Weniger wachsen - weniger arbeiten. Eine realistische AlternativeVon Mohssen Massarrat Vierzig Jahre nach der Katastrophe der 1920er- und 1930er-Jahre wiederholt sich die Tragödie im neuen Gewand des Neoliberalismus, der das Rad der Geschichte in das 19. Jahrhundert zurückdrehen möchte. Es ist den neoliberalen Ideologen, Parteien und Institutionen gelungen, die Nöte und sozialen Unsicherheiten der Menschen für ihre unsichtbare Diktatur und kulturelle Hegemonie zu instrumentalisieren und weltweit manchesterkapitalistische Bedingungen durchzusetzen. Das Ergebnis ist bekannt: um die 9 Millionen Arbeitslose, Niedriglöhner, Leiharbeiter und Hartz IV-Empfänger allein in Deutschland. Entgegen allen neoliberalen Verheißungen, durch Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und Liberalisierung des Handels sowie Stärkung der Wettbewerbspositionen der Unternehmer neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurden steigende Gewinne seit den 1970er-Jahren in Rationalisierung und Arbeitsplatzvernichtung (und vor allen Dingen auf den international deregulierten Finanzmärkten) investiert. Der Neoliberalismus brauchte die Massenerwerbslosigkeit, die überall, in Industriewie Auf Sand gebaut.Während die Massenarbeitslosigkeit zu-, die Lohnquote und Binnenkaufkraft von Millionen Menschen abnahmen und während die Regierungen, dem Credo der neoliberalen Ideologen folgend, den Großkonzernen Steuergeschenke in Milliardenhöhe machten, stiegen kontinuierlich die überschüssigen Kapitalmassen, die - der Wertschöpfung in der Realwirtschaft entzogen - nunmehr in den Händen der großen Kapital- und Aktieneigentümer nach Anlagesphären mit höchsten Renditen suchten. Allein aus Deutschland flossen im Jahr 2008 - um ein Beispiel zu nennen - 260 Milliarden Euro an überschüssigen Gewinnen und Einnahmen auf die internationalen Finanzmärkte. Durch die horrende Rentabilität von 25 Prozent und mehr in dieser virtuellen Welt gerieten Konzernmanager unter Druck, auch die Rendite in der Realwirtschaft entsprechend zu steigern, freilich durch Entlassungen, durch noch niedrigere Löhne und noch zügigeren Abbau der Sozialsysteme zulasten der arbeitenden Menschen. Wer nun meint, diese virtuelle Welt habe immerhin der Umwelt genützt, da sie Gelder absorbiert habe, die ansonsten in destruktive "Realprojekte" geflossen wären, der irrt. Denn alle Spekulationen haben eine materielle Basis, ob es sich nun um Öl-Aktien, Immobilienderivate oder Investitionen in Soja-Plantagen handelt. Diese Basis kann unterschiedlich groß sein. Geldströme entlang von Gütern, die kaum noch eine materielle Basis haben, wie ein auf dem Kunstmarkt gehandeltes Bild von Monet, sind der breiten Zirkulation meist längst entzogen und entspringen den changierenden Konten der Eliten. Neu abgeschöpfte Gewinne haben meist eine beträchtliche materielle Basis, wie die ganze Landstriche bedeckenden, auf Sand gebauten Einfamilienhäuser der amerikanischen Mittelschicht. Wenngleich sich der neoliberale Kapitalismus in einer historischen Legitimationskrise befindet, deutet politisch nichts darauf hin, dass ein Systemwechsel bevorsteht. Neoliberale Protagonisten sind mit aller Macht dabei, ihr System zu retten. Dies würde ihnen sogar auch gelingen, wenn die Opfer des neoliberalen Kapitalismus die Chance, die die zweite große Weltwirtschaftskrise zu einem Systemwechsel bietet, nicht nutzten. Ein Systemwechsel.Wenn es zwischen den beiden Krisen von 1929 und 2009 einen gravierenden Unterschied Das ist allerdings auch alles, wozu die Regierungen willens und fähig waren. Die in Deutschland, Europa und den USA beschlossenen "Rettungspakete" für Banken und Großkonzerne sowie Einzelmaßnahmen wie Abwrackprämien für Altautos oder Kurzarbeit sind off ensichtlich lediglich darauf angelegt, die Wucht der gegenwärtigen Weltwirtschafts- und Finanzkrise zu bremsen und deren Lasten durch mehrere Tausende Milliarden Euro Staatsverschuldung den künft igen Generationen aufzubürden. Alle bisher beschlossenen Maßnahmen - in Obamas USA ebenso