10 Jahre Verbot von Anti-Personenminen - Verborgene Killer vor GerichtVon Wolfgang Kötter Unsichtbare Killer sitzen in Cartagena auf der AnklagebankSiehe The Cartagena Summit on a Mine-Free World .. Sie lauern auf Wiesen, Feldern und im Wald. Kein Weg, keine Straße und kein Eisenbahndamm ist vor ihnen sicher. Menschen verlieren in Sekundenschnelle Füße, Hände oder gar das Leben. Denn Minen gehören zu den heimtückischsten und grausamsten Tötungsmitteln, und oft trifft es Unschuldige noch lange nachdem die Kämpfe verstummt sind. Auf zahlreichen Veranstaltungen in der kolumbianischen Karibik-Metropole zeigen bereits am Wochenende Minengegner aus aller Welt Flagge. Anschließend beraten die 156 Mitgliedstaaten der Konvention über das Verbot von Anti-PersonenminenSiehe Ottawa Konvention . unter Vorsitz von Susan Eckey aus Norwegen eine Woche lang über die Vertragserfüllung und zukünftige Aufgaben. Anti-Personenminen, Munitionsrückstände und andere Sprengsätze verletzten und töteten seit 1999 mindestens 75.000 Menschen in 119 Ländern. Doch das ist nur die Zahl der registrierten Verletzten und Toten, die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich weit darüber. Die britische Hilfsorganisation Handicap International geht von einer jährlichen Opferzahl von 15.000 bis 20.000 aus. In Afghanistan sind die meisten Opfer zu beklagen gewesen. Das Land am Hindukusch meldete rund 12.000 Tote und Verletzte. Die zweithöchste Zahl beklagt Kambodscha mit 7.300 Opfern, gefolgt von Kolumbien mit 6.700. Obwohl Anti-Personenminen bereits seit einem Jahrzehnt verboten sind, fallen ihnen immer noch jährlich rund 6.000 Menschen in mehr als 80 Ländern zum Opfer. Die Bilanz: Erfolge und VersäumnisseRechtzeitig vor Konferenzbeginn erschien der "Landmine Monitor Report 2009"Siehe Executive Summary Table of Contents .. Darin gibt die rund 1.000 Organisationen in über 70 Länder vereinende Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (International Campaign to Ban Landmines - ICLM ) den Vertragsmitgliedern und der Weltöffentlichkeit einen eindrucksvollen Überblick über Erfolge und Schwierigkeiten bei der Befreiung der Welt von diesen "Killern in Zeitlupe", die immer wieder Opfer vor allem auch unter der Zivilbevölkerung fordern. Das Fazit lautet: Seitdem der Vertrag vor zehn Jahren in Kraft trat, ist der Einsatz dieser grausamen Waffen deutlich zurückgegangen, doch es bleibt noch viel Arbeit. Landminen werden nicht nur deutlich weniger eingesetzt, auch viele betroffene Regionen konnten von Minen und Blindgängern geräumt werden. Dadurch ging auch die Zahl neuer Opfer zurück. Dennoch sind 2008 noch etwa 5.200 Unfälle mit Landminen zu beklagen. Insgesamt wurden mehr als 42 Millionen Minen geräumt, allein im vergangenen Jahr 200.000. Im SudanSiehe Electronic Mine Information Network . entminten UN-Minenräumer über 28.000 km Straßen und ermöglichten damit den Einwohnern, sich wieder ungefährdet zu bewegen und ihre Felder zu bestellen. Fast 500.000 Menschen müssen als Überlebende von Unfällen mit Landminen und Blindgängern versorgt werden. Mit 34 Millionen Dollar Hilfe für Minenaktionsprogramme blieben die Industrienationen jedoch "hinter ihren Möglichkeiten" zurück, mahnt Thomas Küchenmeister von Landmine.de . Humanitäre Herausforderung OpferhilfeDas Aktionsbündnis von 17 deutschen Hilfswerken und Organisationen forderte bereits im Vorfeld der Überprüfungskonferenz eine