Malalai Dschoja - Eine Stimme des Widerstands in AfghanistanVon Suzanne Weiss, 05.01.2010 - Socialist Voice / ZNet Zum Erscheinen ihres neuen Buches: ‘A Woman Among Warlords: The Extraordinary Story of an Afghan Who Dared to Raise Her Voice’ von Malalai Joya und Unterstützung von Derrick O’Keefe (Scribner-Verlag 2009) Die afghanische Autorin und Sozialaktivistin Malalai Dschoja (oder Joya) ist die Stimme des anderen, verborgenen Afghanistan - des Afghanistan der Partisanen für Menschenrechte, Demokratie und Unabhängigkeit, die unter dem korrupten Regime von Präsident Karsai, das von den USA unterstützt wird, keine Stimme haben. Malalai Dschoja hat zahlreiche Mordanschläge überlebt. Man will sie töten, weil sie offen für die Rechte der Frauen und einen Rückzug der amerikanischen, kanadischen und aller anderen bewaffneten Truppe der Nato eintritt. Sie glaubt, dass alle Menschen Afghanistans - vor allem jedoch die Frauen - den Kampf um ihre fundamentalen Rechte (Bildung, Gesundheitsfürsorge, Kontrolle über ihren eigenen Körper und ihr Leben) selbst organisieren können. Ihrer Meinung nach wird ihnen das allerdings nur gelingen, falls die ausländischen Besatzer das Land verlassen. Ihr Buch fordert uns alle dazu auf, unser Engagement für dieses Ziel zu verdoppeln. Ihr Buch zeugt von tiefgreifenden Erfahrungen und ist mit Herzblut geschrieben. Es erzählt von Krieg und Kriegsherrentum in Afghanistan und davon, wie diese Phänomene die Substanz des Lebens in Afghanistan zerstört haben. Eine Tradition des WiderstandesDschoja erzählt uns von ihrer Herkunft, von ihrer Kindheit. Die Familie und die Gemeinde aus der sie stammt, blicke auf eine jahrhundertealte Tradition des Widerstandes gegen ausländische Besatzungen zurück, schreibt sie. Sie selbst wurde nach einer Nationalheldin namens Malalai von Maiwand benannt, die die afghanischen Truppen im Jahr 1880 zum entscheidenden Sieg gegen die britischen Invasoren aufrüttelte. In der berühmten Schlacht von Maiwand opferte Malalai ihr Leben. Dschoja schreibt die Chronik ihrer Familie. Ihre Angehörigen litten unter der sowjetischen Besatzung Afghanistans (seit 1979). Damals war Malalai noch ein Baby in den Armen ihrer Mutter. In diesen Jahren flohen viele Afghanen - aus Furcht um ihr Leben - in Nachbarstaaten, wie Iran oder Pakistan. Die meisten Flüchtlinge kamen in Flüchtlingslagern unter, die, so Malalai, "wie Konzentrationslager waren, und in denen der Nationalgeist und Nationalstolz der Afghanen gedemütigt und gebrochen werden sollten". Eine große, einflussreiche Rolle in ihrem Leben spielte der Vater. Er hatte darauf bestanden, dass sie und ihre Geschwister Unterricht bekamen. Daher übersiedelte die Familie aus dem Iran nach Pakistan. Dort konnte Malalai in Quetta die Watan School für afghanische Flüchtlinge besuchen, wo sie zum ersten Mal mit der Revolutionary Women’s Association of Afghanistan (RAWA) in Berührung kam. Die Gründerin dieser Organisation war die Sozialaktivistin Meena, die 1987 ermordet wurde.Siehe: A short biography of Martyred Meena . Für die Rechte der Frauen und für DemokratieSie selbst trat der Organisation nicht bei, aber sie bezeichnet die Frauen der RAWA als Kämpferinnen, die "einen kompromisslosen Kampf für die Rechte der Frauen und die Demokratie" führten. Heute arbeitet die Organisation in Afghanistan im Untergrund - aus Angst vor