wie in Merkels Deutschland, in Sarkozys Frankreich, in Browns England und Berlusconis Italien - sind genau das Gegenteil einer Lösung. Man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die wirklichen Ursachen der Krise noch nicht einmal erkannt worden sind. Dabei sind sie mit den Ursachen der ersten Weltwirtschaft skrise in den 1920er-Jahren verwandt, wie auch der Neoliberalismus dem klassischen Laissez-faire-Liberalismus zum Verwechseln ähnlich ist: Diese erste Variante des Kapitalismus führte in die erste Weltwirtschaftskrise, da die anarchische Logik der Einzelkapitalisten ("Nach mir die Sintflut") das ökonomische Geschehen bestimmte. Leider scheinen auch kluge Kritiker des Neoliberalismus aus ihren eigenen Diagnosen noch nicht die Konsequenzen gezogen zu haben, die für die Therapie geboten erscheinen. Joseph Stiglitz warnt zwar scharfsinnig vor Obamas Ersatzkapitalismus und legt dar, dass das 500-Milliarden-Rettungspaket der US-Regierung dazu führt, dass "die Banken gewinnen, die Investoren gewinnen - der Steuerzahler aber verliert" (Stiglitz 2009); er hat sich bisher jedoch darauf beschränkt, lediglich effizientere finanzpolitische Maßnahmen vorzuschlagen. Ähnliches gilt auch für den frisch gekürten Nobelpreisträger Paul Krugman, der sich ganz im Stil des klassischen Keynesianismus für ein umfassendes Konjunkturprogramm ausspricht und davor warnt, Staatsverschuldung zu tabuisieren (Krugman 2009). Grundsätzlich anders argumentiert auch Rudolf Hickel nicht, der zwar ein in sich konsistentes Programm "zur Regulierung des Kapitalismus" vorschlägt (Hickel 2009), dabei jedoch übersieht, dass seine Finanzregulierungsvorschläge keine angemessene Antwort auf die eigene Ursachenanalyse darstellen.Rudolf Hickel, führendes Mitglied der Memorandumgruppe "Alternative Wirtschaftspolitik", macht beispielsweise "die neoliberalen Vorfahrtsregeln für Gewinne" für die Finanzkrise verantwortlich, die "bei … Unternehmern und Reichen zu massiven Liquiditätsüberschüssen geführt hat. Diese Überschüsse strömten auf den Finanzmarkt." Kapitalsammelstellen wie Investmentfonds und Hedgefonds, so Hickel weiter, "zogen das Geld wie Staubsauger an" (FR vom 24.10.2008). Die Zeit dafür ist reif, dem neoliberalen Leitbild, das sich der Finanzwelt, dem Kapital und den Maschinen verpflichtet, ein anderes Leitbild, das aus den Interessen, Grundbedürfnissen und Grundrechten der Menschen herrührt, gegenüberzustellen. Abzusetzen ist keine ökonomische Theorie, die der Neoliberalismus nie war, sondern eine machtpolitische Strategie der Reichen, der Weltelite und mächtiger Staaten. Diese Strategie verdankte ihren Siegeszug nicht der eigenen konzeptionellen und moralischen Überlegenheit, sondern in erster Linie den Schwächen linker Parteien und Gewerkschaft en, letztlich der Krise des klassischen Dieser lieferte über mehrere Jahrzehnte in den OECD-Staaten wirkungsvolle Konzepte zur Eindämmung der Massenerwerbslosigkeit und war als Strategie zur Mobilisierung von Wachstumsressourcen während der Nachkriegsära in den Industriestaaten des Nordens mit ihren unerschöpflich erscheinenden Wachstumskapazitäten in der Tat unschlagbar. Wo aber Wachstumsressourcen zur Neige gehen, das Rationalisierungstempo rasant ansteigt und extensive durch intensive Wachstumsstrategien abgelöst werden, verlieren keynesianische Instrumente, auch hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen, ihre Durchschlagskraft. Hohe Wachstumsraten gehören in den hoch entwickelten kapitalistischen Staaten der Vergangenheit an, sie bewegen sich seit Anfang der siebziger Jahre tendenziell unterhalb der Steigerungsrate der Arbeitsproduktivität. In den entwickelten Industrieländern wird immer mehr gesellschaftlicher Reichtum mit immer weniger lebendiger Arbeit produziert, ganze Bevölkerungsschichten verlieren ihre Arbeit und werden auf Dauer vom Arbeitsprozess und vom Wirtschaftskreislauf abgekoppelt. Das hohe Rationalisierungstempo als Folge des flächendeckenden Einsatzes von High-Tech und Kommunikationstechnologien