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Gaza: Die Mangelernährung zeigt Folgen

Von Eva Bartlett, 19.07.2009 - ZNet

Gaza-Stadt, 15. Juli 2009 (IPS) Niemand kauft heutzutage mehr Fleisch", sagt Yousef Al-Jerjowi. Er sitzt neben seiner Metzgerei, die Kundschaft bleibt aus. "Einige Leute kaufen eingefrorenes Fleisch, weil es viel billiger ist: 20 Schekel (5 Dollar) pro Kilogramm - gegenüber 60 Schekel für frisches Fleisch".

Der Metzger Al-Jerjowi ist 45 Jahre alt und hat 10 Kinder. Alles in allem läuft sein Geschäft sehr schlecht. Am besten läuft es am Monatsanfang - wenn jene, die noch bezahlte Jobs haben, ihren Lohn erhalten.

"Am Monatsanfang nehme ich im Durchschnitt 200 Schekel pro Tag ein. Vor der Belagerung waren es 450 Schekel am Tag. Ich habe noch einige relativ regelmäßige Kunden. Aber sie haben kein Geld. Sie lassen anschreiben und zahlen, wenn sie können".

Wie so viele Palästinenser hat Jerjowi früher in Israel gearbeitet. "Als Israel die Grenzen dicht machte, hatte ich keine Arbeit mehr, also machte ich die Metzgerei auf".

An einem normalen Tag verdiene er bestenfalls 100 Schekel, sagt er. Mit Einnahmen in dieser Größenordnung kann nicht einmal die Ladenmiete (4000 Dollar im Jahr) bezahlt werden, ganz zu schweigen von den Mieten für die Wohnungen seiner Großfamilie. "Meine drei Söhne sind alle verheiratet. Die Hausmieten betragen zusammen 200 Schekel im Monat. Soviel verdienen wir nicht. Hinzu kommen die täglichen Ausgaben, wie Wasser und Strom".

Die Arbeitslosenrate in Gaza liegt bei 50 Prozent. 80 Prozent der Bevölkerung sind von Nahrungsmittelhilfe abhängig. Kein Wunder, dass Jerjowis Geschäft nicht boomt.

Das Problem liegt nicht nur in einer durch die Blockade ruinierten Wirtschaft oder in der großen Armut (eine Folge der kaputten Wirtschaft). Ein weiteres Problem ist der Mangel an Kuhfleisch.

Nachdem Israel im Dezember/Januar Gaza zu Lande, zu Wasser und aus der Luft angegriffen und bombardiert hatte (wobei 1400 Menschen in Gaza starben), lag die Landwirtschaft in Trümmern - auch die Fleischproduktion. Wie das United Nation Development Project berichtete, wurden 17 Prozent allen Viehs und fast 10 Prozent des Federviehbestandes Opfer des Krieges. Bereits vor diesen israelischen Angriffen - schon im November 2008 - warnte das ‘Landwirtschaftsministerium von Gaza’ vor einer "wirklichen Nahrungsmittelkatastrophe", infolge der Blockade, die auch für die Einfuhr von lebenden Tieren und für Tierfutter galt. Der Einfuhrstopp wirkte sich direkt auf die Gesundheit der Nutztiere von Gaza aus.

Die Palästinenser in Gaza versuchten der Dezimierung ihrer Herden entgegenzuwirken, indem sie Kälber und Schafe durch jene Tunnel schleusten, die unter der ägyptischen Grenze verlaufen. Doch die Preise sind immer noch hoch - zu hoch für die meisten Menschen hier.

Am 19. Juni ließ Israel zum ersten Mal seit dem 31. Oktober 2008 wieder lebende Tiere nach Gaza: in 15 Viehlastern. Es waren viel zu wenige Tiere, um den Hunger der Bevölkerung zu stillen. Die Kapazitäten am Grenzübergang hätten eine weit größere Zahl von Lastern verkraftet.