Repressionen, da sie offene Kritik an der Afghanischen Regierung üben. Im Alter von 14 Jahren - als sie selbst noch in Pakistan zur Schule ging -, unterrichte Dschoja bereits andere junge Leute. Dafür erhielt sie ein kleines Stipendium, das zum Einkommen der Familie beitrug. Sie versuchte, die Frauen mit neuen Anreizen zu ermutigen, in ihren Unterricht zu kommen. Später trat sie der ‘Organization for Promoting Afghan Women’s Capabilities’ (OPAWC) bei und wurde Sozialaktivistin. Das Ziel dieser NGO ist die Förderung von Bildung und Gesundheit der Frauen und Mädchen Afghanistans. Während ihres sechzehnjährigen Exils bewunderte Dschoja den Widerstand der Palästinenser und beschloss, eine "Palästinenserin in meinem eigenen Land" zu werden. Verratene HoffnungenDie Taliban regierten Afghanistan zwischen 1996 und 2001. Da sie brutale Praktiken und eine misogyne Haltung institutionalisierten, war ihre Herrschaft in weiten Kreisen verhasst. Als die USA Afghanistan im Jahr 2001 angriffen, proklamierten sie die Befreiung der Frauen aus der Knechtschaft als eines ihrer Ziele. Viele Afghanen hofften, dass der Einmarsch der Amerikaner ihnen eine bessere Zukunft bescheren werde. Doch es sollte anders kommen. Die USA versahen die Invasion mit einem heuchlerischen feministischen Deckmantel. "Das Ziel des amerikanischen Einmarsches (ist) die Wiederherstellung der Frauenrechte", sagte die damalige ‘First Lady’ Laura Bush. Und US-Außenminister Colin Powell behauptete: "Die Rechte der Frauen Afghanistans sind nicht verhandelbar". Dschoja schreibt, vom ersten Tag des Krieges an sei offensichtlich gewesen, dass die USA nicht die leiseste Absicht hegten, die Frauen Afghanistans zu unterstützen. Stattdessen sei es ihr Ziel gewesen, "die größten Feinde der Frauen im Land zu unterstützen". Die USA unterstützten die so genannte ‘Nordallianz’ - ein übles Bündnis aus Warlords, die gegen die Taliban waren. Wie ihre Vorgänger (die Taliban) waren auch die Warlords für ihre Folterpraktiken berüchtigt. Vergewaltigungen waren für sie eine Waffe, um die Bevölkerung zu terrorisieren. Dschoja schreibt: "Auch Männer wurden zu Vergewaltigungsopfern… selbst Kinder von vier Jahren (wurden) vergewaltigt". Als die Taliban unter den Bomben der Amerikaner flohen, besetzte die Nordallianz Kabul. Eine der ersten Taten der Allianz, im November 2001, bestand darin, einen geplanten Frauenmarsch durch die Straßen Kabuls zu verbieten. Für die Frauen verbesserten sich die Bedingungen nicht. Wenn Afghanistan heute ein "gescheiterter Staat" ist, so Dschoja, "dann liegt das daran, dass die Warlords, die unser Land schon zuvor im Stich gelassen hatten, wieder an die Macht gekommen sind". 2001 kehrte Dschoja in ihre Heimat - die Provinz Farah im Westen Afghanistans - zurück und eröffnete unter den Auspizien der OPAWC, der sie angehörte, eine Klinik: die Hamoon Health Care Clinic. Das Krankenhaus hatte drei Ärzte, ein halbes Dutzend Schwestern und einen freiwilligen Ambulanzdienst. Die Provinzregierung warnte Dschoja: Man könne ihre Sicherheit - als Organisatorin des Projektes - nicht garantieren. Doch bei der Eröffnung brachte die lokale Bevölkerung ihre Unterstützung zum Ausdruck. Die Leute versprachen, selbst für die Sicherheit der Klinik zu sorgen. Dschoja erlebte viele Akte der Solidarität. Sie beschreibt dies als "den stillen Widerstand der Menschen, die