kann durch die Mobilisierung von neuen Wachstumskapazitäten trotz erheblicher Anstrengungen nicht mehr aufgefangen werden. Insgesamt scheint der klassische Keynesianismus, der gegenwärtig eine Renaissance erfährt,So fordern 40 Wissenschaftler aus dem Umkreis der Keynes-Gesellschaft in ihrem Aufruf "Mehr Keynes wagen" (FR vom 9/10.4.2009). außerstande zu sein, aus der Krise führen zu können. Die erste Weltwirtschaftskrise konnte durch einen Systemwechsel, weg vom Laissez-faire-Kapitalismus hin zum Keynesianischen Kapitalismus, überwunden werden. Auch heute steht ein Systemwechsel an. Die entscheidende Frage ist jedoch: wohin? Arbeitszeitverkürzung und Vollbeschäftigungskapitalismus ohne Wachstum.Zunächst müsste man sich von der Illusion eines ungebändigten Wachstums verabschieden und Nullwachstum als ökonomisch wie moralisch positives Ziel anerkennen. Nullwachstum auf hohem Niveau ist ein höchst anspruchsvolles Ziel, das Gestaltungspotentiale für ein "qualitativen" Wachstum - Ausbau von sozialen Dienstleistungen, der ökologischen Landwirtschaft und der regenerativen Energiequellen - mobilisiert. Eine Rückkehr zu höheren Wachstumsraten ist - selbst wenn sie erreichbar wäre - auch aus ökologischen Gründen alles andere als wünschenswert. Zweitens, als nächster Schritt, stünde der Aufbau eines "Vollbeschäftigungskapitalismus" auf der politischen Tagesordnung, der im Unterschied zum keynesianischen Kapitalismus nicht auf Wachstum beruht. Für eine Vollbeschäftigung durch Wachstum müssten über einen längeren Zeitraum Wachstumsraten von 3 Prozent und mehr erzielt werden, die deutlich höher sind als die Raten der derzeitigen Produktivitätssteigerung, die 2 bis 3 Prozent betragen. Doch ist die Wirtschaft in den meisten EU-Staaten bereits an ihre Wachstumsgrenzen gestoßen. Der neue Kapitalismus mit einer dauerhaft en Tendenz zur Vollbeschäftigung baut auf neuen politisch bestimmten Regulierungsmechanismen auf: zunächst kurzfristig innerhalb von wenigen Jahren (Transformationsphase) durch radikale Arbeitszeitverkürzung und faire Teilung des gesamten Arbeitsvolumens. Dann folgt nach Erreichung der Vollbeschäftigung die sukzessive Arbeitszeitverkürzung im langfristigen Anpassungsprozess durch die Koppelung an die steigende Produktivität. In dieser Perspektive und bei gleich bleibenden demographischen Gegebenheiten und Nullwachstum, weniger Erwerbsarbeit, mehr Lebensqualität - dies sind neue inhaltliche Orientierungspunkte, die helfen, verlorenes Terrain für echte Reformen und für eine sozial und ökologisch gerechtere Welt zurückzugewinnen. Eine Umverteilung der Erwerbsarbeit und des Einkommens ohne substanzielle Wohlstandsverluste ist durchaus möglich. "Die tatsächliche Wochenarbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten liegt in der EU 14 zwischen 37,7 (Frankreich) und 43,3 Stunden (Großbritannien); Deutschland befindet sich mit 39,9 Stunden im Mittelfeld. Damit Vollbeschäftigung durch Umverteilung des vorhandenen Arbeitsvolumens erreicht werden kann, müsste die durchschnittliche Vollarbeitszeit gesenkt werden, und zwar auf die Bandbreite von 26,4 Stunden pro Woche in Belgien bis zu 34,4 Stunden in Österreich. Der EU-Durchschnitt läge dann bei 31 Stunden" (Bontrup/Niggemeyer/Melz 2007, 58 f.). Für Deutschland müsste das vorhandene Arbeitsvolumen von 56 Milliarden Stunden auf 44 Millionen Erwerbspersonen umverteilt werden. Bei 45 Arbeitswochen kann Vollbeschäftigung durch die Senkung auf 28 Stunden pro Woche erreicht werden (Memorandum 2008). Tatsächlich kann die statistisch ermittelte Arbeitszeitverkürzung individuell in vielfältigen Formen und mit einer Flexibilität erfolgen, die sowohl den Interessen der Beschäftigten wie den Erfordernissen, die sich aus dem Betriebsablauf ergeben, gerecht werden - Teilzeitbeschäftigung, kürzere Wochen-, Monats- oder Jahresarbeitszeit, Sabbatical-Jahr oder auch kürzere Lebensarbeitszeit. Massenarbeitslosigkeit bedeutet die Vernichtung von Arbeitsqualifikationen. Durch Vollbeschäftigung und flexible