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Atomare Heimwerker im Anmarsch

Barack Obama sieht im Zugriff von Terroristen auf Atommaterial die größte Gefahr für die Weltsicherheit und plant für März 2010 einen Weltgipfel zu dieser Bedrohung

 

Von Wolfgang Kötter

Der Griff nach der Bombe

Die Worte Mustafa Abu al-Jasids, dem Chef von Al-Qaida in Afghanistan, über das Schicksal der pakistanischen Nuklearwaffen trieb nicht nur den Ärzten gegen den Atomkrieg IPPNW: IPPNW: Atomare Abrüstung dringlicher denn je. Abu al-Jasid droht mit Atomwaffeneinsatz .  die Sorgenfalten auf die Stirn: "So Gott will, würden die Atomwaffen nicht in die Hände der Amerikaner fallen", verkündete er am 21 Juni im arabischen Fernsehsender Al-Dschasira, "sondern von den Mudschaheddin in Besitz genommen und gegen die Amerikaner eingesetzt werden."  Al-Qaida will Pakistans Atomwaffen für Angriff auf die USA . Al-Qaida will Pakistans Atomwaffen für Angriff auf die USA. Sein oberster Anführer Osama bin Laden soll die Beschaffung von Atomwaffen bereits vor Jahren als eine "heilige Pflicht" der Dschihadisten bezeichnet haben.

Ob das gelungen ist, bleibt vorerst ein Geheimnis. Der bei München festgenommene Bin-Laden-Vertraute Mamdouh Mahmud Salim jedenfalls hat sich der US-Bundespolizei FBI zufolge darum bemüht, Komponenten für Nuklearwaffen zu beschaffen. Auch Al-Qaida-Aussteiger Jamal Ahmed al-Fadl hat vor einem New Yorker Bundesgericht ausgesagt, er habe im Auftrag Bin Ladens versucht, im Sudan hoch angereichertes Uran - angeblich aus Südafrika - zu kaufen. Selbst die russische Mafia wurde eingeschaltet, um an waffenfähiges Spaltmaterial heranzukommen.

US-Präsident Barack Obama sieht im Nuklearterrorismus die unmittelbarste und dringendste Gefahr für die globale Sicherheit und hat für März nächsten Jahres zu einem Gipfeltreffen über atomare Sicherheit eingeladen. THE WHITE HOUSE: Addressing the Nuclear Threat: Fulfilling the Promise of Prague at the L’Aquila Summit . Auch Mohamed El-Baradei, Chef der Internationalen Atomenergieagentur IAEA, warnt vor dem relativ neuen Phänomen des nuklearen Terrorismus: "Das ist derzeit die schwerwiegendste Bedrohung, denn Terroristen sind der traditionellen Abschreckung nicht zugänglich."

Nukleare Heimwerker

Aber nicht nur der Kauf oder Diebstahl einer fertigen Atomwaffe ist eine akute Gefahr. Immer wieder hat es auch Versuche gegeben, einen eigenen nuklearen Sprengsatz zu konstruieren. Das Wissen zum Bau eines nuklearen Sprengsatzes ist frei zugänglich, und die Prinzipien von Kernwaffen wie auch detaillierte theoretische Grundlagen kann jederman im Internet nachzulesen. Journalisten der britischen "Times" entdeckten in einem ehemaligen Talibanlager in Saraq Panza bei Kabul Dokumente, die Details zum Bau von Nuklearwaffen und kleineren Bomben enthielten. Giftrezepte von Bin Ladens Taliban-Ärzten entdeckt . 

Untersuchungen bestätigen, dass Terroristen grundsätzlich in der Lage wären, radioaktive Materialien für terroristische Anschläge zu verwenden. Für den Eigenbau eines einfachen nuklearen Sprengsatzes aber muss sich eine terroristische Organisation spezielle Fähigkeiten und Techniken aneignen. Hierzu gehören u. a. die Erzeugung von Schockwellen mit Hochexplosivstoffen, der Umgang mit Elektronik, Kernchemie und Feinmechanik und nicht zuletzt die sichere Handhabung von angereichertem Uran oder Plutonium. Auch über diese Gebiete gibt es umfangreiche Literatur, allerdings sind viele entscheidende Einzelheiten geheim, vor allem solche, die auf experimentellen Messungen und nicht nur auf theoretischen Überlegungen beruhen.

Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass eine finanziell gut ausgestattete Terrororganisation das nötige technische Know-how zur Herstellung des Zündmechanismus für einen Kernsprengsatzes erwirbt. Allerdings wäre der Aufwand sehr hoch. Verschiedene Spezialisten müssten sich zunächst in Auslandsstudien die speziellen Kenntnisse aneignen. Die Organisation bräuchte dann für längere Zeit ein sicheres Versteck, um die notwendigen Experimente durchzuführen. Erforderlich wären ein Testgelände, Forschungslabors und Büroräume. Ganz ohne qualifizierte Physiker wäre das Atomprojekt wahrscheinlich nur schwer zu schultern.

Nachweislich gab es aber Kontakte zu arbeitslosen russischen Wissenschaftlern und zum pakistanischen Atomphysiker Abdul Qadeer Khan, der sogar ein globales Netwerk illegaler Nuklearkollaboration entwickelt hatte. Wie die deutschen Gotthard Lerch und Gerhard Wisser sollen auch die Schweizer Brüder Urs und Marco Tinner dazu gehört haben. Unter ihren beschlagnahmten 10.000 Akten und 20.000 Computerdateien befanden sich Baupläne für Atomwaffen und Gaszentrifugen zur Urananreicherung. Die Dokumente wurden zunächst "aus Gründen der nationalen Sicherheit und um des Weltfriedens willen", wie der damalige Justizminister Christoph Blocher sagte, geschreddert. Allerdings soll auch die amerikanische Regierung Druck ausgeübt haben, denn es wird vermutet, dass die Akten Details darüber enthielten, wie die CIA Urs Tinner als Doppelagenten anwarb. Überraschenderweise tauchten zumindest Teile der Unterlagen kürzlich im Archiv der Bundesanwaltschaft wieder auf.

Atomares Attentat oder nukleare Erpressung

Falls Terroristen wirklich in den Besitz von Kernsprengköpfen gelangen, wären diese auf verschiedene Weise nutzbar. Zum Einen könnte ein Anschlag darauf abzielen, so viele Zivilisten wie möglich zu töten. Vielleicht sollen Atomwaffen aber auch zur Erpressung dienen, um Regierungen zu spektakulären Zugeständnissen zu zwingen. In jedem Fall bestände eine hohe Hürde darin, den Sprengkörper unentdeckt ins Ziel zu bringen. Raketen scheiden aus, denn es wäre wahrscheinlich zu schwierig, sie zu beschaffen oder gar selbst zu bauen. Außerdem wäre ein nuklearer Sprengkörper Marke Eigenbau viel zu schwer, um von einer Rakete getragen zu werden. Brauchbare Transportmittel wären aber Schiffe, Lastwagen oder Flugzeuge. Der Transport in einem Flugzeug wäre allerdings kaum zu verheimlichen, Wird allerdings der See- oder Landweg genutzt, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass ein solcher Transport unbemerkt bliebe. Bei einem Erpressungsversuch müssten die Terroristen glaubhaft machen, dass sie wirklich im Besitz eines funktionierenden nuklearen Sprengkörpers sind. Sie könnten das durch eine Explosion nachweisen und weiterer Detonationen androhen. Eine weitere Möglichkeit wäre, technische Zeichnungen oder Proben von Nuklearmaterial zu übersenden, um ihre nukleare Fähigkeit nachzuweisen.

Mit einer spektakulären Aktion verwiesen Umweltschützer auf eine andere Gefahr des Nuklearterrorismus. Am 22. Juni erklommen etwa zwei Dutzend Aktivisten von Greenpeace mit Seilen und anderer Bergsteigerausrüstung die Kuppel des Atomkraftwerks Unterweser im niedersächsischen Nordenham, enthüllten oben ein Transparent und malten ein Totenkopfsymbol auf den Stahlbeton. Mit der Aktion wollte die Umweltschutzorganisation auf die "tödliche Gefahr" von Atomkraftwerken aufmerksam machen und forderte die Stilllegung von sieben älteren Meilern, weil diese nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze und Terrorangriffe aus der Luft geschützt seien. In einer Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit war schon vor Jahren festgestellt worden, dass der Anlagentyp in der Wesermarsch bei der Attacke durch ein großes, schnell fliegendes Passagierflugzeug nach dem Muster der Flugzeugattacken von 9/11 in den USA nicht mehr beherrscht werden könnte.