Neuorientierung der humanitären Hilfe, denn gerade bei der Opferhilfe hat es die geringsten Fortschritte gegeben. Umfassendere Konzepte für Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung müssten fest im "Cartagena Action Plan" verankert werden. "Es reicht nicht aus, lediglich einige technische "inputs", wie Minenräumung und Prothesenanpassung bereitzustellen", kritisiert François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International . "Wir müssen auch auf physische und psychische Verwundungen und sozialen Erschütterungen angemessen reagieren." Neben der Räumung explosiver Kampfmittel und der Opferhilfe sollten umfassendere Bemühungen um Rehabilitation in und von Nachkriegsgesellschaften angestrebt werden. Experten haben hierzu Leitlinien erarbeitet, die sogenannten Bad Honnef-RichtlinienSiehe Minenaktionsprogramme aus entwicklungspolitischer Sicht („Bad Honnefer Konzept“)., die Grundlage für Minenaktionsprogramme werden sollen. Auf der Konferenz "Eine minenfreie Welt ist möglich" diskutierten deutsche, französische, österreichische und belgische Helfer und Politiker Anfang des Monats in Berlin über neue Herausforderungen für die Opferhilfe. Obwohl durch verschiedene internationale Abkommen neben dem Verbot dieser Waffen auch die Versorgung ihrer Opfer verbindlich geregelt ist, schätzt Handicap International ihre praktische Verwirklichung immer noch als unzulänglich ein. Die deutsche Unterstützung von Betroffenen kritisiert das Aktionsbündnis Landmine.de als mangelhaft und unzureichend. Ein krasses Missverhältnis herrsche bei den Zuschüssen für die Opferhilfe. Zwar gehört die Bundesrepublik mit 900.000 Euro jährlich zu den größten Geldgebern, aber demgegenüber wurden für die Entwicklung und Beschaffung von Landminen und Streumunition in den vergangenen Jahren fünf Milliarden Euro ausgegeben. Die Minengegner warnen die internationale Staatengemeinschaft davor, wegen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise die Hilfe für Opfer von explosiven Kriegshinterlassenschaften zu vernachlässigen. "Es wäre fatal, wenn jetzt ausgerechnet Minenaktionsprogramme den milliardenschweren Rettungsaktionen für bankrotte Banken und Konzerne zum Opfer fielen", mahnt Thomas Küchenmeister von Landmine.de. Auch Jörn Kalinski von der humanitären Hilfsorganisation Oxfam . warnt: "Gerade in den Ländern Afrikas, die zu den Verlierern der Weltwirtschaftkrise zählen und die vom Minenproblem am meisten betroffen sind, dürfen Kriegsopfer nicht doppelt bestraft werden, indem jetzt Minenaktionsprogramme reduziert oder gar gestrichen werden." Viel bleibt noch zu tunWie dringend notwendig die Hilfsprogramme nach wie vor sind, zeigt besonders krass das Beispiel Afghanistan. Im vergangenen Jahr entschärften mehr als 8.000 Minenräumer 82.000, Antipersonenminen, 500 Antifahrzeugminen und 1.5 Mio. Blindgänger. Für hunderte Kommunen wurde so das Land wieder nutzbar gemacht. Minenaufklärungsprogramme, die für die besonders gefährdeten Kinder überlebensnotwendig sind, erreichten in diesem Zeitraum laut UNO über 800.000 Afghanen. In der Türkei starben offiziellen Angaben zufolge in den Jahren zwischen 1993 und 2003 durch Minenexplosionen 580 Menschen, 2.500 wurden verletzt. Noch verheerender sieht die Bilanz in Staaten aus, in denen jahrzehntelang Krieg und bewaffnete Kämpfe tobten. Seit dem Ende des Vietnamkriegs vor mehr als 30 Jahren sind in dem Land