Wie das Office for Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) berichtet, variierte die Zahl der nach Gaza durchgelassenen Transporter in den Jahren 2007 und 2008 von Monat zu Monat. Es waren zwischen 20 und 207. Dies ensprach dem Trend, der von Israel geführten Blockade: Die Einfuhr lebender Nutztiere nach Gaza massiv beschränken.

Der letzte Viehtransport - vor dem oben erwähnten am 19. Juni 2009 - erreichte Gaza am 31. Oktober 2008. In jenem Monat wurden 78 Viehlaster durchgelassen… Es waren die letzten Transporte für fast neun Monate. Der ‘Koordinator für die Aktivitäten der Israelischen Regierung in den Gebieten’ (COGAT) schlug kürzlich vor, die Einfuhr von mindestens 300 Kühen pro Woche zuzulassen, um die 1,5 Millionen Menschen Gazas zu ernähren.

Die UNO und verschiedene NGOs weisen darauf hin, dass mittlerweile rund 75 Prozent weniger Güter nach Gaza importiert werden - im Vergleich zu der Zeit vor der Blockade. Es tröpfelt nur noch. Außerdem handle es sich bei den meisten Gütern die durchgelassen werden, um Grundnahrungsmittel und andere Hilfen. Die von Lebensmittelhilfe abhängigen Familien in Gaza, die sich früher ausgewogen ernähren konnten, leben heute hauptsächlich von Zucker und Kohlenhydraten. Proteine und Vitamine fehlen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte fest, dass es in Gaza immer mehr Mangelernährung gibt, die zu Wachstumsstörungen führt: Mehr als 10 Prozent aller Kinder in Gaza litten unter dieser Störung. Es wird davon ausgegangen, dass sie an einer chronischen Unterversorgung mit Proteinen, Eisen und wichtigen Vitaminen leiden. Außerdem warnt die WHO vor einer Zunahme der Anämien: Bereits heute litten 65 Prozent der Babys und Kleinkinder unter 12 Monaten unter "Blutarmut" sowie 35 Prozent der Schwangeren.

Das Kinderhilfswerk Unicef, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das ‘Ard-Al-Insan-Zentrum für Ernährung’ in Gaza und verschiedene andere Organisationen weisen auf den Zusammenhang zwischen einer fehlenden Versorgung mit Gemüse und Proteinen und diesen Mangelerscheinungen hin.

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) schreibt in einem Bericht vom Juni 2009, die Folgen der unausgewogenen Ernährung seien u.a. "zunehmende Infektionsanfälligkeit, Müdigkeit und Lernschwäche". Das ICRC warnt vor den möglichen Langzeitfolgen für die unterernährten Kinder Gazas.

Ebenfalls im Juni forderten 38 NGOs - Oxfam, Care World Vision, mehrere UNO-Organisationen und andere - ein Ende der Blockade und betonten die Wichtigkeit eines normalen Handels mit Gaza. Auch in dem oben zitierte Bericht des ICRC wird eine Wiederaufnahme der Import- und Exportaktivitäten gefordert. Gleichzeitig warnt das Rote Kreuz, die Situation in Gaza sei so verheerend, dass es Jahre dauern werde, bis sich das Gebiet erholen könne.

Der Metzger Yousef Al-Jerjowi hat seine Ladenöffnungszeiten eingeschränkt, denn es kommen zu wenige Kunden. Für ihn kann die Belagerung nicht schnell genug enden. Seine drei Söhne arbeiten mit in der Metzgerei. Dadurch spart er am Tag 40 Schekel Lohn, die er einem Angestellten zahlen müsste. "Wenn meine Söhne nicht mitarbeiten würden, müsste ich den Laden dichtmachen", sagt er.

Die Kanadierin Eva Bartlett ist Menschenrechtsanwältin und unabhängige Journalistin. 2007 verbrachte sie 8 Monate in der Westbank und 4 Monate in Ägypten und am Grenzübergang Rafah.

 

Quelle:  ZNet Deutschland vom 20.07.2009. Originalartikel:  Mideast: Malnutrition Begins to Bite . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

22. Juli 2009

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