Eine technisch sehr viel einfachere Variante von Nuklearterrorismus wäre eine radiologische, sogenannte "schmutzige" Bombe. Diese kann hochradioaktives Material mit Hilfe einer konventionellen Explosion weit verbreiten, größere Gebiete strahlenverseuchen und damit auf lange Zeit unbewohnbar machen.

Training für den Ernstfall

Immer häufiger versuchen Staaten, sich durch Katastrophenübungen auf den Ernstfall vorzubereiten. Nicht selten erinnern die Szenarien an Horrorfilme aus Hollywood: Mit jaulenden Sirenen schwärmen am 9. Juni in New York City 300 Beamte der örtlichen Polizei und 400 Angehörige der Bundespolizei FBI nach einem Alarm aus. Strahlungsdetektoren signalisieren, dass in einem Auto auf dem "Clearview Expressway", der die Stadtteile Queens und Manhattan verbindet, eine schmutzige Bombe versteckt ist. Der Sprengkörper wird mit aller Vorsicht auf ein freies Feld in Brooklyn gebracht und dort entschärft. Wie Police Commissioner Raymond Kelly mitteilte, war die Übung Teil eines 73 Millionen Dollar teuren Pilotprojekts, um die Metropole vor terroristischen Angriffen mit Nuklearwaffen zu schützen. Unter anderem sollen Plätze, Brücken und Tunnel mit Strahlungssensoren ausgerüstet werden. Eine ähnliche Übung veranstalteten chinesische Antiterrorkräfte in Peking, um die Parade zum bevorstehenden 60. Jahrestag der Volksrepublik im kommenden Herbst abzusichern. "Ich denke die Sicherheitsbestimmungen für die Parade werden noch strenger sein als für die der Olympischen Spiele in 2008", meint Antiterrorexperte Cai Changjun von der Nationalen Verteidigungsuniversität der Volksarmee.

Das Drehbuch für Deutschland: Im Januar 2010 zünden Terroristen irgendwo im Land einen mit atomarem Material versetzten Sprengkörper. Kurz danach schrillen die Alarmglocken in den Einsatzzentralen der Katastrophenschützer von Bund und Ländern. Unverzüglich muss die Bevölkerung gewarnt werden. Es geht um schnellstmögliche Evakuierung und Notversorgung. Vor allem gilt es, Panik und Chaos zu verhindern. Laut Innenminister Schäuble, sei das nicht aus der Luft gegriffen, denn die schmutzige Bombe "macht uns weltweit am meisten Sorgen." Schäuble warnt vor schmutziger Bombe . Für Anfang kommenden Jahres ist deshalb die Katastrophenschutzübung "Lükex-10" angesetzt, auf der Krisenstäbe und alle beteiligten Institutionen die perfekte Koordination trainieren, sollen. Teilnehmen werden unter anderen das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das Technische Hilfswerk (THW) und Behörden mehrerer Länder.

Auch die Europäische Kommission hat ein 130 Maßnahmen umfassenden Aktionsplan EU seeks to beef up defences against dirty-bomb attacks . ausgearbeitet. "Terroristische Gruppen, die Massenvernichtungswaffen einschließlich chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Waffen erlangen, das ist das beängstigendste Szenario", begründete EU-Justizkommissar Jacques Barrot das Vorhaben. Der US-amerikanische Großinvestor und Unternehmer Warren Buffet jedenfalls hat eine düstere Prophezeiung: Früher oder später, so sagt er, gebe es einen Terror-Angriff mit Nuklearwaffen - es sei praktisch eine Gewissheit und ein Angriff im Grunde nur eine Frage der Zeit. "Es wird passieren - in zehn Jahren, in zehn Minuten oder in fünfzig Jahren". Buffett: Nuclear attack ‘virtually a certainty’ .

Eine gekürzte Fassung dieses Artikel ist in der Freitag, online vom 11.07.2009 erschienen.

Fußnoten

Veröffentlicht am

15. Juli 2009

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