Noam Chomsky: Krieg, Frieden und der Friedensnobelpreis für ObamaVon Noam Chomsky, 05.11.2009 - In These Times Die Hoffnung auf Frieden und die Aussicht auf Frieden gehen - nicht annähernd - Hand in Hand. Die Aufgabe besteht darin, sie einander näher zu bringen. Wahrscheinlich war dies auch die Absicht des Nobelpreiskomitees, als es Präsident Barack Obama auswählte. Der Preis "schien eine Art Gebet und eine Ermutigung durch das Nobelkomitee zu sein - für künftige Unternehmungen und für eine amerikanische Führung, die mehr konsensorientiert sein sollte", schrieben Steven Erlanger und Sheryl Gay Stolberg in der New York Times. Die Art, wie sich der Übergang von Bush zu Obama vollzog, trug in direkter Weise dazu bei, dass diese Gebete und Ermutigungen für Fortschritt realistischer erschienen. Die Anliegen des Nobelpreiskomitees waren stichhaltig, denn sie bezogen sich insbesondere auf Obamas Aussagen zur Reduzierung der Atomwaffen. Heute beherrschen die Nuklearambitionen des Iran die Schlagzeilen. Der Iran verberge etwas vor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), wird gewarnt. Er verstoße gegen UN-Sicherheitsratsresolution 1887, die im vergangenen Monat beschlossen wurde und als Erfolg Obamas gefeiert wurde - in seinem Bemühen, den Iran unter Kontrolle zu halten. Außerdem wird immer noch darüber diskutiert, ob die aktuelle Entscheidung Obamas, das (geplante) Raketen-Abwehr-System für Europa neu zu konzipieren, eine Kapitulation gegenüber Russland sei oder ein pragmatischer Schritt, um den Westen vor einem iranischen Atomangriff zu schützen? Was nicht gesagt wird, sagt oft mehr als lautes Geschrei. Wenden wir uns also dem Unausgesprochenen zu. Mitten in all der Aufregung um die Zweideutigkeiten des Iran, brachte die IAEA eine Resolution heraus, die Israel dazu aufruft, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten und seine Atomanlagen für Inspektionen zu öffnen. Die USA und Europa versuchten, die Resolution der Atomenergiebehörde zu blockieren. Sie wurde dennoch beschlossen. Die Medien ignorierten diesen Vorgang praktisch. Israel lehnt die Resolution ab, und die USA sicherten Israel dabei ihre Unterstützung zu. Es existiere ein stillschweigendes Abkommen, das es Israel erlaube, ein Atomarsenal - abgeschottet von Inspektionen - zu unterhalten. Das sagen Offizielle, die über das Abkommen Bescheid wissen. Aber auch in diesem Fall schwiegen die Medien. Indische Offizielle begrüßten die Sicherratsresolution 1887 und kündigten an, so schreibt die Financial Times: Indien "kann nun Atomwaffen bauen, die dieselbe Zerstörungskraft haben wie jene (Atombomben) in den Arsenalen der großen Atommächte der Welt". Sowohl Indien als auch Pakistan weiten ihre Atomwaffenprogramme aus. Zweimal kam es zwischen den beiden Ländern bereits zu einem Beinah-Atomkrieg, und die Probleme, die diese Beinahe-Katastrophe auslösten, sind bei weitem nicht beseitigt. Obamas Reaktion auf Resolution 1887 war eine andere. Einen Tag, bevor er den Friedensnobelpreis - für sein inspirierendes Friedensengagement - erhielt, kündigte das Pentagon die beschleunigte Lieferung der tödlichsten aller nichtnuklearen Waffen ihres Arsenals an. Es handelt sich um eine 13-Tonnen-Bombe, die von B-2- und B-52-Tarnkappenbombern abgeworfen wird und die sehr tief verborgene Bunker, die von bis zu 10.000 Pound (circa 5 000 Kilo) Beton, der noch verstärkt wurde, geschützt werden, durchschlagen kann. Es ist kein Geheimnis, dass die "Bunker-Buster" (Bunker-Brecher) gegen den Iran zum Einsatz kommen könnten. Planungen für eine solche "massive Bestellung von Durchschlägern" hatten bereits in den Bush-Jahren begonnen, zogen sich allerdings hin. Als Obama ins Amt kam, drängte er auf eine beschleunigte Entwicklung. Die Resolution 1887 wurde im Sicherheitsrat einstimmig angenommen. Sie fordert ein Ende von Gewaltandrohungen, und sie fordert alle Länder dazu auf, dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) beizutreten. Der Iran ist dem NPT schon vor Jahren beigetreten. Nichtbeitrittsländer sind Indien, Pakistan und Israel. Alle Drei wurden bei der Entwicklung ihrer Atomwaffen von den USA unterstützt - was einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag darstellt. Seit hunderten von Jahren ist der Iran in kein fremdes Land mehr einmarschiert - im Gegensatz zu den USA, Israel oder Indien (letzteres hält Kashmir brutal besetzt). Die vom Iran ausgehende Gefahr ist minimal. Hätte der Iran Atomwaffen mit entsprechenden Trägersystemen und wäre bereit, diese