotz der daraus resultierenden weitverbreiteten Resignation, festhalten an der Vision von einer Welt wie sie sein könnte: liebevoller, gerechter, freier, ökologischer, eine Welt des gerechten Friedens. Wenn wir uns gemeinsam an die Arbeit machen, die heute getan werden muss um einer solchen Vision näher zu kommen, dann entsteht Stück für Stück eine neue Wirklichkeit. Schalom - Salaam Euer / Ihr Michael Schmid FinanzenVielleicht sind manche der bisherigen Unterstützerinnen und Unterstützer von Lebenshaus Schwäbische Alb auch schon von der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen und können unser Projekt nicht mehr wie bisher unterstützen. Umso mehr sind wir auf Menschen angewiesen, die noch können und dies auch wollen. Bei unserer Arbeit für Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie benötigen wir zum Beispiel Geld:
Um alle diese sowie weitere Aufgaben auch finanziell umsetzen zu können, sind wir weiter auf Spenden, Mitgliedsbeiträge und möglichst zinslose Darlehen angewiesen. Gerade auch das vereinseigene Gebäude stellt eine große Herausforderung dar, bei deren Bewältigung wir auf mitmachende Menschen hoffen und setzen müssen. Das Gebäude ist ja nicht vollständig finanziert. Vielmehr besteht ein Schuldenberg in einer Höhe von 223.000 €. Rund ein Drittel dieser Schulden sind im vergangenen Jahr durch die ökologische Sanierung hinzugekommen. Aufgrund der Darlehensverträge ist bekannt, dass dieses Jahr noch rund 35.000 € und im Jahr 2010 rund 70.000 € zur Rückzahlung anstehen. Dazu könnten noch Kündigungen von unbefristeten Darlehen kommen. Wir freuen uns über jegliche Unterstützung! Herzlichen Dank! Bankverbindung für Spenden: Lebenshaus Schwäbische Alb e.V., Konto-Nr. 802 333 4800, GLS Gemeinschaftsbank eG, BLZ 430 609 67 (Internationale Bankverbindung: IBAN: DE36430609678023334800, BIC: GENODEM1GLS). Spendenbestätigung wird ab 25 € automatisch zugestellt, ansonsten auf Anforderung - ErstspenderInnen bitte unbedingt Anschrift angeben! Danke!!!
FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|