ihr Leben riskieren, um ihre Landsleute zu retten". Afghanistan war wieder einmal besetzt. Die neuen Besatzer waren die USA und deren Nato-Verbündete. Dschoja beschuldigte die Herrschenden, die von den USA gesponsert wurden, "im Namen des Islam und des Dschihad gegen das eigene Volk Krieg zu führen und die afghanischen Frauen zu unterdrücken". Die meisten Menschen im Westen glauben, dass die "schlimme Unterdrückung der Frauen unter der Herrschaft der Taliban begann" (1996-2001), so Dschoja. "Aber das ist eine Lüge". Die Haupttäter - bei der chronischen Unterdrückung der Frauen Afghanistans - seien die Warlords, die in Afghanistan sowohl vor den Taliban als auch nach den Taliban dominant gewesen seien und heute die größte Stütze der Regierung Karsai darstellten. Die "schlimmsten Gräuel… wurden während des Bürgerkrieges (in den 90er Jahren) begangen - von Männern, die heute an der Macht sind", so Dschoja. Heuchelei und TäuschungsmanöverDie in weiten Kreisen verhasste Burka - der Ganzkörperschleier - wird, als Symbol der Unterdrückung, häufig mit den Taliban in Verbindung gebracht. Doch Dschoja bezeugt, dass afghanische Frauen selbst heute noch "gezwungen sind, die Burka zu tragen - aus Angst, entführt, vergewaltigt oder ermordet" zu werden. Sie versichert uns, dass "viele afghanische Männer sehr verständnisvoll" seien und ihr Leben riskierten, um Frauen zu schützen. Viele Frauen würden jedoch vergewaltigt oder misshandelt. Sie würden depressiv und hoffnungslos. Sie "verbrennen sich selbst, um ihrem Leid zu entrinnen". Weinend ruft sie aus: "Afghanistan ist immer noch wie ein Vogel mit nur einem Flügel - die Frauen sind abgeschnitten. So lange die Unterdrückung der Frauen weitergeht, wird unsere Gesellschaft nicht fliegen können, wird es mit ihr nicht voran gehen". Nun entsenden USA mehrere zehntausend zusätzliche Soldaten nach Afghanistan - "zur Bekämpfung der Taliban". Doch Krieg und Besatzung bringe dem afghanischen Volk nur Leid, so Dschoja. Für Militärausgaben und Militärpolitik fließe reichlich Geld, schreibt sie, doch die Fonds für Bildung, medizinische Hilfe oder Kindertagesbetreuung seien knapp bemessen. Dschoja widmet ihr Buch dem ehrenden Gedenken an die vielen Frauen, die während der Nato-Besatzung als Märtyrerinnen starben - im Kampf um soziale Dienste, im Kampf um Bildung, Frauenrechte und bessere Lebensbedingungen für ihre Kinder. "In der Religion Islam steht nirgends", so Dschoja, dass Frauen unterdrückt werden müssen. Auch in anderen Religionen - in einigen Formen des Christentums, des Judentums und des Hinduismus - litten Frauen unter vergleichbaren Einschränkungen durch die Religion, schreibt sie. Der Hijab (Kopftuch oder Schleier) sei nicht anders als die Schals oder Perücken, die Frauen in anderen Religionen trügen. Die Stimme des WiderstandsMalalai Dschoja steht nicht allein. 2005 wurde sie von den Menschen der Provinz Farah in die Wolesi-Dschirga - das Unterhaus des Afghanischen Parlamentes - gewählt. Sie errang die zweithöchste Stimmenzahl ihrer Provinz. Sie versuchte, einen Weg zu finden, um der Vorherrschaft "der Warlords und Fundamentalisten" ein Ende zu setzen, schreibt sie. "Ich wusste, die große Mehrheit der Männer und Frauen in Afghanistan haben das gleiche Ziel", schreibt sie weiter. "Meine Aufgabe würde es sein, von innen heraus die wahre Natur der Dschirga zu