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Myriam Merlet (1953-2010): Zum Tod der Feministin auf Haiti

Von Amy Goodman/ Juan Gonzalez, 19.01.2010 - Democracy Now!

Eine traurige Nachricht: Die haitianische Politaktivistin Myriam Merlet ist tot. Sie starb in den Trümmern ihres Hauses, das vor einer Woche zusammenstürzte. Myriam Merlet war die Stabschefin des haitianischen Frauenministeriums. Sie war eine Feministin, die kein Blatt vor den Mund nahm und die internationale Aufmerksamkeit darauf lenkte, dass Folter als politisches Instrument eingesetzt wird. Wir sprechen nun mit der Bühnenautorin und Aktivistin Eve Ensler, die mit Merlet befreundet war. Zudem gelangen Sie (über www.democracynow.org) auf ein Video, das Democracy Now! 2008 drehte, als Myriam Merlet ein Rede in New Orleans hielt.

Zu Eve Ensler: Die preisgekrönte Stückeschreiberin Eve Ensler ist Autorin von ‘Die Vagina-Monologe’, ein Werk, das in über 45 Sprachen übersetzt wurde und auf Bühnen der ganzen Welt inszeniert wird. Sie war die Initiatorin von V-Day - einer globalen Bewegung, die sich gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen richtet.

Zu Myriam Merlet: Sie war eine der führenden Feministinnen Haitis. Am V-Day 2008 hielt sie eine Rede im Superdome von New Orleans.

Amy Goodman (aus Haiti): Ich muss sagen, der traurigste Augenblick - einer der traurigsten Momente, als ich hierher (nach Haiti) kam - war der Anruf von Eve Ensler. Sie ist jetzt zu Gast im Studio von Democracy Now! Es tut mir weh, dies sagen zu müssen, weil ich weiß, dass sie mithört - es ist ein so immenser Verlust. Sie (Ensler) hatte mich angerufen. Ich glaube, es war um 2 Uhr nachts, kurz bevor wir am Sonntag hier ankamen. Sie sagte: "Bitte, versuch’, meine Freundin zu finden. Versuche, Myriam Merlet zu finden". Merlet war nicht nur Eve Enslers Freundin sondern auch die Freundin vieler Frauen dieser zerstörten Gemeinde hier. Sie (Ensler) gab uns die Gegend an - nicht einmal die Adresse kannte sie. Wir gingen in das Gebiet - in Paco. Es ist keine arme Gegend, wie etwa Cité Soleil, aber zerstört. Es ist an einem Hügel gelegen. Die ganze Gemeinde liegt unter Trümmern. Als die Sonne unterging, erreichten wir Merlets Haus.

Eine Gruppe Menschen saß auf der Straße verstreut herum. Sie weinten. Wir fragten: "Myriam Merlet - wissen Sie, welches ihr Haus ist?" Sie zeigten darauf und sagten: "Wir haben ihre Leiche gerade herausgezogen und die Straßen runter gebracht". Ich sah mich um und fragte, ob sie noch Angehörige habe. Ja, eine Schwester namens Eartha - Eartha Merlet. Sie saß inmitten in der Gruppe der Weinenden. Wir fragten, ob sie uns zu dem vorläufigen Grab führen könne. Es war eine Strecke entfernt - über den Schutt hinweg. Sie hatten ein sehr tiefes Loch gegraben und den Sarg etwas bedeckt. Eartha sprach über ihre geliebte Schwester.

Nun haben wir noch jemanden, der sie wie eine Schwester kannte: Eve Ensler. Eve, ich möchte dir sagen, gestern kamen wir am Frauenministerium vorbei, wo sie gearbeitet hat. Es ist völlig zerstört. Es ist kaum noch zu erkennen, dass hier ein mehrstöckiges Gebäude gestanden hat.

Juan Gonzalez: Nun - Eve Ensler - Myriam Merlet war die Stabschefin des Frauenministeriums von Haiti. Sie war eine gute Freundin von Ihnen. Können Sie uns etwas über sie erzählen - über Ihre Erfahrungen, als sie gemeinsam auf Haiti waren?

