Heute vor einem Jahr in Gaza: Die Beschießung von Nothelfern
… und die Folgen
Von Tsafir Cohen
Am Mittwoch, dem 31. Dezember 2008 wurden mehrere Menschen bei einem Angriff auf Jabal Al-Ra’is nordöstlich von Gaza verletzt. Dr. Ihab Al Madhoun, der 33-jährige Direktor der Az-Zaitun-Klinik in Gaza Stadt, der Krankenwagenfahrer Hishmat Ajour, 30, und der Sanitäter Mohammed Said Abu Hasira, 30, sprangen aus dem Krankenwagen, um sie zu retten. Gerade als sie das Fahrzeug verließen, wurden sie von einem israelischen Kampfjet angegriffen. Hishmat allein überlebte. Mohammed starb sofort, Ihab erlag seinen Verletzungen am nächsten Tag. Ein Jahr nach seinem Tod interviewte medicos Partner, die Menschenrechtsorganisation Al Mezan, seine Witwe, Roshana Al Madhoun, 28, und seinen Bruder Iyad Al Madhoun, 35.
"Er hat seine Pflicht getan an dem Tag", sagt Roshana, "er ging, um Verletzte zu retten. Meine Schwägerin kam und erzählte mir, Ihab wäre verletzt. Ich erwiderte, ich sei auf das Schlimmste gefasst. Schon immer hatte ich das Gefühl, er verlässt das Haus eines Tages und kommt nie wieder. Meine Schwägerin sagte, ich solle so nicht reden, es würde alles OK sein. Am nächsten Tag kam sie weinend zu uns. Ich wusste nicht warum. Ich dachte, sie würde die Menschen beweinen, die in diesen Tagen ums Leben kamen oder verletzt wurden. Als sie mir sagte, dass Ihab tot sei, brach ich zusammen. Ich konnte nicht atmen. Mir war schwindelig. Ich war wie gelähmt, sogar die Kinder habe ich vergessen. Menschen kamen und kondolierten. Man musste mir sagen, was ich tun soll, wo ich mich hinsetzen soll. Ich konnte nur noch denken: Wie soll ich weiterleben? Ich bin ganz allein auf der Welt."
Obwohl ursprünglich aus Russland, will Roshana im Gazastreifen bleiben. Mit ihren vier Kindern. Nour, 9, Sujud, 8, Khalid, 6, und Amal, 2. "Am schwierigsten ist die Tatsache, dass ich aus einem anderen Land komme. Ich habe meinen Mann in Russland kennengelernt. Vor zehn Jahren. Er studierte dort Medizin. Ich verließ meine Familie und mein Land und ging nach Gaza, um mit ihm zu sein. Als ich hier ankam, sah ich, dass so viele Menschen hier sterben. Ich fragte Ihab, was ich tun sollte, wenn er sterben würde. Er sagte, ich sollte in Gaza bleiben. Als er dann starb, sagte mir meine Familie in Russland, dass ich zurückkommen soll. Doch etwas hält mich hier zurück. Ich bin mit diesem Land verbunden. Meine Schwiegereltern haben mir sehr geholfen, ich kam bei ihnen nach dem Tod Ihabs unter. Sie haben mich seitdem nicht aus den Augen gelassen. Jetzt habe ich Arbeit in einem Kindergarten gefunden. So komme ich mit der Situation besser zurecht."
Iyad reagiert eher zornig. "Einen Arzt … in einer Ambulanz … mit einer fluoreszierenden Überjacke. Es war offensichtlich, dass er kein Kämpfer war. Er verbot es den Sanitätern sogar, die Tragen aus dem Krankenwagen herauszuholen, damit die israelischen Soldaten nicht denken, diese seien Waffen. Er beachtete jede erdenkliche Sicherheitsvorkehrung." Iyad glaubt kaum, dass der Tod seines Bruders je untersucht wird.
Roshana macht sich Sorgen über die Auswirkungen des Todes ihres Manns auf die Kinder. "Nour reagiert am stärksten. Sie weinte Monate lang und ist seitdem sehr introvertiert. Die Kleine, Amal, denkt jedes Mal, wenn sie einen Arzt sieht, dass der Vater wiederkommt. Und wenn das Telefon klingelt, denken die Kinder, Ihab wäre dran. Während des Ramadan war es dann ganz schrecklich. Die Kinder sahen, wie ihre Onkel die eigenen Kinder zu Ausflügen mitnehmen. Mich fragten sie dann, der Vater hätte sie doch zu Ausflügen mitgenommen, ob es jemanden gäbe, der sie heute auf solche Tagesreisen mitnehmen würde."
"Das Leben hier war schon immer schwer. Jetzt ist es noch schwerer geworden. Wir fühlen uns hier wie im Gefängnis. Es ist so schwer, sich hier überhaupt zu bewegen. Auch wenn wir uns noch lange nicht vom letzten Krieg erholt haben, so haben wir große Angst vor dem nächsten. Die Kinder sagen, dass sie Angst haben. Das sagen sie immer wieder. Sie weigern sich, allein zu sein. Menschen sagen, dass es vorüber geht, dass man beginnt zu vergessen. Für mich ist es umgekehrt. Es tun immer mehr weh. Ich bin hier so allein."
Ihab und Mohammed sind zwei von 17 Nothelfern, die während der Operation "Gegossenes Blei" von israelischen Sicherheitskräften getötet wurden. Weitere 50 wurden verletzt. Nothelfer stehen unter dem besonderen Schutz der Genfer Konventionen.
Quelle:
medico international
- Blog von Tsafir Cohen vom 31.12.2009.
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