Friedensfachleute in den Unterricht - Kooperationsvereinbarung mit dem Kultusministerium gefordertVon Klaus Pfisterer Am 4. Dezember 2009 haben der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) und Generalmajor Gert Wessels, Befehlshaber im Wehrbereich IV, in Anwesenheit von Jugendoffizieren eine Kooperationsvereinbarung zwischen Kultusministerium und Bundeswehr unterzeichnet.Der Text der Kooperationsvereinbarung kann hier nachgelesen werden: Kooperationsvereinbarung . Damit soll die Kooperation zwischen Schulen und Jugendoffizieren gekräftigt werden. Die Jugendoffiziere bieten dazu wie bisher ihre Besuche in Schulen an. Neu an der Vereinbarung ist, dass die Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren und von Lehrkräften eingebunden werden. Außerdem bietet die Bundeswehr Lehrerinnen und Lehrern sowie Vertretern der Schulaufsicht ihrerseits Besuche in ihren Einrichtungen und Seminare zur Sicherheitspolitik an. Mit der getroffenen Vereinbarung wird ein weiteres Kapitel in der Zusammenarbeit von Kultusministerium und Bundeswehr aufgeschlagen. Zur Erinnerung: Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den NATO-Nachrüstungsbeschluss im Sommer 1983 erließ der damalige Kulturminister Mayer-Vorfelder (CDU) am 22.Juli 1983 die Verwaltungsvorschrift "Friedenssicherung und Bundeswehr im Unterricht". In einem Zusatzerlasse verbot er einzelnen Kriegsdienstverweigerern und Vertretern von Kriegsdienstverweigerer-Organisationen im Unterricht als Fachleute aus der Praxis aufzutreten. Dieser Zusatzerlass richtete sich vornehmlich gegen die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) - traf aber letztlich alle Friedensorganisationen -, deren Vertreter in den Jahren bis 1983 zu mehreren hundert Veranstaltungen mit und ohne Jugendoffizier in die Schulen eingeladen wurden. Es kam während der gesamten Zeit zu keinerlei Beanstandungen seitens der verantwortlichen Lehrerinnen und Lehrern oder der Schulleitungen. Stattdessen wurden häufig die Kompetenz und die Sachlichkeit der DFG-VK-Fachleute gelobt. Dies war Mayer-Vorfelder ein Dorn im Auge und musste geändert werden. Von jetzt an hatten die Jugendoffiziere der Bundeswehr die Informations- und Meinungshoheit in den Schulen. Lediglich den landeskirchlichen Beauftragten für Kriegsdienstverweigerung war es nach einer kurzen Verbotsdauer schnell wieder erlaubt, im Religionsunterricht über das Thema Kriegsdienstverweigerung zu informieren. Die NachfolgerInnen von Mayer-Vorfelder änderten diese Praxis nicht. Die Verwaltungsvorschrift lief zwar 1993 aus, das Kriegsdienstverweigerer-Verbot bestand weiter und zivile Friedensfachleute durften nicht in den Unterricht eingeladen werden. Erst nach jahrelangen Bemühungen gelang es dieses ‘Unrecht’ rückgängig zu machen. Der damalige GEW-Landesvorsitzende Rainer Dahlem vermittelte eine Lösung zwischen dem Kulturministerium und der DFG-VK. Seit dem 14.Dezember 2004 dürfen Vertreter von Friedensorganisationen wieder als Fachleute aus der Praxis in den Unterricht eingeladen werden. (Siehe Erlass "Fachleute aus der Praxis", GEW-Jahrbuch 2010 Seite 297). Die Arbeit der JugendoffiziereMit einer neuen Vereinbarung zwischen Kultusministerium und Bundeswehr war zu rechnen. In den Berichten der Jugendoffiziere ist in den letzten Jahren von einer verstärkten Zusammenarbeit in Baden-Württemberg die Rede. Im Bericht von 2008 wurde eine Kontaktausschusssitzung "Schule und Bundeswehr" erwähnt. Die Weiterbildungsangebote der Bundeswehr könnten auf den Bildungsservern der Länder platziert werden. In nahezu allen Bundesländern würden die Jugendoffiziere durch die Landeszentralen für politische Bildung und der Arbeitsgemeinschaft Staat und Gesellschaft unterstützt. An ausgewählten Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg seien die Jugendoffiziere bis in die Lehre eingebunden. Im Jahr 2005 haben die Jugendoffiziere ihre Arbeit neu strukturiert. Es gibt Neben den Jugendoffizieren gibt es die Wehrdienstberater, die ebenfalls auf Einladung durch die Schulen vor allem in Berufsschulen, Haupt-und Realschulen über die Berufsmöglichkeiten bei der Bundeswehr informieren. Schleichende Militarisierung des Bildungswesens?Die jetzt getroffene Vereinbarung passt nahtlos in die "Rekrutierungsoffensive" der Bundeswehr und damit verbunden kann eine schleichende Militarisierung des Bildungswesens konstatiert werden. Seit einigen Jahren hat die Bundeswehr ihre Öffentlichkeitsarbeit stark ausgeweitet. Sie ist auf zahlreichen Messen, einschließlich der Didacta, vertreten, kommt mit ihren Bundeswehr-Trucks in Schulen und wirbt bei den Arbeitsagenturen unter den Arbeitslosen um Nachwuchskräfte. