Griechenland: Repression gegen Immigranten- Die gewaltsame Zerstörung des Flüchtlingslagers in PatrasViele Autoren, 17.07.2009 - ZNet Der folgende Text basiert auf den Berichten vieler Organisationen und Einzelpersonen in Griechenland. "Die Wahrheit mag bitter sein, aber sie muss ausgesprochen werden" - geschrieben an eine Wand im Haftzentrum von Lesvos Vor rund anderthalb Jahren versuchte der (griechische) Staat zum ersten Mal, das afghanische Flüchtlingslager in Patras niederzureißen, das von den Flüchtlingen selbst errichtet worden war. Eine große, beeindruckende Solidaritätsbewegung konnte dies damals verhindern. Jetzt schlugen die staatlichen Behörden zurück. In der Morgendämmerung des 12. Juli gelang es ihnen endlich, ihren ursprünglichen Plan auszuführen. Die Aktion am vergangenen Sonntag kann nur als konkreter, umfassender Plan im Sinne von "Null Toleranz" bezeichnet werden. Entworfen und verkündet wurde er vom Minister für Öffentliche Ordnung Markoyannakis. Die Operation sollte ursprünglich schon in der Nacht zuvor erfolgen. Sie wurde einen Tag verschoben, um eine Verstärkung der Aufstands-Einheiten der Polizei abzuwarten, die aus Athen eintreffen sollte. Gegen 3 Uhr 30 in der Nacht zum Sonntag schwärmten zahllose Aufstandspolizisten durch das Gebiet und umstellten das Flüchtlingslager. Um 5 Uhr hatten sie alle Straßen, die zum Lager führten abgeriegelt. Ein Klima der Angst entstand. Im Lager selbst befanden sich nur noch rund 150 Immigranten. Sie wussten zu diesem Zeitpunkt, dass sie keine Chance mehr hatten, sich und ihre provisorischen Unterkünfte zu verteidigen - nach mehreren Wochen der kontinuierlichen Repression, der Verhaftungen und des staatlichen Terrors. Einigen gelang es, in letzter Sekunde aus dem Lager zu entkommen, bevor man sie verhaften konnte. Die anderen wurden den Behörden übergeben. Für die Demonstranten außerhalb des Lagers war es nicht mehr möglich, ins Lager zu kommen. Die wenigen Demonstranten, die sich, aus Gründen der Solidarität, im Innern aufhielten, wurden mitverhaftet. Sie wurden erst nach Beendigung der Operation wieder freigelassen. Der offensichtliche Grund für ihre Verhaftung, war, dass man keine Augenzeugen für die bevorstehenden kriminellen, staatsterroristischen Szenen haben wollte. Zeitgleich fand auf der anderen Hafenseite von Patras eine zweite Operation statt. Im Fadenkreuz dieser Aktion standen hauptsächlich somalische und arabische Immigranten. Diese Aktion führte zu einer fürchterlichen Menschenhatz im Zentrum von Patras. Das von den Afghanen errichtete Flüchtlingslager in der griechischen Großstadt Patras existiert nun seit wenigen Tagen nicht mehr. Es war eines von zahllosen ähnlichen Camps in der Region bzw. in ganz Griechenland. In diesem Lager hatten viele Kriegsflüchtlinge und Immigranten - die meisten aus Afghanistan, aber auch aus Pakistan und dem Iran - Zuflucht gefunden. Schwer zu sagen, wieviele Menschen in dem Lager lebten, denn viele nutzen es als Ausgangspunkt, um - ohne Papiere und unter Lebensgefahr - (über Italien) in eines der nördlichen EU-Länder zu gelangen. Das war zumindest ihre Hoffnung. Vor allem in den Sommermonaten stieg die Zahl der LagerbewohnerInnen bis auf 1.500 an. Anschließend wurden es wieder weniger: Einigen Immigranten gelang die Flucht nach Italien, andere starben an Infektionskrankheiten oder verhungerten, wieder andere wurden verhaftet, festgehalten und deportiert. Griechenland kann nicht gerade als gastfreundliches Immigrationsland bezeichnet werden. Asylsuchende in Deutschland und anderen europäischen Staaten werden - ohne dass eine sorgfältige Bearbeitung ihres Asylantrages erfolgt wäre -, nach Griechenland zurückgeschickt. Griechenland übernimmt anschließend die Verantwortung für die Unterbringung bzw. Abschiebung dieser Immigranten. In den meisten Fällen läuft es natürlich auf Letzteres hinaus. Die legale Grundlage für diese Praxis ist das Abkommen "Dublin II". Laut dieser Regelung der Europäischen Union ist der Staat, in dem ein Asylsuchender / eine Asylsuchende europäischen Boden betritt, für dessen/deren Asylantrag zuständig. Für Viele (vor allem Iraker, Afghanen, Iraner und Somalis), deren Fluchtroute über die Ägäis nach Griechenland verläuft -, bedeutet dies, dass Griechenland der für sie zuständige Staat ist. Aus