über 42.000 Menschen bei tödlichen Unfällen mit Munitionsresten ums Leben gekommen. Die US-Streitkräfte setzten im Krieg gegen die nordvietnamesischen Truppen 15 Mio. Tonnen Bomben und Munition ein, von denen rund 800.000 Tonnen immer noch rund 20 Prozent des Landes verseuchen. Nicht berücksichtigt sind dabei die Toten und Verwundet in den Nachbarsstaaten Laos und Kambodscha, die auch heftig von der US-Luftwaffe bombardiert wurden und wo ebenfalls seit Kriegsende im Jahr 1975 Zehntausende ums Leben kamen. Neben Erfolgen bei der Minenräumung und Opferhilfe gibt es auch ernsthafte Versäumnisse: "Die Tatsache, dass Vertragsstaaten wie die Türkei und Griechenland das Minenverbot nicht respektieren, ist in keiner Weise hilfreich, um die gemeinsamen Anstrengungen zu intensivieren", beklagt Küchenmeister. Griechenland, Weißrussland und die Türkei z.B. haben ihre 4-Jahres-Frist zur Zerstörung vorhandener Lagerbestände nicht eingehalten. Der NATO-Staat Türkei lagert nach wie vor fast 1,5 Millionen deutsche Anti-Personenminen und setzt diese auch ein, beispielsweise an der Grenze zu Syrien wo immer noch riesige Minenfelder existieren. 39 Staaten weigern sich nach wie vor dem Verbotsvertrag beizutreten. Dazu gehören die USA, Russland, China, Pakistan, Indien und Israel. Für Verwirrung sorgten widersprüchliche Signale aus Washington. Nachdem eine Erklärung des State Departments, die USA würden dem Minenverbot auch weiterhin nicht beitreten, auf heftigen Protest von Menschenrechtsorganisationen und aus der Demokratischen Partei getroffen war, ruderte das Außenamt zurück. Ob die Haltung zum militärischen Einsatz der Waffen geändert werde, sei noch nicht entschieden, korrigierte man sich. Die Ottawa-KonventionDer im Dezember 1997 in Kanadas Hauptstadt unterzeichnete Vertrag ist seit zehn Jahren rechtskräftig. Er untersagt den Einsatz, die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Weitergabe von Anti-Personenminen. Verboten sind damit alle Sprengsätze, die durch Anwesenheit, Nähe, oder Kontakt zu Menschen explodieren. Verlegte Minen müssen nach zehn Jahren vernichtet sein, gelagerte Minen innerhalb von vier. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, auch bei der Minenräumung und der Opferhilfe zu kooperieren. Neben regelmäßigen Statusberichten und dem Informationsaustausch kann der UNO-Generalsekretär Inspektorenteams zur Tatsachenermittlung vor Ort schicken. Erfasst werden lediglich Minen, die ausdrücklich gegen Personen gerichtet sind, nicht aber Anti-Panzer- bzw. Anti-Fahrzeugminen. In der Realität unterscheiden derartige Minen jedoch nicht zwischen Bussen, Traktoren oder Panzern. Darüber hinaus lassen die Bestimmungen sowohl der Rüstungsindustrie als auch der Politik viel Interpretationsraum für Schlupflöcher und Umgehungen. VerweigererstaatenÄgypten, Armenien, Aserbaidschan, Bahrain, Burma, China, Finnland, Georgien, Indien, Iran, Israel, Kasachstan, KDVR, Republik Korea, Kirgisistan, Kuba, Laos, Libanon, Libyen, Marokko, Marshallinseln, Mikronesien, Mongolei, Nepal, Oman, Pakistan, Polen, Russland, Saudi Arabien, Singapur, Somalia, Sri Lanka, Syrien, Tonga, Tuvalu, USA, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate, Vietnam.
Bitte um Unterstützung der Kampagne für ein Verbot aller Landminen des Aktionsbündnis landmine.de: FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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