Putin und der OligarchVon Karl Grobe Die Staatsgewalt kam um vier Uhr nachmittags ins Büro. Die sechs Herren in Zivilkleidung wollten nicht mit den Umweltschützern gemütlich eine Tasse Tee trinken, sie hatten es auf die Computer der Organisation "Baikalwelle" abgesehen. Die zwölf PCs befinden sich jetzt für die kommenden Wochen in den Räumen der Prokuratur. Mit den Protesten der sibirischen Öffentlichkeit und der "Baikalwelle" gegen die Wiedereröffnung einer Zellstofffabrik, die den Baikalsee gefährdet, hat das natürlich gar nichts zu tun. Die Razzia in der sibirischen Halbmillionenstadt Irkutsk war ein lupenreines Beispiel für die gute Zusammenarbeit der sozusagen demokratischen Organe. Da hat ein bis dahin anscheinend unauffälliger Bürger namens Dmitri Iwanowitsch Latyschew dem örtlichen Amt für Innere Angelegenheiten und Verbraucherfragen einen Brief geschrieben: Die Leute von der "Baikalwelle" hätten Software-Raubkopien auf ihren PCs. Es erscheint - ohne dass die Umweltinitiative von der Anschuldigung in Kenntnis gesetzt wird - ein bis dahin unbekannter junger Mann in ihrem Büro und erkundigt sich hartnäckig nach der Buchhaltung. Dann beharrt ein weiterer ebenfalls unbekannter junger Mann darauf, er wolle unbedingt Systemadministrator für alle PCs der Organisation werden. Und zu allem Überfluss fällt das Handy der Marina Richwanowa, der "Baikalwelle"-Leiterin, just in dem Augenblick aus, in dem sie eigentlich in einer Nachbarstadt zu einer Veranstaltung erwartet wird. Zufällig sind gerade jetzt die Ermittler unterwegs, telefonieren - ihre Handys funktionieren ja - zur Verstärkung ein paar Leute von der Anti-Extremismus-Dienststelle herbei und lassen die anwesenden Umweltschützer mitgehen. Schon nach sieben Stunden durften sie die Prokuratur wieder verlassen. Kurz, ein so alltäglicher Vorgang, dass sich nicht einmal die Lokalpresse sonderlich dafür interessiert. Aber gerade eine Woche davor hatte Präsident Putin einige "Korrekturen" an der Liste verbotener Aktivitäten in der zentralen Umweltzone am Baikalsee vornehmen lassen. Die Zellstofffabrik, die vor 15 Monaten stillgelegt worden war, darf wieder arbeiten. Sie gehört zu 51 Prozent der Holding-Gesellschaft Basic Elements und zu 49 Prozent dem Staat; Basic Elements aber gehört dem Oligarchen Oleg Deripaska, und der hört auf Putin. Manchmal ist es auch umgekehrt. Deripaska hatte sich außerstande gesehen, geltende Umwelt-Auflagen so zu erfüllen, dass keine Chemiegifte in den größten Süßwasser-See der Erde gelangen. Nun darf das wieder geschehen. Andere Unternehmen dürfen auch, und deshalb hatte "Baikalwelle" für den 13. Februar zum Protest geladen. Das merkt nun keiner mehr; die Internet-Seite der Gruppe ist nicht mehr erreichbar. Deripaska aber - und Putin - werden in der Kleinstadt Baikalsk als Retter gefeiert. Das Zellstoffwerk ist einziger Arbeitgeber, abgesehen von Schule, Verwaltung, Polizei und Handel. Auch Heizung und Warmwasser für die 17.000 Bürger liefert das Werk. Baikalsk ist eine "Monostadt", eine Siedlung, die von einem einzigen Betrieb lebt. Der Romancier Upton Sinclair hat darüber geschrieben, wie die Industriebarone in den Flegeljahren des US-Kapitalismus die Häscher, die "Pinkertons", auf streikende Arbeiter und protestierende Bürger losgelassen haben. Von Baikalsk wusste er noch nichts. Karl Grobe ist freier Autor. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 04.02.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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