Regelungen finden, gesamtgesellschaftlich gesehen, sämtliche Qualifikationspotenziale optimalen Einsatz. Eine an die Produktivität gekoppelte sukzessive Arbeitszeitverkürzung bei gleichzeitigem Mittel und Wege.Die entscheidende Frage ist jedoch, wie diese Alternative gesellschaftlich akzeptanz- und mehrheitsfähig gemacht und politisch durchgesetzt werden kann. Vonnöten ist die Vernetzung der relevanten Akteure. Die wachsende Ablehnung neoliberaler Globalisierung, die inzwischen alle gesellschaftlichen Gruppen erfasst hat, bietet eine Plattform für die Entstehung einer breiten politischen Allianz mit sozialökologischer Ausrichtung, die von Gewerkschaft en, sozialen Bewegungen, Sozialverbänden bis zu mittelständischen Kapitalgruppen, die der neoliberale Kapitalismus an den Rand des Ruins und der Selbstaufgabe geführt hat, getragen wird. Gewiss ist eine Allianz unter dem weiterhin dominierenden Geist des Neoliberalismus zu bilden eine höchst komplizierte Aufgabe. Die Entpolitisierung in den letzten Jahrzehnten, die allgemein anzutreffende naive Haltung, der Kelch würde vorübergehen, und der geschickte Schachzug der Regierungen, die drastischen Auswirkungen der aktuellen Krise mit Neuverschuldungen gigantischen Ausmaßes zu Lasten künftiger Generationen in die Zukunft zu verlagern, alle diese und weitere Faktoren erschweren sicherlich die Entstehung einer mächtigen Gegenbewegung, die die gesellschaftspolitische Stimmung kippen kann. Diese Herausforderung zu bewältigen ist jedoch nicht unmöglich. Der Preis für die Realisierung von Vollbeschäftigung ohne Wachstum im Kapitalismus ist, dass auch das effektive Volkseinkommen und damit die monetäre Kaufkraft aller sozialen Der immer noch von Gewerkschaft en und linken Gruppen und Parteien in Deutschland und Europa geforderte volle Lohnausgleich bei Arbeitszeitverkürzung ist im Modell Vollbeschäftigung ohne Wachstum nicht realisierbar, er blockiert auch politisch die Mehrheitsfähigkeit des Modells. Ein Verzicht auf diese Forderung und die Bereitschaft , sich mit einem maximalen Lohnausgleich, der inzwischen diskutiert wird (Sauerborn, 2009) abzufinden, ist zudem auch die Voraussetzung dafür, um die Kapitalseite zu höherer Besteuerung ihres Einkommens zu drängen. Nullwachstum bedeutet zwar die Aufrechterhaltung des monetär finanzierten, jedoch keineswegs eine Stagnation des materiellen und immateriellen Wohlstandes. Denn durch sinkende Erwerbsarbeitszeit steigt der Zeitwohlstand und damit auch die Möglichkeit, die neu gewonnene Zeit für die Befriedigung vielfältiger Bedürfnisse (von Produktion des eigenen Gemüses in Schrebergärten bis zu künstlerischen Tätigkeiten) jenseits des monetären Sektors zu verwenden. Trotz signifikanter Vorzüge des Modells Vollbeschäftigung ohne Wachstum im Kapitalismus muss allerdings damit gerechnet werden, dass rückwärtsgewandte Unternehmerverbände, neoliberale Medien, Parteien sowie Politiker und Politikerinnen dieses Projekt aufs Schärfste bekämpfen werden. Denn das Projekt als Ganzes tangiert die Fundamente der asymmetrischen Macht- und Reichtumsverteilung in Deutschland und auf der Welt. Daher ist nicht nur die Bildung einer breiten gesellschaftlichen Allianz für die Durchsetzung des Projekts vonnöten, es erfordert von allen Beteiligten auch erhebliche Anstrengungen und eine offensiv geführte Debatte und Aufklärung, nicht zuletzt auch in Es bedarf gleichzeitig der Entwicklung alternativer Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit, zur Erhöhung individueller Selbstverwirklichungsoptionen und zur Steigerung der Lebensqualität. Insofern hätte das Projekt eine umfassendere gesellschaftliche Reichweite, die über die beschäftigungspolitische Dimension deutlich hinausgeht. Alternative Projekte, wie geschlechtergerechte Arbeitsteilung, Weiterbildung und Selbstverwirklichung, bürgergesellschaftliche Initiativen zur Unterstützung Bedürftiger und zum Schutz der Umwelt, erhielten einen spürbaren Rückenwind. Einem Verzicht auf steigende Einkommen steht ein Plus an verfügbarer