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Die Wahrheit über die Wahlen in Afghanistan

Von Patrick Cockburn, 24.08.2009 - Counterpunch / ZNet

Im Irak und in Afghanistan sind die britischen und amerikanischen Streitkräfte mittlerweile Partizipanten in Bürgerkriegen. Ihre Präsens vor Ort verlängert und verstärkt diese Kriege. Die Regierungen Großbritanniens und der USA ignorieren, in welchem Ausmaß die ausländischen Militärbesatzungen den Irak und Afghanistan destabilisiert haben.

Die Gründe sollten eigentlich auf der Hand liegen: Im Laufe der Geschichte waren ausländische Besatzungen selten populär. Besatzer pflegen in erster Linie ihre eigenen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen zu beachten - bevor sie sich mit den Interessen verbündeter Regierungen, die sie angeblich unterstützen, abgeben. Die Regierungen in Bagdad und Kabul waren daher delegitimiert. Ihre Gegner konnten sich als patriotische Opposition gebärden. Hinzu kommt, dass ausländische Armeen - was immer die erklärte Absicht sein mag -, ihre Autorität mit Gewalt durchsetzen, wodurch es automatisch zu Spannungen mit der Bevölkerung vor Ort kommt.

Schon allein die Tatsache, dass diese Woche in Afghanistan Wahlen stattfanden, wird in der westlichen Presse begrüßt. Es sei ein Triumph der Demokratie - unter weiser Aufsicht von Soldaten aus Amerika, Großbritannien, der Nato. Die Afghanen allerdings sind mehr daran interessiert, zu erfahren, wer tatsächlich die Macht innehat und wie sie ausgeübt wird.

Präsident Hamid Karsai ist nicht sonderlich populär. Als Herausforderer ist er in einer starken Position - durch ein Netzwerk an Patronage, deren Ziel es ist, die Unterstützung lokaler und regionaler Königsmacher (Kriegsherren, Polizeichefs, religiöse und ethnische Führer und der Schuras [lokale Räte]) zu gewinnen. Was bei der Berichterstattung über Wahlen in Afghanistan oder im Irak nie zur Sprache kommt, ist, wie sehr die Afghanen und Iraker ihre Regierungen als Werkzeuge in der Hand von Politgangstern sehen, die diese Regierungen für ihre eigenen Zwecke einspannen. In Bagdad und Kabul hörte ich immer wieder folgende Begründung, warum man die herrschende Führung wiederwähle: Sie habe bereits soviel gestohlen, dass sie nicht weiterstehlen müsse. Eine neue Regierung wäre nicht weniger gierig aber weit hungriger. Wie ausgeprägt diese extrem sarkastische Haltung in Afghanistan ist, zeigt die niedrige Wahlbeteiligung, die, laut neuesten Schätzungen, zwischen 40 und 50 Prozent lag.

Wird die Wahl in Afghanistan das Ende des Krieges näherrücken lassen bzw. die Regierung in Kabul stärken? Falls Karsai gewinnt, wird er behaupten können, als gewählter Regierungschef aus einer echten Wahl hervorgegangen zu sein, falls nicht, wird die Stimmenauszählung die Macht jener Leute bestätigen, die häufig als ‘Warlords’ bezeichnet werden. Diese Kriegsherren waren einst - als ‘Nordallianz’ - die Überraschungssieger im Bürgerkrieg mit den Taliban (die fast alle aus Paschtunengemeinden kommen (die Paschtunen stellen 42% der afghanischen Bevölkerung)). Die ‘Nordallianz’ bestand überwiegend aus Nichtpaschtunen.

Kurz vor dem 11. September 2001 sah sich die ‘Nordallianz’ in die Ecke gedrängt. Sie saß im Nordosten Afghanistans fest und schien kurz vor ihrer endgültigen Niederlage. Aber wenige Monate, nachdem die USA sich entschlossen, die Taliban, die der Al-Kaida Gastfreundschaft gewährt hatten, aus Afghanistan zu vertreiben, gelang es der ‘Nordallianz’, ganz Afghanistan zu übernehmen - dank amerikanischen Geldes und amerikanischer Luftstreitkräfte. Die Afghanen waren mehr als froh über das offensichtliche Ende der Taliban, deren Siege durch die Unterstützung des pakistanischen Militärgeheimdienstes und saudisches Geld ermöglicht worden waren.

