Vor 50 Jahren: Der erste Ostermarsch in DeutschlandAusgangspunkt für eine massenhafte Ostermarsch-Bewegung und APOVon Michael Schmid Bei diesem Artikel handelt es sich um das überarbeitete Manuskript eines Referates, das der Autor beim Treff im Lebenshaus am 6.3.2010 gehalten hat. Grundlage hierfür wiederum sind die Ausführungen in der Broschüre: Uli Jäger/Michael Schmid-Vöhringer: “Wir werden nicht Ruhe geben …”. Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1945 - 1982. Geschichte, Dokumente, Perspektiven. Verein für Friedenspädagogik Tübingen, 1982. 48 Seiten (vergriffen - Restexemplare sind für eine kleine Spende beim Lebenshaus erhältlich - E-Mail: info@lebenshaus-alb.de ). Diese Broschüre ist ebenfalls im Internet dokumentiert: www.lebenshaus-alb.de/magazin/004900.html . Vor 50 Jahren, an Ostern 1960, fand der erste Ostermarsch in der Bundesrepublik Deutschland statt, an dem sich einige hundert Menschen beteiligten. Daraus wurde dann in den folgenden Jahren die Ostermarsch-Bewegung, eine massenhafte außerparlamentarische Bewegung. Diese damals ganz neue Aktionsform - dreitägige Märsche, unabhängig von Großorganisationen organisiert - hat zur ersten "Neuen Sozialen Bewegung" und zur außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik geführt. Nach einer Unterbrechung in den 70er Jahren wurde ab 1980 wieder an diese Ostermarsch-Tradition angeknüpft, die sich bis heute fortsetzt. Doch wie ist es überhaupt zu dieser Ostermarsch-Bewegung gekommen und welchen Verlauf hat sie genommen? Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich zumindest in kurzen Zügen etwas weiter ausholen und einen knappen Blick in die 50er Jahre werfen, bevor ich dann zu den Ostermärschen der 60er Jahre komme. 1. Die Kampagne "Kampf dem Atomtod"Von den Alliierten war zunächst nach 1945 eine Entmilitarisierung Deutschlands betrieben worden. Doch schon bald entstanden im Westen Pläne über eine gemeinsame Abwehrfront gegen die Sowjetunion. Es wurde eine "Politik der Stärke" entwickelt, in die die Bundesrepublik mit einbezogen wurde. Gegen die Wiederbewaffnung gab es vielfältige oppositionelle Kräfte, die aber letztlich erfolglos blieben. Denn Mitte der 50er Jahre wurde die Bundesrepublik in die NATO aufgenommen und als im Juli 1956 das Gesetz über die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen wurde, waren damit auch die Rechtsgrundlagen für den Aufbau der Bundeswehr vorhanden. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre entstand dann eine zweite große Protestbewegung, die sich selbst den Namen "Kampf dem Atomtod" gab. Die neue NATO-Konzeption sah vor, die konventionelle Waffenüberlegenheit der Sowjetunion durch "moderne, nukleare Streitkräfte" auszugleichen. Nach und nach wurde deutlich, dass auch die deutsche Bundesregierung wollte, dass die Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen ausgestattet wird. Auf einer Pressekonferenz im April 1957 sagte Bundeskanzler Adenauer: "Unterscheiden sie doch die taktischen und die großen atomaren Waffen. Die taktischen Waffen sind nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie. Selbstverständlich können wir nicht darauf verzichten, dass unsere Truppen auch in der normalen Bewaffnung die neueste Entwicklung mitmachen." In der Bevölkerung gab es eine große Betroffenheit über die geplante atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Und es gab Protest gegen diese Pläne. Die Kampagne "Kampf dem Atomtod" wurde ins Leben gerufen. SPD und DGB besetzten alle Gremien dieser Kampagne, sie war also stark abhängig von diesen beiden Großorganisationen. Es gab eine Reihe von Großkundgebungen - die größte mit 150.000 Teilnehmern in Hamburg. Doch dann vollzog die SPD 1959 mit ihrem Godesberger Programm einen Kurswechsel. Herbert Wehner, der große Stratege der SPD, hatte erkannt, seine Partei würde niemals an die Regierung