Zeit für jeden selbst, für die Familie und für ein solidarisches Zusammenleben, insgesamt ein Mehr an Lebensqualität gegenüber. Nach dem Ende der Transformationsphase und nachdem sich das Modell gesellschaftlich durchgesetzt hat, regelt sich die Verteilung längerfristig auf der Grundlage von Kräfteverhältnissen - die unter den Bedingungen der Vollbeschäftigung ausgeglichener sein dürft en als unter den gegenwärtigen Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit und des neoliberalen Kapitalismus - und durch die Tarifparteien. Ebenso bleiben in diesem Modell die Grundlagen des Kapitalismus unangetastet, solange sich ernsthaft e Alternativen dazu nicht durchgesetzt haben. Ende des Kapitalismus?Fest steht wohl, dass gegenwärtig nicht der Kapitalismus, sondern der neoliberale Kapitalismus in die Krise geraten ist. Jene, die wiederholt das Lied vom "Ende des Kapitalismus" singen, mögen zur Verbreitung von Illusionen beitragen, zur Aufklärung und Entwicklung von Alternativen zum Kapitalismus tragen sie jedoch kaum bei. Die Alternative zum Kapitalismus fällt übrigens auch nicht plötzlich vom Himmel, sobald der kapitalistische Kreislauf kollabiert und das Modell des Kapitalismus seine Legitimation und Faszination verloren hat. Ohne dass in der heute durch den Kapitalismus dominierten Gesellschaft bereits die Keime einer neuen Gesellschaft entstehen und von immer breiteren gesellschaftlichen Schichten in der Praxis wahrgenommen und weiterentwickelt werden, und ohne eine Faszination für Brutstätten einer neuen Gesellschaft ist es wahrscheinlicher, dass ein plötzliches Ende des Kapitalismus in einen neuartigen Faschismus umschlägt. Im übrigen ist es auch angesichts der ungelösten globalen Herausforderungen und der gegenwärtigen Krise kein sonderlich großes Verdienst, permanent "das Ende des Kapitalismus" heraufzubeschwören, kommt es doch jetzt vielmehr darauf an, das, was historisch möglich und politisch realisierbar ist, nicht zu verschlafen. Verkürzung der Erwerbsarbeit mit oder ohne Lohnausgleich ist per se nicht antikapitalistisch. Das Leitbild weniger Erwerbsarbeit, mehr Lebensqualität und Beschäftigung für alle öffnet dennoch ein Fenster der Hoffnung, um einen immer größeren Teil der materiellen Güterherstellung und Dienstleistungen den Triebkräften der kapitalistischen Akkumulation und den diesen innewohnenden "Sachzwängen" zu entreißen und dem menschlichen Willen zuzuführen; immerhin eine Perspektive, die revolutionärer sein kann als verbalradikale Kapitalismuskritik. Von der Bereitschaft, Einkommen und Wirtschaftswachstum gegen Freizeit und Lebensqualität einzutauschen, ginge ein entscheidendes Signal für die Zukunft aus. Aus der Perspektive der ökologischen und globalen Gerechtigkeit ist die Einsicht immer weniger strittig und immer mehr handlungsrelevant: Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist das Zeitalter des ökonomischen Wachstums und der Konsumsteigerung in den Industrieländern des Nordens endgültig vorbei. Im 21. Jahrhundert stehen Umverteilung und nachhaltige Entwicklung auf der Tagesordnung. AUTORMOHSSEN MASSARRAT, Jg. 1942, Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaften in Berlin; Professor (in Ruhe) für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück; Schwerpunkte politische und sozialökologische Ökonomie, internationale Wirtschaftsbeziehungen, Globalisierung, nachhaltige Entwicklung, Friedens- und Konfl iktforschung, Mittlerer und Naher Osten. E-Mail: mohssen.massarrat@uni-osnabrueck.de HINWEISDieser Beitrag baut auf folgenden Texten des Autors auf: "30-Stunden-Woche für Europa" (sandimgetriebe 34, 22.6.2004, http://sandimgetriebe.attac.at/979.html) sowie "Vollbeschäftigungskapitalismus. Plädoyer für einen Systemwechsel" LITERATUR
Wir veröffentlichen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat. Er erschien in Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär Nr. 13. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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