Truppenaufstockung in Afghanistan: Die Strategie ist nicht neu - der Erfolg gleich nullVon Robert Fisk, 06.12.2009 - The Independent / ZNet "Sie schießen auf Russen", sagte mir ein junger Fallschirmjäger. Es war kalt. Wir waren, nahe Charikar, nördlich von Kabul, auf seine Division gestoßen. Es handelte sich um die 105. Luftwaffendivision der Sowjets. Er hielt mir seine bandagierte Hand hin. Blut tropfte heraus und beschmutzte den Ärmel seiner Kampfuniform. Er war noch ein Teenager - mit blondem Haar und blauen Augen. Neben uns im Graben lag - mit den Rädern nach oben - ein Transportlaster der Sowjets. Der hintere Teil war durch eine Mine in Stücke gerissen. Ja, das hatte eines dieser IEDs (Improvisierte Explosionsvorrichtungen) angerichtet. Allerdings nannte man sie damals noch nicht so. Unter Schmerzen hob der junge Mann seine Hand und deutete auf die Berggipfel, über denen ein sowjetischer Hubschrauber kreiste. Hätte ich mir jemals vorstellen können, dass uns die Herren Bush und Blair fast drei Jahrzehnte später in genau dasselbe Armeen-Grab lotsen würden? Hätte ich mir vorstellen können, dass ein junger schwarzer US-Präsident das Gleiche tun würde, wie damals, vor so vielen Jahren, die Russen? Wir hatten erlebt, wie die sowjetische Armee Kabul und die größten Städte des Landes binnen Wochen einnahm. Die großen Gebirgs- und Wüstenregionen überließen sie den "Terroristen". Die Sowjets waren überzeugt, sie würde das säkulare, nicht korrupte Regime in der Hauptstadt stützen können und die Menschen beschützen. Im Frühjahr 1980 erlebte ich, wie das sowjetische Militär eine "Aufstockung" (surge) vornahm. Klingt irgendwie vertraut, nicht wahr? Die Russen kündigten an, die afghanische Armee werde neu trainiert. Klingt vertraut, oder? Damals befolgten nur circa 60 Prozent der (afghanischen) Armee ihre Befehle. Ja, auch das klingt vertraut. Victor Sebestyen recherchierte für sein Buch, das vom Fall des Sowjetimperiums handelt. Er schrieb ausgiebig über jene Tage des Frostes, kurz nach Weihnachten 1979, nachdem die russische Armee Afghanistan eingenommen hatte. Er zitierte auch die Aussagen von General Sergej Akhromeyew, Kommandeur der Sowjetarmee, im Jahre 1986 vor dem Politbüro: "Es gibt kein Stück Land in Afghanistan, das nicht irgendwann von einem unserer Soldaten besetzt worden wäre. Dennoch befindet sich der Großteil des Territoriums noch immer in den Händen der Terroristen. Wir kontrollieren die Zentren der Provinzen, aber wir können die politische Kontrolle über ein Gebiet, das wir besetzt haben, nicht halten". Sebestyen weist auf die Tatsache hin, dass General Ahkromeyew Extratruppen anforderte - sonst würde der Krieg in Afghanistan "noch sehr, sehr lange" dauern. Könnte dieses Zitat nicht auch von einem britischen oder amerikanischen Kommandeur im heutigen Helmand stammen? "Unsere Soldaten trifft keine Schuld. Sie haben unter schwierigen Bedingungen unglaublich tapfer gekämpft. Aber in einem so großen Land, wo die Aufständischen einfach in den Hügeln verschwinden können, bringt es kaum etwas, die Kleinstädte und Dörfer vorübergehend zu okkupieren", sagte der General. Ich sah, wie sich die Tragödie in den ersten Monaten des Jahres 1980 entspann. Die Menschen in Kandahar riefen "Allah, akbar!". Sie riefen es von den Hausdächern herab und - außerhalb der großen Städte - auch auf den Straßen. Ich traf mich mit Aufständischen - den Taliban jener Zeit, die sowjetische Konvois bombardierten. Nördlich von Dschalalabad stoppten sie einmal sogar einen Bus, in dem ich saß. In den Mündungen ihrer Kalaschnikows steckte eine rote Rose. Sie befahlen den kommunistischen Studenten, die sich im Bus befanden, auszusteigen. Ich wollte nicht unbedingt sehen, was mit ihnen geschehen würde. Ich denke, es geschah mit ihnen, was mit heutigen Pro-Regierungs- Studenten in Afghanistan geschieht, wenn sie in die Hände der Taliban fallen. Vor der Stadt sagte man mir, die "Mudschaheddin" - die vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan so gerne als "Freiheitskämpfer" (freedom fighters) bezeichnet wurden -, hätten eine Schule zerstört, weil dort Mädchen unterrichtet worden waren. Nur zu wahr: Der Schuldirektor und seine Frau hingen aufgeknüpft an einem Baum. Zuvor hatte man sie verbrannt. Die Afghanen kamen auf uns zu und berichteten Seltsames: Leute würden als politische Gefangene außer Landes geflogen. Sie würden - innerhalb der Sowjetunion - gefoltert. Geheimflüge also. In Kandahar kam ein Ladenbesitzer auf der Straße auf mich zu. Es war ein gebildeter Mann, Mitte fünfzig. Er hatte einen afghanischen Turban auf dem Kopf und trug gleichzeitig einen europäischen Sweater. Ich besitze noch die Notizen meines Interviews mit ihm: "Jeden Tag sagt die Regierung, die Lebensmittelpreise werden sinken", meinte er. "Jeden Tag sagt man uns, die Dinge würden sich bessern - dank der Zusammenarbeit (mit) der Sowjetunion. Doch das stimmt nicht. Ist Ihnen klar, dass die Regierung nicht einmal die Straßen kontrollieren kann? Fuck them. Sie halten nur die großen Städte". Die "Mudschaheddin" nisteten sich in der Provinz Helmand ein. Sie überquerten die Grenze zu Pakistan - hin und zurück, hin und zurück - wie sie es heute auch tun. Ein sowjetischer Mig-Kampfbomber flog Anfang 1980 sogar über die Grenze nach Pakistan, um die Partisanen anzugreifen. Die pakistanische Regierung - und natürlich die USA - verurteilten diesen unverschämten Verstoß gegen die Souveränität Pakistans. Sagen Sie das mal den jungen Amerikanern, die heute unbemannte Predator-Drohnen steuern - jene Drohnen, die nun so häufig über die pakistanische Grenze fliegen, um Partisanen anzugreifen. Fast ein Vierteljahrhundert später reiste ich nach Moskau, um mich mit ehemaligen russischen Besatzungssoldaten (aus jener Zeit in Afghanistan) zu treffen. Einige waren drogenabhängig, andere litten unter einem Syndrom, das heute als Stress-StörungPosttraumatisches Stresssyndrom (PTSD) - Anmerkung d. Übersetzerin. bezeichnet wird. An dem heutigen historischen Tag - während sich Barack Obama immer tiefer ins Chaos stürzt -, sollten wir an den Rückzug der Briten aus Kabul denken und an die Zerstörung dieser Stadt. Es geschah im Jahr 1842. Robert Fisk ist ein international anerkannter Journalist des "Independent" in London. Seine Berichte über den Nahen Osten liefern den dringend notwendigen Kontrast zur offiziellen Doktrin und inspirieren Aktivisten auf der ganzen Welt. Er ist regelmäßiger Autor des ZNet, außerdem schreibt er noch für "The Nation" und weitere Publikationen.
Quelle: ZNet Deutschland vom 17.03.2010. Originalartikel: This strategy has been tried before - without success . Übersetzt von: Andrea Noll. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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