kommen, wenn sie sich nicht in Richtung der Politik der Wiederbewaffnung Deutschlands durch Adenauer orientieren würde. Über eine große Koalition konnte der Weg zur Macht geebnet werden, wenn nur die größten Stolpersteine aus der SPD-Programmatik gestrichen würden. Einer der größten war die radikale Ablehnung jeglicher atomarer Waffen durch die Partei, die sich eben gerade in jener Kampagne gegen den Atomtod bisher kräftig geäußert hatte. Nun hatten also SPD und DGB praktisch über Nacht kein Interesse mehr daran, die Kampagne gegen Atomwaffen fortzuführen. Deshalb beendeten sie Kampagne "Kampf dem Atomtod" schleunigst. Dieses Ende wirkte sich auf viele Beteiligte geradezu lähmend aus. 2. Die Ostermarsch-BewegungDoch viele Atomwaffengegner waren entschlossen, trotz des Endes der Kampagne "Kampf dem Atomtod" weiterzuarbeiten und die Lehren aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen. Enttäuscht von dem von Taktik bestimmten Verhalten der Großorganisationen SPD und DGB kam bei vielen die Erkenntnis, sich selbst mit ihrer Person einbringen zu müssen, um den Protest wirkungsvoll gestalten zu können. Dies bedeutete zunächst die strikte Unabhängigkeit von Großorganisationen und die Ablehnung der "von oben nach unten" verordneten und durchgeführten Kundgebungen. Aus dieser Erkenntnis heraus riefen 1960 die Hamburger Lehrer Hans- Konrad Tempel und Helga Stolle zusammen mit Freunden zu einem Ostermarsch zu dem Raketenübungsgelände Bergen-Hohne auf. Der Anstoß zu diesem Ostermarsch kam aus Großbritannien, wo seit 1958 unter dem Namen "Campaign for Nuclear Disarmament" jährlich von Karfreitag bis Ostermontag vom britischen Atomwaffenzentrum Aldermaston in das 80 km entfernte London marschiert wurde. Der erste Ostermarsch in der Bundesrepublik, der sich noch auf Norddeutschland beschränkte, wurde von verschiedenen Gruppen des "Verbandes der Kriegsdienstverweigerer"(VK), sowie "Internationale der Kriegsdienstgegner"(IdK) und der "Deutschen Friedensgesellschaft" (DFG) getragen. Die Teilnehmerzahl war noch recht klein: Einige Hundert waren mitmarschiert, 1.000 nahmen an der Schlusskundgebung teil. Der Protest richtete sich ganz allgemein "gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation". Obwohl der erste Marsch 1960 von den Medien kaum beachtet wurde, fand die Ostermarsch-Idee doch ein großes Echo. So beteiligten sich bereits 1961 Tausende von engagierten Bürgern an den Märschen, die in fast allen Teilen der Bundesrepublik durchgeführt wurden. Warum gerade die Aktionsform des Ostermarsches bevorzugt wurde, erklärt Andreas Buro, der zunächst Geschäftsführer, ab 1964 dann Sprecher der Kampagne war, folgendermaßen: Die Atombombe, die eine Herausforderung an alle Menschen ist, war als solche nicht unmittelbar greifbar. Deshalb wurde sie in erster Linie von denen aufgegriffen, die mit den Werten der bürgerlichen Gesellschaft zu tun haben: Lehrer, Wissenschaftler, Pfarrer, etc. Da sie jedoch bei ihrem Kampf gegen die Bombe auf die ,,bürgerliche Öffentlichkeit", d.h. die Medien nicht zurückgreifen konnten, blieb den Protestierenden ,,also nur die Möglichkeit, ihre eigene Person als Mittel der öffentlichen Aufklärung und moralischen Auseinandersetzung ins Spiel bringen. Ihr Einsatz musste ihre Ernsthaftigkeit dokumentieren." Die Aktionsform des Ostermarsches war also gut dazu geeignet, durch eigene Opfer zu beeindrucken. Mit diesem Opfer wollte man dadurch Zeichen setzen, dass man über die Osterfeiertage vier Tage lang marschierte. Für dieses Zeichen war es dann auch nicht so ausschlaggebend, wenn man durch wenig belebte Landschaft marschierte bzw. marschieren musste - die Marschroute durch Städte wurde zum Teil verboten - und kaum Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erreichen konnte. Die feste Absicht, ein Zeichen zu setzen, erklärt u.a. die strenge Disziplin, welche