der Türkei führen zwei Routen nach Griechenland. Die eine liegt in der Region des Evros-Flusses im Nordosten, im griechisch-türkischen Grenzgebiet. Viele Flüchtlinge und Immigranten sterben hier, weil sie auf Landminen treten, oder sie ersticken in Lastwagen, die von der Mafia für den Menschenschmuggel ins Landesinnere eingesetzt werden. Die zweite Route führt über die östliche Ecke des Mittelmeeres. Von hier versuchen die Flüchtlinge, auf eine der griechischen Inseln zu gelangen, die nur wenige Kilometer vom türkischen Festland entfernt liegen. Die Inseln in der nördlichen Ägäis - vor allem Samos, Lesbos und Chios - sind für jene Flüchtlinge, die per Schiff kommen, wichtige Schlupflöcher für die Einreise in die EU. Auch viele dieser Flüchtlinge und Immigranten verlieren ihr Leben. Sie werden durch achtlose Schüsse der Küstenwache getötet oder ertrinken, weil ihre selbstgebauten Dinghie-Boote überladen sind. Allein 2008 wurden 181 Menschen getötet, als sie versuchten, die Grenze zu Griechenland zu überschreiten. Insgesamt starben im Jahr 2008 1502 Menschen beim Versuch, die ‘Festung Europa’ zu erreichen. Allerdings wird befürchtet, dass die Zahl höher sein könnte, da die Presse nur über tatsächliche Leichen öffentlich informiert und berichtet. Große Sorgen bereiten zudem Berichte von Asylsuchenden in Deutschland, die während ihrer Befragungen angaben, Griechenland habe ihnen nicht die Möglichkeit eingeräumt, einen Asylantrag zu stellen (wie es die Flüchlingskonvention 1951 vorsieht), als sie noch dort waren. Auch die Zahl der Flüchtlinge, die über Misshandlungen durch die griechische Küstenwache berichten, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Dennoch schlug der griechische Premierminister vor kurzem die Verstärkung der (privaten Küstenwache) Frontex (European Frontier Control Agency) durch eine ‘europäische Küstenwache’ vor, um die maritime Überwachung zu verbessern. Es fällt den Menschen schwer, zu beschreiben, unter welchen Bedingungen sie im Lager Patras lebten. Die Polizei hatte das Lager (24/7) abgeriegelt. Sie sollten nicht hinausgelangen. Die Menschen mussten sich heimlich hinausstehlen, um irgendetwas zu essen zu organisieren. Auch die Infrastruktur des Lagers war mehr als unzureichend. Es gab nur einige provisorische Hütten, in denen die Menschen dichtgedrängt zusammenlebten und versuchten, zu überleben. Es gab weder Wasser noch sanitäre Anlagen. Im Mai hatten einige Aktivisten versucht, eine Wasserversorgung zu installieren, aber einige Tage nach ihrer Fertigstellung wurde ein Sabotageakt gegen diese Anlage verübt. Die Solidaritätsbewegung, die sich mit den Flüchtlingen solidarisierte, nahm immer mehr zu. Ihren Höhepunkt erreichte sie im September 2008, als in der Nähe des Lagers ein Solidaritäts-Camp errichtet wurde (‘No Borders Camp’). Auch die Flüchtlinge beteiligten sich aktiv - nicht nur an den Diskussionen sondern auch an den Demonstrationen im Zentrum von Patras. Das Lager lag in einer besseren Gegend von Patras. Ringsum standen Gebäude. Einige waren noch nicht fertiggestellt, weil die Baufinanzierer befürchteten, ihre Objekte - aufgrund des "schrecklichen Images" des Lagers - nicht verkaufen zu können. In den Mainstream-Medien wurde ständig und in scharfer Form Propaganda gegen das Lager bzw. gegen Einwanderung im allgemeinen betrieben. Vor allem die lokalen Medien taten sich in dieser Hinsicht hervor. Interessant waren die Zeitungsschlagzeilen am Tag nach der Zerstörung des Lagers: "Es war Zeit, diese Schande zu zerstören!" oder "Der Abszess ist endlich weg". Viele Schlagzeilen lauteten vergleichbar. Ein großer Teil der Bevölkerung von Patras stand dem Flüchtlingslager schon immer feindselig gegenüber. Sogar eine Petition gegen das Lager wurde organisiert. Die Leute verstehen nicht, was für gravierende Folgen eine Abschiebung hat, oder was es für Immigranten bedeutet, nach ihrer Verhaftung durch die Polizei gefoltert zu werden. Nach der Zerstörung des Flüchtlingslagers kehrt die Stadt Patras zur Normalität zurück. Business as usual. Die Bauherren können endlich an ihren schrecklichen Hochhäusern weiterbauen, der Bürgermeister hat sein Wahlversprechen erfüllt, die politischen Parteien müssen keine unangenehmen Diskussionen über das "enorme Flüchtlingsproblem" mehr fürchten und können