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Bilder gegen den Krieg. Momentaufnahmen aus dem Iran (Teil 4): Gebirgswanderungen

Von Afsane Bahar, 6.10.2009

Ein Freund, der in Deutschland lebt und politisch aktiv ist, sagte mir nach der Lektüre der ersten Teile dieser Schriftreihe, ich sollte nur über erfolgreiche Personen aus dem Iran berichten. Er habe hier die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen nur mit Siegertypen identifizieren und ihnen Sympathie entgegenbringen. Über die erfolglosen, schwachen, gedemütigten Menschen sollte ich nicht berichten, das würde auf den Leser nur negativ wirken. Ich musste eine Weile über seinen Ratschlag nachdenken und kam zum Entschluss, diesen nicht zu befolgen. Es ist ja gut möglich, dass er aufgrund seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit mehr Erfahrung diesbezüglich gesammelt hat, und es mag auch sein, dass der Leser mich als Don Quichotte bezeichnet, das möchte ich in Kauf nehmen.

Erstens bin ich der Meinung, dass der Leser sich ein der Wahrheit entsprechendes Bild über die Menschen im Iran machen sollte, hierzu braucht er die ganze Bandbreite und nicht nur einen ausgewählten Teil des Spektrums. Zweitens habe ich einst gelernt, dass die herrschende Meinung in einer Gesellschaft, die Meinung der Herrschenden ist. Wenn diese Hypothese stimmt, dann gehört zu den Bedingungen für eine Änderung der ungerechten Verhältnisse, dass wir die dominierende Logik und Denkweise zwar sehr gut kennenlernen, diese jedoch nicht kritiklos übernehmen.

Teheran lag früher ca. 1600 m über dem Meeresspiegel. Inzwischen hat diese Höhenangabe deutlich zugenommen. Es ist keine Folge einer etwaigen Bewegung der Erdplatten, sondern die Folge der kurzsichtigen Denkweise der Menschen. Nördlich wird Teheran von der Gebirgskette Albors begrenzt. Diese Metropole ist in allen Himmelsrichtungen wie eine Krebsgeschwür gewachsen, auch nach Norden. So wurden große Areale der Gebirgskette zu Wohnflächen umgestaltet. Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich die heutigen Verhältnisse der Natur mit denen meiner Kindheit und Jugendzeit vergleiche und die Zerstörungen des ursprünglichen nördlichen Landschaft Teherans sehen muss.

Diese Gebirgskette ist eine von den wenigen Sachen, die ich in dieser Stadt sehr schätze. Es gibt inzwischen eine große Zahl von Menschen im Iran, die Wandern und Bergsteigen betreiben. Im Gebirge herrscht eine ganz andere Atmosphäre als in der Stadt. Hier muss man die von den Hütern der Moral auferlegten Einschränkungen nicht so sehr beachten und fürchten. Das iranische Regime hatte zwar einst vor, eine sogenannte Bergpolizei aufzustellen, um den Menschen auch diesen Schlupfwinkel zu berauben, die Pläne wurden jedoch nicht realisiert. Man trifft hier junge und alte Menschen, auch über 70jährige, die frohen Mutes die Natur und ihren Schönheit genießen.

Wenn ich mich in Teheran aufhalte, gehört zu dem Wochenendprogramm das Wandern immer dazu. Der harte Kern der Gruppe besteht aus meinem Vetter und einem anderen Verwandten. Andere stoßen unregelmäßig dazu. Sohrab, mein ca. 8 Jahre jüngerer Vetter ist Familienvater und Zahnarzt. Unterstützt und aufgemuntert durch seine Frau hat er vor einigen Jahren das Bergsteigen begonnen und hat inzwischen in verschieden Teilen Irans Gipfel bestiegen. Er ist ein gelassener Typ, der seinen inneren Ausgleich durch Meditation und seine Neigung zu Mystik anstrebt. Hier spielen sowohl iranische Vorbilder eine Rolle als auch übersetzte Texte u.a. aus Amerika. In den schulfreien Zeiten begleitet uns sein älterer, elfjähriger Sohn.

Esfandiar, der andere Verwandte, ist ebenfalls Familienvater und im selben Alter wie Sohrab. Ob wir donnerstags oder freitags die Wanderung vornehmen hängt von seinem Dienstplan ab. Unterwegs wird, in den unteren Abschnitten, über diverse Themen gesprochen. In den oberen Abschnitten, die oft schwieriger sind, konzentriert sich jeder auf das Atmen und Schritthalten.

