Unterirdische GerüchteVon Karl Grobe Das haben Diktaturen so an sich: Wenn’s im Lande brenzlig wird, wenn die Unzufriedenheit zunimmt und der Widerstand wächst, dann hilft die 1848er Weisheit des weiland Berliner Stadtkommandanten Fürst Windisch-Graetz: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Das klappt nicht immer. In Iran sind die Soldaten nicht zuverlässig genug; folglich müssen die ideologisch gefestigten Waffenträger - Bassidsch und Pasdaran - an die Front des Konflikts. Hilft auch nichts? Dann folgen außer Schlägen mit den dafür angeschafften Knüppeln eben auch Winke mit dem Propaganda-Zaunpfahl. Also: Das Ausland steckt dahinter. Das Ausland hat zwei satanische Namen: Israel und USA. Und zufällig tun gewisse Meinungsbieger den Teheraner Propagandisten genau rechtzeitig den Gefallen, zu drohen und zu - sagen wir: enthüllen. In den Meinungsküchen der Neuen Welt wird dieser Tage ein spezielles Gerücht gekocht: In Iran gibt es Höhlen. Das ist zwar seit Zarathustras Zeiten bekannt, macht aber nichts. In diesen Höhlen könnten die Bombenperser doch geradezu unbemerkt Atomwaffen herstellen, noch dazu gesichert gegen die vorbeugend abgeworfenen Bomben der - fast hätte hier gestanden: freien Welt. Merke: Seit George W. Bushs Nuclear Posture Review von 2002 ist es geradezu geboten, alle geeigneten Waffen einzusetzen, falls eine möglicherweise bedrohliche Macht sich anheischig macht, heimlich Nuklearwaffen zu entwickeln. Heimlich heißt: unter Nichtbeachtung des Sperrvertrags. Für Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea gilt das nicht; sie haben erstens nicht unterschrieben (oder die Unterschrift gelöscht) und bedrohen zweitens die USA nicht. Jedenfalls nicht sehr. Iran hat unterschrieben, lässt Inspektionen zu, erklärt die zivile Nutzung der Nuklearenergie für unverzichtbar, Atomwaffen aber für unvereinbar mit dem Koran. Da kann man mal sehen, wie sie tricksen. Zwar gibt es für die Bomben in Tunneln oder Höhlen nicht den Schatten eines Beweises, aber etwas bleibt immer hängen. Je mehr hängen bleibt, desto eher glauben am Ende gar Mehrheiten den "Falken". Den Trick haben die Herren Bush und Cheney vor ein paar Jahren virtuos vorgeführt, dann war Krieg, und der war kein Gerücht. Die iranischen Nukleartechniker argumentieren, sie hätten manche Anlagen unter die Erde verlegt, um Wissen und zivile Technik vor der Zerstörung zu schützen - eben wegen der Kriegsdrohungen aus den bekannten Falkenhorsten. Verborgen aber hätten sie nichts. Die Internationale Atombehörde widerspricht nicht. Doch das beeindruckt die Iran-Skeptiker kaum. Für sie gibt es nur eins: Verdacht. Wer aber auf den Verdacht hin Krieg beginnt - nein: einen chirurgischen Schlag gegen Einrichtungen führt -, der zerstört außer den besagten Einrichtungen auch die iranische Opposition und die in diesen Monaten erstarkende Zivilgesellschaft. Die allererste Explosion gäbe den Herrschenden - der Diktatur - das kostbare Argument gratis in die Hand, gegen den ausländischen Feind sei ab sofort die nationale Einheit notwendig, und wer dann noch auf Veränderungen dringe, sei ein feindlicher, zionistischer, imperialistischer usw. Agent. Wenn sich aber die Zivilgesellschaft gegen die Diktatur durchsetzt, braucht niemand mehr die "Bombe der Ajatollahs" zu fürchten. So einfach kann das sein. Karl Grobe ist freier Autor. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 11.01.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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