die Organisatoren von den Marschteilnehmern erwarteten. Diese Disziplin beinhaltete Opferbereitschaft, Würde und Geschlossenheit des Auftretens - damit wollte man beeindrucken. Das bedeutete, dass es ein Marsch von Einzelnen sein musste, um Organisationen mit ihren je speziellen Programmen herauszuhalten, die mögliche Kontroversen untereinander hervorgerufen hätten. Diese Regelung hing aber auch eng damit zusammen, dass die Organisatoren des Ostermarsches alles vermeiden wollten, was einen Angriffspunkt für den Vorwurf der kommunistischen Unterwanderung des Ostermarsches geboten hätte. OrganisationsstrukturenNach dem Ostermarsch im Jahre l96l stellte sich verstärkt die organisatorische Frage. Mit dem Ostermarsch wollte man sich ,,an alle" wenden, damit ,,aus einer entschiedenen Minderheit eine kraftvolle Mehrheit - zum Segen aller Völker" werde. Deshalb wurde öffentlich eingeladen. Jeder konnte sich beteiligen, ohne irgendwo Mitglied werden zu müssen. Allerdings benötigten die Märsche einen erheblichen Aufwand an organisatorischer Arbeit. Dafür wurden eine Reihe von Gremien eingerichtet, die auf verschiedenen Ebenen die Ostermärsche koordinierten. Der ,,Zentrale Ausschuss" (ZA) bildete das Führungsgremium auf Bundesebene. Diesem ,,Zentralen Ausschuss" gehörten an: l. Der Sprecher (von 1960-64 Hans-Konrad Tempel, dann Andreas Buro), 2. der Geschäftsführer (zunächst Andreas Buro, ab 1965 Klaus Vack), 3. gewählte Vertreter der Regionalen Ausschüsse, 4. je ein Mitglied der befreundeten Organisationen und 5. sämtliche Mitglieder des Kuratoriums. Bemerkenswert ist, dass sich im ,,Zentralen Ausschuss" das Entscheidungsprinzip durchsetzte, kontroverse Fragen nicht durch Mehrheitsbeschlüsse zu entscheiden. Gab es bei einer Abstimmung eine Minderheit, so wurde diese Abstimmung nur als Meinungstest angesehen. Es wurde solange weiterdiskutiert, bis einmütig beschlossen werden konnte. So konnte der Gefahr begegnet werden, durch Mehrheitsbeschlüsse eine Spaltung der Kampagne herbeizuführen. Neben dem ,,Zentralen Ausschuss" gab es noch als Untergliederungen die Regionalausschüsse und örtliche Ausschüsse sowie weitere spezielle Ausschüsse. Eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten, darunter Stefan Andres, Dr. Heinz Kloppenburg, Prof. Dr. Hellmut Gollwitzer, Dr. Robert Jungk, Dr. Erich Kästner, Dr. Bodo Manstein, Earl Bertrand Russel, Robert Scholl u.a. stellten sich für ein Kuratorium des Ostermarsches zur Verfügung. Erklärungen durften im Übrigen nur durch den ,,Zentralen Ausschuss" abgegeben und Drucksachen durch die örtlichen Ausschüsse nur nach Genehmigung durch die Regionalausschüsse hergestellt werden. Auch hierfür kann man wohl den strengen - taktisch bedingten - Antikommunismus als Grund ansehen. Hier wird deutlich, dass starker Zentralismus praktiziert wurde. Obwohl die Organisation der Ostermarsch-Bewegung in relativ starkem Maße ,,von oben" erfolgte, kann man diese Bewegung allerdings dennoch als eine Basisbewegung ansehen, weil ihr außerparlamentarischer Protest erstmals außerhalb und teilweise gegen die etablierten Großorganisationen zustande kam. Außerdem waren die "Oberen" im ,,Zentralen Ausschuss" natürlich grundsätzlich auf die Zustimmung und aktive Beteiligung möglichst vieler Menschen angewiesen. Die Ostermärsche entwickelten sich im Laufe der Jahre zu einer Massenbewegung. Parallel zur steigenden Teilnehmerzahl gab es auch eine Steigerung in der Zahl der Märsche: Während 1960 erst ein Marsch veranstaltet wurde, waren es 1961 vier, 1964 bereits 20 Märsche in neun Zentren. 