einzusetzen, würde das Land in Staub verwandelt. Zu glauben, der Iran würde Israel oder ein anderes Land mit Atomwaffen angreifen, "hieße anzunehmen, die iranischen Führer seien wahnsinnig" und freuten sich darauf, in "radioaktiven Staub" verwandelt zu werden, meint Strategieanalyst Leonard Weiss und fügt hinzu, dass die israelischen Unterseeboote mit Raketenträgersystemen, "für einen präemptiven militärischen Angriff praktisch wie gemacht sind" - vom immensen Arsenal der Amerikaner gar nicht zu reden Während der Marinemanöver im Juli ließ Israel seine U-Boote der Dolphinklasse - die mit Atomraketen bestückt werden können -, durch den Suezkanal bis ins Rote Meer gleiten, zum Teil in Begleitung von Kriegsschiffen. Sie bewegten sich bis zu einer Position, von wo aus sie den Iran hätten angreifen können. US-Vizepräsident Joe Biden sprach von ihrem "souveränen Recht". Es wäre nicht das erste Mal, dass bewusst Verschwiegenes plötzlich in die Schlagzeilen geriete - in solchen Gesellschaften, die ihre Freiheit schätzen und sich Sorgen um das Schicksal der Welt machen. Das Regime des Iran ist repressiv und hart. Niemand will, dass der Iran - oder ein anderes Land - Atomwaffen besitzt, aber ein wenig mehr Ehrlichkeit bei diesen problematischen Themen würde nicht schaden. Natürlich geht es beim Friedensnobelpreis nicht ausschließlich um die Verminderung der Gefahr eines endgültigen, tödlichen Atomkrieges, sondern generell um das Thema Krieg bzw. Kriegsvorbereitung, doch in dieser Hinsicht löste die Entscheidung für Barack Obama Überraschung aus - und nicht nur im Iran, der von den Besatzungsarmeen der Amerikaner umstellt ist. An den Grenzen des Iran, an den Grenzen Afghanistans und Pakistans hat Präsident Obama den Krieg seines Vorgängers Bushs ausgeweitet. Es ist wahrscheinlich, dass er diesen Kurs beibehalten und womöglich massiv verstärken wird. Obama hat klargestellt, dass die USA eine langfristige, massive Präsenz in der Region planen. Das verdeutlicht auch die riesige Stadt-in-der-Stadt - die so genannte amerikanische "Botschaft in Bagdad" (Bagdad Embassy) -, die mit keiner anderen Botschaft der Welt vergleichbar ist. Obama hat angekündigt, solche Mega-Botschaften auch in Islamabad und Kabul zu errichten. In Peschawar und an anderen Orten sollen riesige Konsulate entstehen. Parteilose, die mit der Überwachung des Haushalts und der Sicherheit der USA befasst sind, berichteten in Government Executive: "Mit der Forderung der Regierung von $538 Milliarden für das Verteidigungsministerium (für das Finanzjahr 2010), und ihrer erklärten Absicht, das Finanzierungsniveau auch in den kommenden Jahren auf hohem Niveau zu halten, befindet sich der Präsident auf bestem Wege, mehr reale Dollars für die Verteidigung auszugeben, als dies - seit dem Zweiten Weltkrieg - je ein Präsident in einer einzigen Amtsperiode tat. Die zusätzlichen $130 Milliarden, die die Regierung für die Finanzierung der Kriege im Irak und in Afghanistan für das kommende Jahr fordert, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt, und in den kommenden Jahren werden die Kriegsausgaben womöglich noch mehr steigen". Dem Nobelpreiskomitee hätten würdige Kandidaten zur Auswahl gestanden. Unter ihnen ragt besonders die bemerkenswerte afghanische Aktivistin Malalai Dschoja heraus. Diese mutige Frau hat die Russen und die radikalen Islamisten überlebt (die so brutal waren, dass die Bevölkerung die Taliban begrüßte). Doch Dschoja leistete auch den Taliban Widerstand. Heute leistet sie den Warlords, die unter Karsai zurückkehren, Widerstand. Stets hat sich diese Frau effektiv für die Menschenrechte eingesetzt - vor allem für die Frauenrechte. Sie wurde ins Parlament gewählt. Da sie dort die Gräuel der Warlords weiterhin anprangerte, bekam sie Parlamentsverbot. Heute lebt sie - unter massiven Sicherheitsvorkehrungen - im Untergrund. Dennoch setzt sie ihren Kampf fort - in Wort und Tat. Diese Taten (die überall und so gut wir es vermögen, Nachahmung finden) können erreichen, dass die Hoffnung auf Frieden und die Aussicht auf Frieden ein Stück näher rücken. Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und hat in den 60er Jahren die Vorstellungen über Sprache und Denken revolutioniert. Zugleich ist er einer der prominentesten und schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung und des US-Imperialismus.
Quelle: ZNet Deutschland vom 09.11.2009. Originalartikel: War, Peace, and Obama’s Nobel . Übersetzt von: Andrea Noll. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|