Routenplan zur atomwaffenfreien WeltGlobale Nulllösung findet breite Unterstützung. Aber auch Gegner
Von Wolfgang Kötter Die Tagesordnung der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz (5.-7. Februar) enthält ein für diese Veranstaltung höchst ungewöhnliches Thema: „Die atomwaffenfreie Welt“. Ein Doppelquartett deutscher und US-amerikanischer Expolitiker (siehe Infokästen) hatte das Ziel bereits propagiert, bevor US-Präsident Barack Obama die Vision im vergangenen Frühjahr in seiner Prager Rede verkündete. Nachdem sie ihre Gedanken bereits zu Wochenbeginn in Berlin dargelegt haben, wollen sie nun Ihren Nachfolgern erläutern, warum das Projekt nicht nur machbar, sondern für das Überleben der Menschheit unerlässlich ist. In den vergangenen Monaten hat die Vision einer Welt ohne Atomwaffen viel Zustimmung gefunden, aber auch Gegner. Dieser Traum sei verführerisch, berge aber viele Gefahren, meinen die Skeptiker. Es sei eine Illusion, die nicht zu einer besseren, sondern zu einer gefährlicheren Welt führen würde. Zwar wäre es theoretisch denkbar, sämtliche atomare Sprengköpfe weltweit zu verschrotten. Das Wissen aber um die Produktion von Nuklearwaffen ließe sich nicht auslöschen. Niemand könne zudem die Gewähr dafür übernehmen, dass nicht irgendein Machtbesessener in einer nuklear entwaffneten Welt heimlich an der Bombe basteln würde. Gefährlicher würde die Welt auch deshalb, weil der Verzicht auf die Atombombe die konventionelle Rüstung ankurbeln würde. Wo Abschreckung schwinde, wachse die Bereitschaft zum Konflikt mit Panzern, Bombern und Maschinenpistolen, möglicherweise sogar mit biologischen und chemischen Waffen. Darum müssten Nichtverbreitung und die Reduzierung bestehender Atomarsenale Ziele der Politik sein, nicht aber "Global Zero". Auch Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hält nukleare Abschreckung derzeit für unverzichtbar: "Abrüstung darf nie zu einem Verlust an Sicherheit führen." Selbst Sympathisanten begrüßen zwar die Idee, vermissen aber einen handfesten Aktionsplan für den gangbaren Weg zum erträumten Ziel. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn kompetente Befürworter haben sich durchaus konkrete Gedanken über die umfassende nukleare Abrüstung gemacht. Zahlreiche Expolitiker und ehemalige Militärs aus den USA, Deutschland, Großbritannien, Italien und den Niederlanden (siehe Infokästen) sind mit entsprechenden Appellen an die Öffentlichkeit getreten. Nach mehreren hochkarätig besetzten Expertengremien in der Vergangenheit legte jetzt die von den früheren Außenministern Australiens und Japans, Gareth Evans und Frau Yoriko Kawaguchi, geleitete Internationale Kommission für Nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung (siehe Infokasten) einen solchen Maßnahmeplan vor. Die Menschheit läuft Gefahr, sich selbst auszulöschen. Insgesamt besitzen die etwa 23.000 auf der Welt existierenden Atomwaffen eine 150.000-fache Vernichtungskraft der Bombe von Hiroshima. "Angesichts dieser Bedrohung müssen wir uns Gedanken machen, wie wir einen nuklearen Albtraum verhindern", forderte Evans bei der Vorstellung des Berichts Anfang der Woche in der Genfer Abrüstungskonferenz: "Solange auch nur ein Staat Atomwaffen besitzt, wollen auch andere Staaten diese Waffen besitzen." Evans erwartet von den USA und Russland eine führende Rolle bei der nuklearen Abrüstung - diese beiden Atommächte verfügen über mehr als 90 Prozent aller Arsenale. US-Präsident Obama hatte im vergangenen September im UNO-Sicherheitsrat einen Plan für die Schaffung einer "Welt