Mut zur Wahrheit: Der Militäreinsatz ist gescheitert. Präsident Bischof Heinz Josef Algermissen fordert einen Kurswechsel in der AfghanistanpolitikAus Anlass der Internationalen Afghanistan-Konferenz am 28. Januar 2010 in London fordert der Präsident der deutschen pax christi Sektion, Heinz Josef Algermissen die Bundesregierung zu einem Kurswechsel in der Afghanistanpolitik auf. Wir veröffentlichen nachfolgend die Erklärung des Bischofs.
In die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kommt Bewegung. Vor der Internationalen Afghanistan-Konferenz am 28. Januar 2010 in London denken Mitglieder der Bundesregierung erstmals öffentlich über eine Exit-Strategie und ein umfassendes Konzept für das Engagement Deutschlands in Afghanistan nach. Verteidigungsminister zu Guttenberg und Außenminister Westerwelle haben wiederholt die Stärkung des zivilen Aufbaus in Afghanistan in den Vordergrund gerückt und vermeiden unter allen Umständen eine routinemäßige Festlegung auf zusätzliche Kontingente von Soldaten und Soldatinnen. Diese neue Nachdenklichkeit ist zu begrüßen. Ein Kurswechsel in der bisherigen Afghanistanpolitik muss das Hauptanliegen der Londoner Konferenz sein. Es steht aber zu befürchten, dass die deutsche Regierung dem Druck derjenigen NATO-Partner nachgibt, die weiter auf einen militärischen Sieg setzen. Auch wird das Umsteuern in Richtung ziviler Aufbau nur dann einen Fortschritt in der verfahrenen Situation bringen, wenn es mit einem konkreten Abzugsplan verbunden wird, dessen Umsetzung unmittelbar eingeleitet wird. In aller Nüchternheit muss festgestellt werden: Aus der vorgesehenen Schutzfunktion der Bundeswehr für Maßnahmen zum zivilen Aufbau des Landes sind direkte Kampfhandlungen geworden - mal mit "Aufstandsbekämpfung" begründet, mal mit der Eindämmung des internationalen Terrorismus. Die Kombination von zivilem Wiederaufbau und dem Einsatz von Stabilisierungskräften hat in Afghanistan nicht wie erhofft solide staatliche Strukturen und eine starke Zivilgesellschaft geschaffen, sondern die Zerrissenheit der afghanischen Gesellschaft und die Gewalt im Lande stetig vergrößert. Die ausländischen Truppen werden als Partei im innerafghanischen Konflikt und als Besatzungsregime mit eigennützigen Interessen wahrgenommen und die einseitige Unterstützung Präsident Karsais stoßen bei der afghanischen Bevölkerung nicht nur auf Zustimmung. Das Gefühl der Fremdbestimmung und die Erfahrung tödlicher Einsätze der internationalen Truppen fördern und brutalisieren die gewalttätige Konfliktaustragung. Der Terror wurde in Afghanistan nicht beseitigt, sondern neue gewalttätige Gruppierungen haben sich gebildet und Unterstützung gefunden. Die Lehre aus dem verhängnisvollen Luftangriff auf die Tanklaster von Kunduz kann nicht darin bestehen, jetzt, wie die Bundesregierung beabsichtigt, das militärische Handeln den Regeln des Kriegsrechts zu unterstellen und die Lage in Afghanistan zu einem "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" zu erklären. Wenn sich eine solche juristische Bewertung der Situation durchsetzt, würden damit die rechtlichen Grenzen des Waffeneinsatzes grundlegend verändert. Ein Befehl wie der zur Bombardierung der Tanklastzüge wäre dann im zivilrechtlichen Sinne straffrei. Damit wäre zwar Rechtssicherheit für die Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan hergestellt, aber in der Folge könnte ein solches "Kriegsrecht ohne Krieg" zu einer weiteren Eskalation der Kampfhandlungen in Afghanistan führen. Doch die Opfer von Kunduz mahnen zu einem Ende des Militäreinsatzes. Gerade wer den deutschen Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan den Rücken stärken will, muss den Mut zur Wahrheit haben und das Scheitern des bisherigen Afghanistan-Einsatzes offen benennen. Der in den Petersberger Gesprächen 2001 vereinbarte Prozess hat in die Sackgasse der kriegerischen Eskalation geführt. Ein massiver Widerstand, wie er sich inzwischen im Norden Afghanistans gegen die ISAF-Mission formiert, ist nicht mit militärischen Mitteln zu überwinden. Der Frieden für Afghanistan muss von innen wachsen. Er kann nur dann von außen gefördert werden, wenn die Mittel dazu geeignet sind, die Zivilgesellschaft und ihre Fähigkeit zum Dialog, zum Ausgleich gesellschaftlicher Kräfte und zur Konfliktregulierung zu stärken. Wenn also die Bundesregierung den Aufbau ziviler Strukturen in Afghanistan fördern und den Kampf gegen den Terror effektiv gestalten will, muss sie jetzt mit der selbst beschworenen Exit-Strategie ernst machen. Es wäre fatal, wenn hinter dem "Vorhang" eines erhöhten zivilen Engagements an der militärischen Präsenz festgehalten oder gar das deutsche Kontingent erneut aufgestockt würde. Eine konsequente Politik der Stärkung der Zivilgesellschaft und der staatlichen Strukturen wird durch einen Abzug des Militärs nicht geschwächt, sondern gewinnt dadurch erst an Glaubwürdigkeit. Die Bundesregierung muss jetzt Signale für eine solche erneuerte Afghanistan-Politik setzen und ihre Bündnispartner dafür gewinnen. Konkret fordert pax christi von der Bundesregierung:
Berlin/Fulda, den 19. Januar 2010 + Heinz Josef Algermissen, Bischof von Fulda Quelle:
pax christi
- Meldung vom 19.01.2010. Weblink:
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