Kerzen statt Steine - 20 Jahre Friedliche Revolution
Friedensgebete und Demonstrationen, dann "Runde Tische" und schließlich freie Wahlen - innerhalb von wenigen Monaten zerriss die Friedliche Revolution den "Eisernen Vorhang" und hob damit die Teilung Europas auf. Die Sehnsucht nach Freiheit beendete 40 Jahre DDR ohne Blutvergießen. Rudolf Albrecht und
Schorsch Meusel
, die damals längst schon in Oppositionskreisen der DDR aktiv waren, halten Rückblick, geben einen Einblick in ihr eigenes Erleben in der unabhängigen Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der DDR und einen Ausblick auf zukünftig Notwendiges.
Kerzen statt Steine - 20 Jahre Friedliche Revolution
Von Rudolf Albrecht
Oft, wenn ich mich an die spannende Zeit der friedlichen Revolution 1989 erinnere, fallen mir Worte aus dem Psalm 126 ein:
"Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie, die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein … Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich."
Ja, Großes: dass kein Blut floss und dass wir die Gewaltfreiheit gelebt und durchgehalten haben. (Der Volkskammerpräsident Horst Sindermann sagte kurz vor seinem Tod im "Spiegel"- Interview: "Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.")
Ja, Großes: dass wir einen langen Atem behalten haben und es erlebten, dass aus einzelnen Rinnsalen Bäche, Flüsse und zuletzt ein gewaltiger Strom wurden.
Dabei gingen von Dresden wichtige Impulse aus. Christof Ziemer, Superintendent in Dresden, dessen Zivilcourage ich viel verdanke, sagte im Rückblick auf einen Vorwurf, wir wären in Dresden bei Aktionen zu vorsichtig gewesen: "Ich hatte keine besondere Intention, Dinge groß publik zu machen, d.h. mittels des Westfernsehens Dinge zu bewegen, was sehr häufig die Taktik der Berliner oder auch der Jenaer gewesen ist. Wir haben einen etwas leiseren Weg, aber mit längerem Atem angestrebt."
Initiatoren waren in den 70er Jahren u.a. Künstler, Ökologie und Friedensbewegte - ehemalige
Bausoldaten
wie ich, die bei der Militarisierung in allen Lebensbereichen die Alternative "Frieden schaffen ohne Waffen" suchten.
Dresden als Kristallisationspunkt erlebte ich bei den Gedenkgottesdiensten jeweils am 13. Februar, dem Tag der Zerstörung 1945, bei den Friedensdekaden ab 1980 mit dem Aufnäher des Friedenssymbols "Schwerter zu Pflugscharen" 1981/82), die Forderung nach einem "Sozialen Friedensdienst" 1981 und die Einladung und Vorbereitung der "Ökumenischen Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" 1988/89. (Deren Texte wurden im April ‘89 von 21 Kirchen und Konfessionen angenommen und Anfang 1990 in viele Parteiprogramme aufgenommen.)
Beim "Sozialen Friedensdienst" ging es um die Forderung, statt 18 Monate Wehr- oder waffenlosem Dienst 24 Monate in Alten- und Pflegeheimen zu arbeiten, was die SED rigoros ablehnte. Aber die Eingaben von ca. 5.000 Jugendlichen an ihre Landessynoden gaben den Anstoß, dass sich die Kirchen intensiver mit der Friedensfrage befassen mussten. Auch das sehe ich als Gottesgeschenk, dass während der Ökumenischen Versammlung 15 Monate lang Vertreter der Kirchenleitung und der Basis in Kommissionen miteinander arbeiteten, so dass kein Keil zwischen beide getrieben werden konnte. (Vorher hörte man manchmal an der Basis: Ja, oben gibt’s Cocktails - bei Staatsempfängen - und unten Magenbitter!)
Mich hat ein Seminar zum Thema Gewaltfreiheit mit
Hildegard Goss-Mayr
, das 1983 sogar in der DDR stattfand, besonders geprägt. Das politisch Vernünftige zu tun, gewaltfrei, aus christlicher Motivation heraus, hatte ich schon bei
Martin Luther King
gelernt. "Neues Denken" (Perestroika) ist bis heute unübersehbar in der Bergpredigt Jesu (Mt 5-7) zu finden. "Schwerter zu Pflugscharen" (Jesaja 2, Micha 4) war als Denkmal gestaltet, das die Sowjetunion der UNO geschenkt hatte. Wir griffen das gern auf als eindeutiges Zeichen der ostdeutschen Friedensbewegung. Im Februar/März 1982, auf dem Höhepunkt der Repressalien, gestaltete Matthias Klemm ein eindrucksvolles Plakat, das lange in der Leipziger Thomaskirche hing: der gekreuzigte Christus mit dem Eil-Aufkleber "Angeklagt der Anstiftung zum Frieden"! Als 1983 Raketen stationiert wurden in Ost- und Westdeutschland, trafen wir uns in Dresden zwei Monate lang zu einem Tag-Nacht-Gebet, was jährlich dann während der Friedensdekade fortgesetzt wurde. Von Anfang an war das geistliche, spirituelle Element in unserer Arbeit unabdingbar.