enthüllen". Mutig legte sie sich im Parlament mit führenden Politikern an, mit den Drogenbaronen und Kriminellen der Nordallianz. Als Reaktion wurde sie 2007 auf undemokratische Weise aus der Wolesi-Dschirga verbannt. Mitglieder der Wolesi-Dschirga drohten ihr mit sexueller Gewalt. Viele Menschen demonstrierten gegen Dschojas Ausschluss. Sie demonstrierten in den Straßen Kabuls und in anderen kleinen und größeren Städten des Landes. Doch häufig wurden die friedlichen Proteste durch die Polizei unterbunden - unter dem Vorwand, die Demonstranten vor möglicher Gewalt schützen zu wollen. In Dschalalabad marschierten Männer und Frauen zum Büro der UNO und forderten Dschojas Wiedereinsetzung. Dschoja fand heraus, dass viele Frauen ein äußerst hohes persönliches Risiko eingegangen waren, um sie wählen zu können. Sie hatten allen Schwierigkeiten getrotzt. Dschoja erinnert sich an das, was Meena (die ermordete Gründerin von RAWA) einmal gesagt hatte: "Die Frauen Afghanistans sind wie schlafende Löwinnen. Falls man sie weckt… werden (sie) eine enorme Rolle in der Sozialrevolution des Landes spielen". Dschoja geißelt die Herrschenden und spuckt Gift auf ihre Namen. Dies zeugt von der Wut der Menschen, die jeden Einzelnen dieser Politiker kennen und die Verbrechen, die sie begangen haben. In schändlicher Weise, so erklärt Dschoja, "sprechen sie im Namen des Islam und des Dschihad, um Krieg gegen das eigene Volk zu führen und die afghanischen Frauen zu unterdrücken". Die amerikanische CIA und der pakistanische Geheimdienst ISI würden ihnen Millionen zukommen lassen. Dschoja kritisiert auch die Frauen, die sich in die Wolesi-Dschirga wählen ließen. Sie hätten einen Blankoscheck für die Unterdrückung durch die Regierung unterschrieben. Allerdings, so gibt Dschoja zu, seien diese Frauen "selbst Opfer des Systems". Malalai Dschoja sieht das heutige Afghanistan "eingeklemmt zwischen zwei Feinden: den Taliban auf der einen und den Truppen der USA/Nato und deren Warlords auf der anderen Seite." Stellt sich die Frage, welche Hoffnungen und Ziele jene Widerstandskämpfer haben, die in den US-freundlichen Medien generell mit den "Taliban" in einen Topf geworfen werden. Haben sie wirklich dieselben Ziele wie jene grausamen Herrscher, die Ende der 90er regiert haben? Diese Frage bleibt ungeklärt. Dschoja ist keine Einzelperson. Mutig bringt sie - als Sprecherin - die aktuelle Haltung in Afghanistan zum Ausdruck, eine Haltung, die von der Regierung Karsai und deren Nato-Unterstützern zum Schweigen gebracht wird. Dschoja schreibt über die festen Überzeugungen und die mutigen Taten vieler Frauen Afghanistans, die so denken wie sie selbst. Was die Rolle der USA und der Nato betrifft, so ist Dschojas Meinung klar: Sie "brachten die Kriegsherren und Drogenbarone an die Macht", schreibt sie. Obamas Entscheidung, 30.000 zusätzliche US-Soldaten nach Afghanistan zu entsenden, ist für sie "die Fortsetzung der Bush-Politik". Malalai Dschoja drückt es so aus: "Der Esel ist derselbe geblieben, nur der Sattel ist neu". Ihr Appell an alle ausländischen Truppen ist laut und deutlich: Verlasst Afghanistan sofort. Quelle: ZNet Deutschland vom 06.01.2010. Originalartikel: A Voice of Resistance in Afghanistan . Übersetzt von: Andrea Noll. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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