Eve Ensler: Ja. Zunächst möchte ich Dir so sehr danken, Amy, dass du Myriam gesucht und gefunden hast. Es bedeutet vielen von uns eine Menge.

Myriam war - ist - ein Licht. Auf Haiti war sie eine Kraft. Sie war eine der großen Feministinnen. Sie war eine radikale Feministin. Wir machten oft Witze, wie ungewöhnlich es doch war, dass sie und Marie-Laurence (die Frauenministerin) an die Macht gekommen waren - dass radikale Feministinnen an der Macht waren. Sie hatte Haiti in den 70er Jahren verlassen und war später zurückgekehrt, um aufzustehen, zu kämpfen, um Fortschritt und sozialen Wandel zu bringen und für die Gleichheit, für die Freiheitsrechte der unterschiedlichen ethnischen Gruppen und für die Freiheit der Frauen und deren Gleichheit zu kämpfen.

Ich hatte das Glück, Myriam zu begegnen und mit ihr in Kontakt zu kommen. Das war 2001, als sie (mein Werk) ‘Die Vagina-Monologe’ nach Haiti brachte und ihre Arbeit für V-Day - als eine Schwester der Bewegung - so richtig aufnahm. Vor einem Jahr wurde ‘Die Vagina-Monologe’ in einer großen Aufführungen in Port-au-Prince und Cap-Haitien gezeigt. Wir trafen dort mit vielen Frauen zusammen, die von Myriam - beziehungsweise vom Frauenministerium - unterstützt wurden. Nach diesem Besuch war es uns möglich, ein gemeinsames Projekt mit dem Frauenministerium auf die Beine zu stellen und mit Myriam und Marie-Laurence gemeinsam das erste ‘V-Day-Frauenhaus’, ein sicheres Haus für Frauen (Haiti Sorority Safe House), zu eröffnen.

Ich denke, eines der Dinge, die ich am meisten bedauere, ist, dass die Hilfe nicht schneller ankam und wir keine Arbeiter hatten, um die Menschen schneller auszugraben - ich begreife das einfach nicht. Das deckt sich wirklich mit dem, was Amy gesagt hat.

Juan Gonzalez: Wenden wir uns nun der auditiven Aufzeichnung zu, die Amy von Myriam Merlet (2008 in New Orleans) gemacht hat. Der Clip, nun, es ist ein Clip mit ihr.

Myriam Merlet (übersetzt): Wir sind heute in New Orleans - voller Emotionen, denn wir wissen, welche Bedeutung New Orleans für die schwarzen Menschen hier hat, vor allem nach ‘Katrina’. Wir überbringen unseren Schwestern in New Orleans all unsere Solidarität und Sympathie. Wir sind gekommen, um über unsere Arbeit im Ministerium von Haiti zu berichten, die wir vor allem mit Unterstützung der V-Day-Stiftung leisten können. Diese Arbeit nahm vor langer Zeit ihren Anfang - mit NGO-Frauenorganisationen, die keine Ressourcen hatten. Es fehlte ihnen an Ressourcen. Sie waren nicht in der Lage, sichere Räumlichkeiten für misshandelte Frauen auf Haiti zu schaffen. Heute sind wir wirklich stolz, sagen zu können, dass wir unser erstes ‘sicheres Haus’ in Port-au-Prince auf Haiti eröffnen werden. (Ende Einblendung)

Juan Gonzalez: Soweit Myriam Merlet, die ehemalige Stabschefin des Frauenministeriums von Haiti, die vergangene Woche durch das Erdbeben ihr Leben verlor. Eve Ensler, können Sie uns etwas speziell zu dieser Rede sagen, die Myriam Merlet 2008 gehalten hat?