In Sachsen hatten Friedensseminare besonderes Gewicht. Zwei Wochenenden im Jahr zog es DDR-weit viele Menschen an, besonders Jugendliche, die unter der massiven Werbung für das Militär litten. In Königswalde bei Zwickau, wo das Seminar auch heute stattfindet, waren es bis zu 600 Leute. (Erich Loest, der Schriftsteller, nannte Königswalde einen "Raum für Güte und Gewissen".) Ich hatte 1975 in Meißen mit 12 Personen angefangen. In den 80er Jahren kamen bis zu 400. Das "Seminar" wurde wirklich zu einer "Pflanzschule", wie es wörtlich übersetzt heißt. Wir kürzten es später scherzhaft MFS ab, natürlich nicht "Ministerium für Staatssicherheit", sondern "Meißner Friedensseminar".
Apropos Staatssicherheit. Zum Glück wussten wir nicht, wie stark wir "beschattet" wurden. Es freute mich natürlich, in den Stasi-Unterlagen zu finden, dass ich als OV (= Operativer Vorgang) "Pazifist" beäugt wurde. Besser konnten sie mein Anliegen nicht codieren! Und im Nachgang finde ich, dass das afrikanische Sprichwort stimmt: "Ein Floh macht einem Löwen oft mehr zu schaffen als ein Löwe einem Floh"!
Beim Friedensseminar war immer auch eine "Ermutigungsrunde" dabei. Leute konnten berichten, was sie versuchten beim "Frieden schaffen ohne Waffen", um anderen einen
Anstoß zu geben. Ein holländischer Teilnehmer beschrieb gut, was er in Meißen erlebte: Inspiration, Ermutigung, Geselligkeit. Ja, wir versuchten immer auch Frieden zu leben und zu feiern.
Und dann der Herbst 1989! Für mich wurde die Entwicklung beschleunigt durch:
- das Wissen: Gorbatschow schickt keine Panzer,
- den Wahlbetrug bei der Kommunalwahl im Mai
- die Solidarität (Fürbitte für Inhaftierte, Sammeln für Menschen, die mit "Ordnungsstrafen belegt" wurden),
- die offene Grenze über Ungarn,
alles gepaart mit dem Mut vieler Einzelner, besonders vieler junger Menschen.
Was für eine Gnade, dass die Gebetsandachten in den Kirchen Ausgangspunkt für Demonstrationen wurden. (Wo hätte man sich sonst treffen können?) Keine Gewalt - das wurde gepredigt, erbetet und gelebt.
Die geistliche Dimension finde ich bis heute neben "Schwerter zu Pflugscharen" in einem weiteren Symbol, das Symbol von Pax Christi, wo man an einem der schrecklichsten Orte Europas, in Auschwitz, auf den Stacheldraht eine Rose setzte.
Man kann das christlich deuten: Leiden Christi (Dornenkrone) und Auferstehung. Man kann es auch politisch deuten: Wozu bin ich/sind wir auf der Welt: dass der Stacheldraht zunimmt (Hass, Vorurteile, Abgrenzung, Folter, "Lager", …) oder die Rose (Toleranz, Einfühlungsvermögen, Güte, Duft, eine unverwüstliche Hoffnung, …)?
Ich denke, ein langer Atem bleibt in unserer Arbeit weiterhin nötig.
Rudolf Albrecht, Jg. 1942, 4 Kinder; 1965-66 leistete er in der DDR Wehrersatzdienst bei den Bausoldaten. Danach war er evangelischer Gemeindepfarrer von 1969-80 in Ziegenhain bei Meißen, 1980-96 in Dresden, von 1996-2007 in Langelsheim; seit 1975 war er als Gründer des "Meißener Friedensseminares", in der Beratung Wehrpflichtiger und als Mitarbeiter des Referats Friedensfragen der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR maßgeblich in der kirchlichen Friedensarbeit tätig; von 1992-96 war er und seit 2008 ist er im Vorstand des
Internationalen Versöhnungsbund - Deutscher Zweig
; er ist Fördermitglied beim Lebenshaus Schwäbische Alb.