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Iran: Mullah-Dämmerung

Auch wenn die Proteste verstummen: Das Regime hat keine andere Wahl, als sich dem Wandel zu beugen

 

Von Torsten Wöhlert

Glaubenskriege sollten in einem "Gottesstaat" nicht weiter verwundern. Aber diese sind neu und nicht auf den Iran begrenzt: Hat Ahmadinedschad die Präsidentschaftswahl knapp gewonnen oder klar verloren? Tobt der Kampf jetzt in den Hinterzimmern der Macht? Steht das Land gar vor einem Systemwechsel wie vor 30 Jahren, als ein Volksaufstand den Schah stürzte und die Islamische Republik gebar? Ist Einmischung oder Zurückhaltung das Gebot der Stunde?

Zumindest die letzte Frage lässt sich beantworten. Natürlich bedarf es klarer Worte gegen die Niederschlagung friedlicher Demonstrationen. Jede darüber hinaus gehende politische Einmischung des Westens in diesen internen iranischen Machtkampf aber wäre falsch, weil kontraproduktiv. Sicher, die Vorstellung, vier weitere Jahre mit einem inbrünstigen Hardliner an der Spitze der iranischen Regierung umgehen zu müssen, ist alles andere als angenehm. Aber hüten wir uns davor, nach Saddam Hussein in Ahmadinedschad den nächsten "Hitler des Nahen Ostens" als Projektionsfläche für wie auch immer geartete, gar "humanitäre", Interventionen aufzubauen. Auch ein Wahlsieger Mussawi würde um kein Jota vom iranischen Atomprogramm abweichen wollen - und können. Das Problem bleibt in jedem Fall. Und es ist ein ernsthaftes, weil der Griff Teherans nach Nuklearwaffen kein Hirngespinst ideologischer Scharfmacher ist, sondern real existierende Möglichkeit bleibt. Zwangsläufig ist dies jedoch nicht. Und genau darin liegt die Chance für Diplomatie.

Wer sich jedoch auf dieses Feld begibt, betritt moralisch vermintes Gelände und riskiert, von künftigen Geschichtsschreibern an den Pranger gestellt zu werden. Und doch gibt es zum nüchternen Umgang mit machtpolitischen Konstellationen keine vernünftige Alternative. Das gilt auch für einen Iran unter der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad.

"Diplomacy" steht nicht erst seit Henry Kissinger im fatalen Geruch, nur eine Technik zum kaltherzigen Vollzug von Machtinteressen zu sein. Diplomatie, die den Namen verdient, hat freilich zwei Seiten. Für die eine tragen wir die Verantwortung, indem wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die der Meinungsstreit um den außenpolitischen Kurs in einer offenen Gesellschaft bietet. Die andere braucht den nüchternen Blick auf die Verhältnisse im Iran. Und der zeigt, dass die manipulierten Präsidentenwahlen ungeachtet aller Proteste und neuer Formen der Mobilisierung zu keiner Götterdämmerung geführt haben. Das System erscheint stabiler als vermutet. Dieser Befund darf vor dem Hintergrund der politischen Geschichte der Islamischen Republik nicht wirklich überraschen.

Wenn jetzt Ali Hashemi Rafsandschani als letzter Hoffnungsträger der ermattenden Oppositionsbewegung gehandelt wird, klingt das zunächst wie eine Bestätigung der Marx’schen These von der sich als Tragödie und Farce wiederholenden Geschichte. Der enge Chomeini-Vertraute, Ex-Präsident (1989-1997) und heutige Chef des Experten- und Schlichterrates gilt nicht nur als graue Eminenz der Islamischen Republik. Er gehört auch zu den größten Profiteuren der Islamischen Revolution. Rafsandschanis Familienimperium beherrscht große Teile der ex- und importabhängigen Wirtschaft des Landes. Seine Fähigkeit, als Strippenzieher die republikanischen und klerikalen Hebel der dualen Macht in Iran zu bedienen und dabei Gegner in beiden Lagern kalt zu stellen, hat ihm den Beinamen "Hai" eingebracht. Sein politischer Sündenfall war die Aufkündigung des sozial-egalitären Anspruches der Islamischen Revolution. Unter seiner Präsidentschaft begann die mit wirtschaftlicher Liberalisierung verbundene, schamlose Vetternwirtschaft und Bereicherung von Teilen des Klerus und der politischen Elite. "Fette Katzen" nennt das Volk diese Clique bis heute. Zu der zählte auch der letzte Reformer im Präsidentenamt, Mohammad Chatami. Sein Versuch, den "Gottesstaat" nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zu liberalisieren und damit ein notwendiges Korrektiv für system-stabilisierende Konfliktmoderation zu etablieren, ist an Mutlosigkeit und fehlender Unterstützung gescheitert. Chatami hatte die jungen, städtischen Mittel- und Oberschichten auf seiner Seite. Aber keine Basis bei den Verlierern der Liberalisierung auf dem Land und an den Rändern der Großstädte.

Ahmadinedschad war der Gegenentwurf. Er sollte zurückführen zu den sozial-egalitären Wurzeln der Islamischen Revolution. Sein Feldzug gegen die "fetten Katzen" bleibt populär, ist jedoch als Klientelpolitik gescheitert. Gleichwohl hat sich die soziale Basis der Protestbewegung verbreitert. Auch wenn der politische Schulterschluss unter Mussawi ausblieb.

Selbst wenn die Proteste vorerst verstummen sollten: Der Zug ist innenpolitisch aufs Gleis gesetzt. Wer immer im Iran künftig die Zügel in die Hand nimmt, kann die Lektion der vergangenen Wochen nicht ignorieren, höchstens deren Konsequenzen moderieren. Iran bleibt eine Islamische Republik im Wandel. Dabei hilft dem Regime, dass der äußere Widerstand gegen das iranische Atomprogramm alle Fraktionen eint, wie weiland der Krieg gegen Irak. Folglich müssen sich alle diplomatischen Anstrengungen des Westens auf die zivile Ausrichtung dieses Programms konzentrieren. Das ist der einzige Schlüssel, den es gibt.

Quelle: der FREITAG vom 02.07.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

04. Juli 2009

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