Eve Ensler: Nun, sie fand im Superdome von New Orleans statt - am 10. Geburtstag von V-Day. Die Frauen reklamierten den Superdome für sich zurück und verwandelten das Leid. Ich muss immer an die Parallelen denken zwischen ‘Katrina’ und dem, was sich gerade auf Haiti abspielt. Wissen Sie, die Langsamkeit, mit der sich die Rettung vollzieht; die Leute kommen zu spät; es gibt kein Essen für die Menschen, kein Wasser, so dass die Menschen mit der Zeit in Panik geraten und gewalttätig werden, so dass man ihnen schließlich vorwirft, Plünderer zu sein. Es ist dieselbe Sprache (wie bei ‘Katrina’), die hier benutzt wird.

Was ich zu Myriam noch sagen muss: Es gibt so viele außergewöhnliche Frauen auf Haiti. Sie sind von einer natürlichen Kraft und Hartnäckigkeit. Diese Frauen wissen genau, wie sie die Zukunft des Landes gestalten müssen. Danny hat vorhin gesagt, die Art, wie sich die Rettungsmaßnahmen vollziehen, werde über den Weg danach entscheiden. Und wir müssen - müssen - die Frauen ins Zentrum der gesamten Geschehnisse rücken. Ihre Stimmen müssen Gehör finden. Sie müssen Diejenigen sein, die die Zukunft Haitis bestimmen. Das Ausland kann nicht länger bestimmen - Abhängigkeit, Kontrolle, alles, was dort bestanden hat… Dies ist unsere Chance, den Haitianern zu helfen, ihr Land zurück zu bekommen, eine Vision für die Zukunft ihres Landes zu entfalten und die Frauen ins Zentrum dieser Vision zu stellen.

Juan Gonzalez: In der letzten Minute, die uns noch bleibt, möchte ich Amy (in Haiti) das letzte Wort geben.

Amy Goodman: Nun, was Myriam Merlet angeht…. Eve, ich weiß, dass Du nach der Frauenministerin suchst, (sie ist) immer noch….

Eve Ensler: Wir haben sie gerade ausfindig gemacht, gerade, bevor ich gekommen bin. Die Frauenministerin lebt. Ich bekam gerade den Anruf, yeah.

Amy Goodman: Oh, das ist gut zu hören.

Eve Ensler: Ja, ja.

Amy Goodman: Es ist ein großes Glück. Im Moment, obwohl wir… es ist absolut wichtig, dass die Menschen begreifen, dass die Existenz Haitis auf dem Spiel steht… die Hilfen, die eintreffen, die Arbeit, die in Zusammenarbeit mit den Gemeinden vor Ort geleistet wird - die UNO funktioniert ja nicht… Einer der massivsten Vorwürfe lautet: Die internationalen Hilfsorganisationen fürchteten sich vor den Menschen und arbeiten daher gerade nicht mit den führenden Gemeindemitgliedern vor Ort zusammen, mit denen also, die die Hilfe verteilen könnten und die Menschen in den Gemeinden stärken. Das würde die Zukunft Haitis stärken.

Danny sagte vorhin, er hege Zweifel, ob Clinton und Bush die richtige Wahl seien, um Haiti zu helfen. Präsident Obama spricht von Wiederaufbau und Neustrukturierung (rebuilding and reconstructing). Die USA sollten ein drittes ‘r’ anführen: redemption (Befreiung). Die Geschichte der USA bezüglich Haitis ist sehr problematisch. Die USA haben Haiti niedergehalten. Haiti war die erste schwarze Nation, die aus einem Sklavenaufstand hervorgegangen ist. Es war die erste schwarze Republik. Wir können eine Wende bewirken, indem wir das Volk von Haiti respektieren.

Juan Gonzalez: Amy, danke für deinen Beitrag. Pass’ auf dich auf. Wir werden weitere Berichte von dir bekommen (…) Eve Ensler, danke, dass Sie bei uns waren.

Amy Goodman und Juan Gonzalez sind Moderatorin bzw. Moderator des TV- und Radioprogramms ’ Democracy Now! ‘, das aus rund 500 Stationen in Nordamerika täglich/stündlich internationale Nachrichten sendet.

 

Quelle: ZNet Deutschland vom 21.01.2010. Originalartikel: Haitian Feminist Leader Myriam Merlet (1953-2010) . Übersetzt von: Andrea Noll. 

Veröffentlicht am

23. Januar 2010

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