die Öffentlichkeit weiter beeinflussen, und die Polizei hat - nach ihrem Erfolg - an Selbstbewusstsein gewonnen. Patras wurde von der "gefährlichen Flüchtlingsseuche" dekontaminiert. Wer wird als Nächstes dran sein? Die Antwort liegt auf der Hand: Sämtliche Stimmen des Widerstandes sollen zum Schweigen gebracht werden. Schon seit geraumer Zeit erklärt die griechische Regierung ihre Absicht, alle Stimmen des Dissenses zu unterdrücken. Vor allem die Bewegung des Widerstandes ist in die Schusslinie geraten. Das Dogma der "Null Toleranz" wird als Begründung herangezogen, um noch repressivere Regelungen durchzusetzen und die besetzten Sozialzentren zu kriminalisieren. Sondergesetze werden erlassen, die zum Beispiel das Tragen einer Kapuze während einer Demo verbieten. Gleichzeitig wird der Versuch unternommen, ungeheure Datenmengen zu sammeln—durch DNA-Proben, Fingerabdrücken usw. sowie durch das Anbringen möglichst vieler CCTV-Kameras in urbanen Bereichen. Der Minister für Öffentliche Ordnung redete Klartext, als er proklamierte: "Zuerst werden wir uns die Immigranten vornehmen, dann die Anarchisten". Konsequenz: Der Sicherheitsstaat schlägt zu. Mit Berlusconi als Vorbild koordiniert man sich prächtig mit sämtlichen rechtsextremen Gruppen - wie der faschistischen Gruppierung "Golden Dawn". Das totalitäre Schema war über die letzten Monate ständig erkennbar. So wurden beispielsweise in den Straßen Athens Immigranten verprügelt oder sogar erschossen. Der Eingangsbereich von Spielplätzen wurde für Immigrantenkinder blockiert…. Als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen brachen vor ein paar Wochen in einem zentralen Bezirk Athens massive Auseinandersetzungen mit der Polizei und den Faschisten auf der einen Seite und aktiven Bürgern auf der anderen Seite aus. Die Polizei scheint entschlossener denn je, mit Hilfe ihrer Nazi-Kollaborateure Immigranten zu verhaften, zu deportieren, zu foltern und öffentlich zu demütigen. Vor kurzem versuchten sie, eine antirassistische Demo in Athen zu verbieten und zu verhindern, indem sie Molotow-Cocktails und Pflastersteine in die Reihen der unbewaffneten Demonstranten schleuderten. Aber nicht nur der Sicherheitsstaat schlägt zurück, auch die Bewegung schlägt zurück. Das politische Erbe der Dezember-Revolte ist enorm groß und vielfältig. Es steht der Gesellschaft zur Verfügung. Die wichtigste Lektion, die wir lernen mussten: Eine Bewegung muss unter allen Umständen effektiv und konsequent sein. Abgesehen davon, dass wir für gemeinsame Ziele zusammenkommen, sollten sich die Bürgerinnen und Bürger auch in möglichst vielen lokalen Versammlungen organisieren - nach dem Prinzip der direkten Demokratie und der Selbstverwaltung. Es gibt bereits viele derartige Initiativen (die meistens erfolgreich sind), mit denen wir zum Beispiel den öffentlichen Raum (aufgegebene Grünflächen oder leere Militärkasernen, die als private Parkplätze oder private Siedlungen für die Profite der Bosse und des Staates verplant werden) wieder für uns reklamieren. Hinzu kommt, dass das politische Erbe des letzten Dezembers auch die Arbeiterbewegung betrifft. Die Arbeiter, die ihre Jobs verloren, weil sie im Dezember solidarisch mit den Demonstranten streikten, wurden von der Bewegung in ihre Arme geschlossen. Ihr selbstorganisierter Kampf geht weiter. Davon abgesehen gewinnen autonome Gewerkschaften allmählich immer mehr an Unterstützung. Hinzu kommen die Graswurzel-Kämpfe gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Repression und Terrorgesetze reichen nicht aus, um eine Bewegung, die allmählich immer größer und effektiver wird aufzuhalten. Gerade heute arbeitet die Bewegung nicht für die Notleidenden sondern mit den Notleidenden, nicht für die Gesellschaft sondern mit ihr. Die Bewegung hat immer wieder bewiesen, dass ihr das von den Mainstream-Medien verpasste Image nichts anhaben kann. Dieses Image spiegelt nur eine erfundene "öffentliche Meinung" wider. Die wahre öffentliche Meinung zeigt sich auf der Straße und im Alltag. Auch wenn sie vielleicht eine Stimme zum Schweigen bringen können, tausende Stimmen werden weiter ertönen. Quelle: ZNet Deutschland vom 22.07.2009. Originalartikel: Greece Immigrant Repression . Übersetzt von: Andrea Noll. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|