Wer gegen die Taliban war, war jedoch nicht automatisch für die ‘Nordallianz’. Die Führer der ‘Nordallianz’ erwiesen sich als gierig auf Posten und Macht. Ich habe 2001 mehrere Monate in einer Hochburg der ‘Nordallianz verbracht - im Panjshir-Tal, nördlich von Kabul. Als ich Anfang des Jahres 2009 in die Region zurückkehrte, war ich erstaunt, wieviele Warlords, die ich noch aus jener Zeit kannte, noch immer lukrative Posten in Kabul bekleideten und so das Monopol auf Arbeitsplätze und Verträge hatten. Es ist absurd, wenn ausländische Regierungen heute jammern, weil Präsident Karsai den Tadschiken-Warlord Muhammad Fahim und dessen Gegenpart, den Hazara-Warlord Karim Khalili, in sein Wahlkampfteam aufgenommen hat. (Beide werden beschuldigt, Menschenrechtsverstöße begangen zu haben.) Miit ihrer Ernennung trug Karsai lediglich der Stärke der auf "ungesunde" Weise etablierten Macht-Broker aus der nicht-paschtunischen Gemeinde Rechnung. Es mag sich um äußerst schmutzige, extrem korrupte politische Machtstrukturen handeln, aber es sind diese Strukturen, für deren Erhalt Briten und Amerikaner kämpfen.

Sie haben noch einen langen Weg vor sich. In Afghanistan war die Präsens ausländischer Streitkräfte am Anfang wesentlich akzeptierter, als dies im Irak je der Fall war. Zum Teil liegt das daran, dass die kurdischen Gebiete im Irak nicht okkupiert wurden. In weiten Teilen Afghanistans lief es anders. 25% aller Afghanen sagen heute, sie seien für Anschläge gegen US-Truppen bzw. gegen die Truppen von Nato/ISAF. In Regionen, in denen die Menschen von Luftschlägen und Granatbeschuss berichten, stieg diese Akzeptanz gar auf 44%. Das ergab eine Studie von ABC News/BBC/ARD. Nur 18 Prozent der Afghanen sind für eine Aufstockung ausländischer Truppen in Afghanistan, 44% sind für die Verminderung der Truppenstärke. Dies läuft den Plänen Washingtons zuwider. Die Taliban, die einst zu Schurken erklärt wurden - sie seien pakistanische Marionetten, hieß es -, können einen gewissen Erfolg verbuchen, wenn sie heute wieder versuchen, sich als afghanische Nationalisten darzustellen.

Einer der deprimierendesten Aspekte des britischen und amerikanischen Waffengangs in Afghanistan ist, wie wenig Lehren aus dem Irak gezogen wurden. Eine dieser Lehren hätte gelautet: Besatzungen durch ausländische Truppen sind unpopulär und werden es im Laufe der Zeit immer mehr. Irak und Afghanistan sind Länder mit einer tiefgreifenden religiösen und ethnischen Spaltung. Die ausländischen Besatzer finden sich - ob sie wollen oder nicht -, auf einer Seiten des Bürgerkrieges wider.

Weil Propaganda die Leitlinie war und ist, um zu beurteilen, was im Irak passierte und was in Afghanistan passieren sollte, sind die Lehren aus der Irakerfahrung so gering. In dieser Woche fand eine hirnlose Debatte statt - nachdem bei mehreren Bombenattentaten in Bagdad mehr als 100 Menschen getötet worden waren. Die Debatte drehte sich um die Frage, ob der Rückzug des amerikanischen Militärs aus den Großstädten (des Irak) zu früh erfolgt sei oder nicht. In Wirklichkeit gab es seit Ende 2008 kaum noch US-Patrouillen in Bagdad. Und noch etwas ist wichtig: Auch als die Amerikaner noch die militärische Kontrolle über Bagdad hatten, konnten sie nicht verhindern, dass Selbstmordattentäter mit Fahrzeugen voller Sprengstoff in der Stadt herumfuhren und ihn zur Explosion brachten.

Der größte Erfolg der Amerikaner im Irak bestand darin, dass sie es schafften, die Schiiten und Kurden gegen die Sunniten zu unterstützen. In einem Nebenvertrag mit sunnitischen Aufständischen gelang es dem US-Militär, die Sunniten gegen die Al-Kaida aufzubringen. Die Sunniten brauchten ein Übereinkommen mit den Amerikanern, weil sie im Bürgerkrieg mit den Schiiten den Kürzeren gezogen hätten. Die jüngsten Bomben kommen wahrscheinlich von sunnitischen Gruppen, die Al-Kaida dazu benutzen wollen, ihre brutale Botschaft an die irakische Regierung zu überbringen: Wir lassen uns nicht ausgrenzen. In einigen Washingtoner Thinktanks ist es populär zu glauben, der Krieg im Irak sei durch einige - offensichtlich taktische - Innovationen gewonnen worden, und man könne in Afghanistan ebenso verfahren. Dieses Denken führt komplett in die Irre. Es wird Großbritannien und Amerika noch tiefer in den Sumpf hineinreißen.

Patrick Cockburn ist ein irischer Journalist. Er arbeitete seit 1979 als Nahostkorrespondent für die Financial Times. Heute schreib er für den Independent. Als einer der wenigen Journalisten blieb er während des ersten Golfkriegs im Irak. Sein neues Buch heißt ‘Muqtada: Muqtada Al-Sadr, the Shia Revival and the Struggle for Iraq’.

 

Quelle:  ZNet Deutschland vom 28.08.2009. Originalartikel: The Truth About The Afghan Election . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

29. August 2009

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