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr wurden seit 1992 scheibchenweise ausgeweitet. Heute ist die Bundeswehr eine "Armee im Einsatz" - im Kriegseinsatz. Dafür werden Zeit- und Berufssoldaten benötigt. Die Zeiten einer Verteidigungsarmee sind vorbei. Lehrerinnen und Lehrer können immer noch selbst entscheiden, ob sie den Jugendoffizier in ihren Unterricht einladen. Schwieriger und sehr bedenklich wird es da für Referendarinnen und Referendare, die während ihrer Ausbildungszeit von Jugendoffizieren "fortgebildet" werden sollen. Für sie können die Seminare zur Pflicht gemacht werden und sie können sich schlecht dagegen zur Wehr setzen, da sie in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zur Seminarleitung stehen. Wie weit die Einflussnahme der Jugendoffiziere in Schulen bereits fortgeschritten ist, zeigt die Tatsache, dass die Jugendoffiziere in den Abiturjahrgängen auch die sicherheitspolitischen Prüfungsthemen des Zentralabiturs der einzelnen Bundesländer behandeln. Die beiden Jugendoffiziere in Freiburg haben mit Schreiben vom 23.11.2009 an die Fachschaften Geschichte, Gemeinschaftskunde, Religion und Ethik der Gymnasien ihr lehrplanabgestimmtes Programm angeboten, u.a. eine intensive Abiturvorbereitung in Seminarform. Beide Jugendoffiziere empfehlen sich darüber hinaus mit ihrer Teilnahme am Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan, so dass sie aus "erster Hand" über friedenssichernde Maßnahmen und Konfliktbewältigung im Ausland berichten können. Angesichts des verheerenden Bombenangriffs auf zwei Tanklaster in Kundus am 4. September 2009 mit bis zu 142 Toten und dem bis dato widersprüchlichen Auftrag der Bundeswehr am Hindukusch ein zweifelhaftes Angebot (auf das ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte). Kooperationsvereinbarung mit Friedensgruppen gefordertIn den Schulen muss über die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik informiert und diskutiert werden. Es gehört allerdings zum Kern des Bildungsauftrags des Landes Baden-Württemberg, dass die Schülerinnen und Schüler in einer solch existentiellen Frage wie der nach Krieg und Frieden nicht nur die Anschauung deren kennen lernen, die in Uniform vor ihren stehen. Die Friedensbewegung hat eine andere Auffassung von Friedenssicherung und Konfliktbewältigung. Sie hat Konzepte zur gewaltlosen Konfliktbearbeitung und -lösung erarbeitet, die von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung geteilt werden. Sie informieren zur Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, zur Gewaltfreiheit und zu Rüstungsexporten. Die Liste der möglichen Themen ist lang und es gibt in den Organisationen zahlreiche qualifizierte Fachleute, die im Unterricht sowie in der Aus- und Fortbildung informieren können. Seit Beginn der Auslandseinsätze der Bundeswehr spricht sich eine stabile Mehrheit der Bevölkerung gegen diese Art der Friedenssicherung und Konfliktbewältigung aus. Diese Stimmen müssen im Unterricht berücksichtigt werden. Es ist richtig, dass die Vertreter der Friedensorganisationen als Fachleute aus der Praxis in den Unterricht eingeladen werden dürfen. Dies hat die GEW Baden-Württemberg in einem Info an alle Vertrauensleute noch einmal deutlich gemacht und die Adressen von drei Friedensorganisationen veröffentlicht (siehe unten). Das reicht aber bei Weitem nicht aus. Daher bedarf es auch einer Kooperationsvereinbarung des Kultusministeriums mit den Friedensorganisationen des Landes, wodurch deren Friedensfachleute dieselben Möglichkeiten wie den Jugendoffizieren der Bundeswehr eingeräumt werden. Ende Januar 2010 wurde Kulturminister Helmut Rau von zahlreichen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften schriftlich aufgefordert, die Vertreter von Friedensorganisationen zu einem Gespräch ins Ministerium einzuladen und die Vorbereitungen für eine Kooperationsvereinbarung zu treffen. Der Brief ohne Unterstützungsunterschriften kann hier eingesehen werdem: Brief an Rau . Immerhin haben die Schülerinnen und Schüler in der heutigen globalisierten Welt ein Anrecht auf umfassende und differenzierte Information, um sich selbst eine eigene Meinung bilden zu können. Auch den Eltern gegenüber hat das Land Baden-Württemberg eine hohe Verantwortung. Diese erwarten in den Bildungseinrichtungen des Landes Baden-Württemberg eine ausgewogene, differenzierte und fachlich fundierte Wissensvermittlung und keine einseitige Beeinflussung. Unterstützen Sie die Forderung nach einer Kooperationsvereinbarung mit den Friedensorganisationen und laden Sie deren Fachleute in ihren Unterricht ein. Anschriften: DFG-VK Landesverband Baden-Württemberg Haußmannstr. 6, 70188 Stuttgart, Tel.: 0711/2155112 , Fax: 0711/2155214, E-Mail: Ba-Wue@dfg-vk.de, Internet: http://www.dfg-vk.de/lv-bawue/ Informationsstelle Militarisierung (IMI) Pax Christi Bistumsstelle Rottenburg-Stuttgart Klaus Pfisterer ist Sonderschullehrer und seit über 30 Jahren Mitglied der GEW, Vertrauensmann an der Hardtschule (Förderschule) in Ebersbach und arbeitet in der Fachgruppe Sonderpädagogische Berufe im Kreisverband Göppingen mit. Darüber hinaus ist er einer der Landessprecher der DFG-VK Baden-Württemberg.
Quelle: GEW-Zeitung "b&w" , Ausgabe 1-2/2010 für Baden-Württemberg. Wir veröffentlichen den Artikel mit freundlicher Genehmigung von Klaus Pfisterer. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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