Es gibt verschiedene Routen, die wir abwechselnd benutzen. Die eine Route führt nach Kolaktschal. Nach den ersten ca. 90 Minuten erreicht man eine Herberge, die zur Zeit des Schahs gebaut wurde. Einst wurde die Anlage von den Schüler- und Pfadfindergruppen benutzt. Hier befindet sich ein nicht zu Ende gebauter Turm, dessen Fassade aus Steinen besteht, die die Pfadfinder hochgeschleppt haben. Auf einigen Steinen ist das Datum und der Name der jeweiligen Gruppe eingemeißelt: verschiedene Landesteile sind vertreten; den Zeitangaben auf den Steinen nach, ist der Bau nach 1979 eingestellt worden. Diese Route, ist die einzige Route, die wir mit Vorsicht genießen. Hier sind die Angehörigen militärischer und paramilitärischer Gruppen öfters zu Übungszwecken unterwegs.

Panjekalagh, Schirpala und Totschal sind andere Ziele unserer Wanderungen. Auf der einen Route treffen wir fast regelmäßig Manutschehr, einen Herrn Ende fünfzig mit einer warmen Stimme, die alte und neue iranische Lieder singt. Ist mein anderer Verwandter, Ebrahim, dabei, so wird unser Genuss verdoppelt. Er hat ebenfalls eine wunderbare Stimme und kann auf Bestellung viele Lieder singen. Ebrahim hat Landwirtschaft studiert. Sein Interesse gilt jedoch der Dichtung und Musik. So hat er sich beruflich auch eine dichtende Aktivität ausgesucht und arbeitet in der Kommunikation- und Presseabteilung einer Teheraner Universität.

Üblicherweise legen wir gegen halb sechs los. Das hat einfache Gründe. So können wir den in den Höhen belastenden Sonnenschein zum Teil vermeiden, außerdem ist die morgendliche Ruhe, die nur von Vogelgesängen unterbrochen wird, sehr empfehlenswert. Obwohl wir relativ früh unsere Touren beginnen, treffen wir unterwegs Menschen, zum Teil ältere Frauen und Herren mit grauen Haaren, die sich bereits auf dem Rückweg befinden. Diese Menschen bewundere ich sehr, die trotz all der Last der Unannehmlichkeiten im Iran innerlich jung geblieben sind.

Zwei- oder dreimal im Jahr gibt es "Familienwanderungen". Hierzu werden einfache Routen ausgesucht, so dass die gesamte Familie sich beteiligen kann. In einem Umkreis von ca. 80 km befinden sich verschiedene wunderschöne Ziele. Während der Fahrt zu diesen Zielen fällt ein Phänomen besonders auf. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich immer mehr Teheraner außerhalb der Großstadt eine Wohnung oder ein Haus angeschafft, um an den Wochenenden bzw. in den Ferien der Luftverschmutzung, dem Lärm und der Hektik zu entkommen. Der Markt blüht und die Natur muss wieder einmal den Kürzeren ziehen.


Die Autorin Afsane Bahar über sich selbst:

Ganz kurz möchte ich zu meiner Person etwas erwähnen. Seit Jahren lebe ich in Deutschland und bin ärztlich tätig. Meine Eltern, inzwischen 70 bzw. 80 Jahre alt, leben im Iran, und ich möchte sie weiterhin besuchen dürfen. "Afsane" bedeutet Fabel, Märchen oder Legende. Und "Bahar" ist der Frühling, die frohe Botschaft, dass die Wurzeln trotz des Verlustes der Blätter im Herbst und trotz der klirrenden Kälte im Winter intakt sind und das Leben weitergeht. So ist "Afsane Bahar" zustande gekommen.

Erwarten Sie nicht, dass ich ein neutraler, unparteiischer Beobachter sein werde. Nein, ich habe so viele schmerzenden Narben im Gesicht, auf dem Rücken, auf den Fußsohlen und Händen und eine Vielzahl von noch hässlicheren inneren Wunden, die man nicht sehen kann, so dass Neutralität ein Fremdwort sein wird. Ich werde jedoch versuchen, fair zu bleiben.

"Bilder gegen den Krieg. Momentaufnahmen aus dem Iran" von Afsane Bahar wird fortgesetzt. Die bisher veröffentlichten Teile finden sich unter:

Veröffentlicht am

28. Oktober 2009

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