frei von Nuklearwaffen" unterbreitet. Kritiker bemängelten allerdings, die Obama-Vision sei nicht konkret genug. Die Kommission präsentiert nun präzise Vorschläge für das weitere Vorgehen. Zunächst müssten Politiker und Militärs ihr Denken ändern: Noch spielten Atomwaffen eine zentrale strategische Rolle in den Doktrinen, die Staaten müssten diese Strategie aufgeben. Wichtig sei ebenfalls, dass sich alle Nuklearstaaten auf eine rein defensive Rolle der Nuklearwaffen verständigten und auf die Erstanwendung verzichten. Der über 200 Seiten umfassende Bericht "Eliminating Nuclear Threats" sieht nach kurzfristig bis zum Jahr 2012 zu ergreifenden Sofortmaßnahmen vor, bis 2025 rund 90 Prozent aller Sprengköpfe zu vernichten. Danach sollen, in einer letzten Phase, auch alle noch rund 2.000 verbliebenen Atomwaffen endgültig beseitigt werden. Allerdings haben die Experten keine Illusionen: "Eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen, wird ein langer, komplexer und schrecklich schwieriger Prozess sein." Die offiziellen Atommächte USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China rüsten bislang nicht energisch genug ab, beklagt Evans. Mit Indien, Pakistan und Israel seien weitere Staaten in den Club der Länder mit einsatzfähigen Atomwaffen vorgestoßen. Nordkorea testete bereits zwei Atomsprengköpfe, und Iran wird eines illegalen Atomwaffenprogramms verdächtigt. Sollte es nicht gelingen, die kernwaffenfreien Mitglieder des Atomwaffensperrvertrages von der Abrüstungsbereitschaft der Nuklearmächte zu überzeugen, droht das gesamte Nichtverbreitungsregime auseinanderzufallen. Dann könnte eine nukleare Lawine losbrechen. Schließlich gibt es alarmierende Anzeichen dafür, dass auch Terroristen nach Atomwaffen streben. Ihnen den Zugang zu Waffen und Spaltmaterial zu versperren, bleibt eine Aufgabe von höchster Priorität. Es wird also noch ein langer und steiniger Pfad zu einer von Atomwaffen befreiten Welt zu beschreiten sein. Damit die Protagonisten unterwegs nicht ermüden und entkräftet aufgeben, hat sich als Katalysator eine weltweite Bewegung "Global Zero" (siehe Infokästen) formiert. Auf ihrem jüngsten Treffen am Dienstag in Paris - dem "Zero Summit" - gaben die rund 200 Teilnehmer dem Projekt "globale Nulllösung" trotz teilweise kontroverser Diskussionen neue kraftvolle Impulse. Mitglieder der Internationalen Kommission für Nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung
Prominente Befürworter einer atomwaffenfreien WeltUSA
Deutschland
Großbritannien
Frankreich
Italien
Niederlande
"Wir, die Unterzeichner, glauben, dass wir alle Nuklearwaffen weltweit abschaffen müssen, um unsere Kinder, unsere Enkel und unsere Zivilisation von der Bedrohung einer nuklearen Katastrophe zu schützen. Wir verpflichten uns daher dazu, für die Abschaffung von Nuklearwaffen zu einem bestimmten Zeitpunkt auf ein rechtlich bindendes, nachprüfbares Abkommen hinzuarbeiten, das alle Nationen einschließt." Die von 100 Prominenten unterzeichnete Erklärung von "Global Zero" Zu den Erstunterzeichnern von "Global Zero" gehören unter anderen die ehemaligen Staatschefs Gro Harlem Brundtland, Fernando Cardoso, Jimmy Carter, Michail Gorbatschow, Fidel Ramos und Mary Robinson; die Ex-Außenminister Lloyd Axworthy, Margarett Beckett, Lakhdar Brahimi, Hans-Dietrich Genscher, Gareth Evans, Yoriko Kawaguchi und Jaswant Singh, aber auch so bekannte Persönlichkeiten wie Zbigniew Brzezinski, Jewgenij Welikow, Erzbischof Desmond Tutu und Nobelpreisträger Muhammad Yunus.
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