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FAO-Gipfel: Fasten gegen die Ignoranz

Die Welternährungsorganisation steht bei ihrem Gipfel in Rom auf verlorenem Posten. Die reichen Länder wollen erst selbst die Krise überwinden, bevor sie anderen helfen

 

Von Lutz Herden

Mit zwei spektakulären Aktionen hat Jacques Diouf, Generalsekretär der Welternährungsorganisation (FAO), versucht, den "Hunger-Gipfel" von Rom nicht scheitern zu lassen, bevor er überhaupt begonnen hat. Er verfasste eine leidenschaftliche Erklärung, in der es heißt, es gäbe "eine Milliarde Gründe, den Hunger in der Welt energisch zu bekämpfen", denn es gibt mehr als eine Milliarde Hungernde - eigentlich eine Milliarde Sterbende. Ein Sechstel der Weltbevölkerung - derzeit 1.050.000.000 Menschen haben Tag für Tag kaum etwas essen, so dass alle sechs Sekunden ein Kind an Unterernährung stirbt. Deshalb trat Diouf 48 Stunden vor der Konferenz in Rom zusammen mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in einen 24-stündigen Hungerstreik.

Fasten gegen den Hunger. Fasten gegen die Ignoranz. Gegen die Überzeugung, erst wenn die Reichen im Norden die Krise bewältigt haben, wird wieder Zeit sein, an die Armen im Süden zu denken. Der Senegalese Diouf reagiert mit einem Akt der Verzweiflung und Rastlosigkeit. Gewiss kann er damit Aufsehen erregen, aber kaum etwas bewirken. Die führenden Industriestaaten zeigen dem FAO-Gipfel allesamt die kalte Schulter. Bis auf Gastgeber Berlusconi, wird es keinen Staatschef der G8 nach Rom verschlagen. Die Hohen Kommissare der Menschenrechte, die sonst nicht müde werden, den Dalai Dalai mit Orden zu behängen, entziehen sich dort, wo es um das erste Menschenrecht überhaupt geht - das Recht auf Leben. Sie entgehen damit der unangenehmen Frage, was aus den Versprechen des G8-Gipfels von Heiligendamm 2007 und des G20-Gipfels von L’Aquila in diesem Jahr geworden ist. Wie viel von den angekündigten 20 Milliarden Entwicklungshilfe für die Landwirtschaft in Afrika fließen tatsächlich? Die britische Hilfsorganisation Oxfam spricht von einem Rinnsal. Viele der Zusagen seien bei vorherigen Gipfeltreffen schon einmal abgegeben und nur in neuem Gewand präsentiert worden.

Fallsucht der Rohstoffpreise

Man hatte geglaubt, der Kontinent, auf dem die Ärmsten der Armen zu überleben versuchen, werde wegen seiner ohnehin beschränkten Präsenz auf dem Weltmarkt von der Weltwirtschaftskrise nicht derart betroffen wie Europa oder Asien. Die Disproportionen im Welthandel bewirken das Gegenteil. Der Rohstoffexporteur Afrika leidet unter fallenden Rohstoffpreisen und kann das nicht durch andere Ausfuhren kompensieren. So wird in diesem Jahr für den Kontinent zwar ein Wachstum seines Bruttosozialprodukts von 2,6 bis 2,8 Prozent erwartet. Was auf den ersten Blick nicht sonderlich alarmierend scheint, aber letzten Endes doch ist: Denn ein hohes Bevölkerungswachstum degradiert dieses Plus zu Stagnation und Rückschritt. Um nur ein Beispiel zu nennen - ein Land wie Angola, das als Exporteur von Diamanten und Erdöl eigentlich gegen wirtschaftliche Rückschläge gefeit sein müsste, verbuchte 2008 noch einen Zuwachs von zwölf Prozent - die erwarteten minus sieben Prozent für 2009 sind ein Tiefschlag, der Ausgaben für die Ernährungssicherheit, vorzugsweise Investitionen für die Landwirtschaft, logischerweise drosselt.

Forderung seit 1964

Auswege hatten die Stiglitz-Kommission und der G192-Gipfel der Vereinten Nationen im Juni gewiesen. Deren Analyse war eindeutig: 200 Milliarden Dollar werden 2009 wegen der Krise in den 40 ärmsten Ländern der Erde fehlen, um elementaren staatlichen Aufgaben nachzukommen, zu denen nun einmal die Versorgung der Bevölkerung gehört. Da niemand für dieses Geld aufkommt, sollten aus den Konjunkturprogrammen der reichen Ländern 0,7 bis 1,0 Prozent der vorgesehenen Mittel für Entwicklungshilfe reserviert sein. Kaum jemand hat sich daran halten wollen, zu den wenigen die es taten, gehört die Bundesrepublik Deutschland. Stiglitz erinnerte in gewisser Weise auch daran, dass bereits 1964, auf der XIX. UN-Generalversammlung die Forderung erhoben und per Akklamation zur moralisch verbindlichen Norm erklärt wurde: 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes der gut situierten Industriestaaten für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. 45 Jahre danach liegen die entsprechenden Quoten im Schnitt zwischen 0,3 und 0,4 Prozent.

Die westlichen Staaten haben seit 1989/90 viel unter den Schirm ihres weitreichenden Sicherheitsbegriffs geholt, vom Rohstoff-Nachschub über die Handelsrouten bis zur Energieversorgung. Alles sicherheitsrelevant. Notfalls wird dem mit militärischem Instrumentarium Nachdruck verschafft. Im Blick auf Afrika käme niemand auf die Idee, den Staaten dort zumindest theoretisch gleiche Rechte zuzubilligen, wenn es "nur" um ihre Ernährungssicherheit geht - sprich: ein elementares menschliches Bedürfnis. Nur sind die vielen innerafrikanischen Bürgerkriege und Konfliktherde eben ein Indikator dafür, in welch starken Eruptionen sich die existenzielle Not ganzer Völker entladen kann, man denke nur an die sudanesische Provinz Darfur. Wer - von allen humanitären Motiven abgesehen - eine gesicherte Ernährung für die gesamte Weltbevölkerung nicht als Sicherheitsproblem ersten Ranges behandelt, zimmert an den Kriegen von morgen.

Quelle: der FREITAG vom 16.11.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

17. November 2009

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