1967 beteiligten sich immerhin 150.000 Menschen an ca. 800 Veranstaltungen. Nachdem es anfänglich ein akademisches Übergewicht gegeben hatte, nahmen später Menschen aller Bevölkerungsschichten teil. Für Herbert Faller, Mitglied des ,,Zentralen Ausschuss", wurde mit den Ostermärschen eine neue Lebenseinstellung zum Ausdruck gebracht: ,,Unser Marsch ist nicht allein Demonstration gegen den Krieg; er ist eine Demonstration für das Leben. Daher die vielen jungen Menschen, die das Leben noch vor sich haben. Sie haben ihre Instrumente mitgebracht, ihre Lieder und ihre Skepsis gegen die verstaubten Ideale von gestern." Von einer rein moralischen Argumentation zur konkreten PolitisierungEine wesentliche Verschiebung in der Ostermarsch-Bewegung fand auch bei den inhaltlichen Aussagen statt: Die Entwicklung ging von einer anfänglich rein moralischen Argumentation hin zu einer konkreten Politisierung. Rein äußerlich wird das an den verschiedenen Namenswechseln der Kampagne deutlich: Das "Ostermarsch der Atomwaffengegner" wurde 1962 ergänzt zu "Ostermarsch der Atomwaffengegner - Kampagne für Abrüstung". 1963 wurde daraus "Kampagne für Abrüstung - Ostermarsch der Atomwaffengegner" und 1968 schließlich "Kampagne für Demokratie und Abrüstung". Ab 1965 erhielt die außerparlamentarische Opposition eine neue Dimension. Vor allem der Vietnamkrieg und die Notstandsgesetzgebung führten zu verschärften politischen Konfrontationen in der Bundesrepublik. Nun standen nicht mehr nur die Probleme der Rüstung und die Gefahren der Atomwaffen im Mittelpunkt, vielmehr erweiterte sich das Blickfeld erheblich: Rüstung und Abrüstung wurden jetzt auch unter der Berücksichtigung von politisch-ökonomischer Grundlagen diskutiert; Probleme der Demokratisierung traten in den Vordergrund. Auch hinsichtlich der Aktionsformen fand eine Entwicklung statt. Neben den bald traditionellen Ostermärschen wurden das ganze Jahr über eine Vielzahl von Aktivitäten durchgeführt: Dazu gehörten gewaltlose Sitzstreiks und Mahnwachen, Fahrrad-Kolonnen, "Tag-und-Nacht-Wachen" vor der US-Botschaft, Feldgottesdienste, Theaterspiele und Flohmärkte ebenso wie das Herstellen von Plakaten, Ansteckplaketten, Autoaufklebern, Schautafeln, Luftballons, Zeitschriften, Bild und Textdokumentationen, etc.. Viele selbstverfasste Ostermarsch-Lieder wurden der Beginn einer neuen demokratischen Liedkultur in der Bundesrepublik. Es wurden Liederbücher und sogar Schallplatten herausgegeben. Insgesamt wurden unzählig viele Aktivitäten im gesamten Bundesgebiet durchgeführt - oft bis zu 1.000 in einem Monat. Wenn uns heute solche Aktivitäten einigermaßen vertraut sind, so haben wir das zu einem guten Teil der Ostermarsch-Bewegung zu verdanken. Die Vielfalt die bei diesen Aktivitäten entwickelt wurde, war wohl nur deshalb möglich, weil es sich um eine Basisbewegung handelte, bei der der einzelne Mensch mit seiner Phantasie und Kreativität gefragt war. Dieser völlig neue Charakter einer Protestbewegung in der Bundesrepublik bewegte die politische Kultur so stark, dass der langjährige Geschäftsführer des "Zentralen Ausschuss", Klaus Vack, im Rückblick von einer regelrechten kulturrevolutionären Dimension spricht, den die Aktivitäten der Ostermarsch-Bewegung annahmen. Die etablierten Parteien und der DGB distanzierten sich entschieden von den Ostermärschen. Dennoch nahmen viele aus der SPD- und DGB-Basis teil. Die Medien berichteten zunächst kaum über die Ostermärsche, später dann eher über Äußerlichkeiten. Wie schon bei früheren Protestbewegungen wurde auch hier wieder versucht, die Kampagne als kommunistisch unterwandert oder gesteuert zu diffamieren. Ab 1967 führte das Bundesinnenministerium die Kampagne dann als "kommunistische Tarnorganisation". Der Großteil der Bevölkerung reagierte auf die Ostermarschierer sehr zurückhaltend. Sie hielten die Atomgefahr wohl nicht für besonders aktuell. Helmut Gollwitzer schätzte diese Reaktion so ein: "Wir zogen durch die Straßen und die Leute sahen uns ziemlich apathisch und uninteressiert an, als pazifistische Spinner …. Aber es war nicht etwa eine leidenschaftliche Apathie, die uns entgegenschlug, sondern viel eher Gleichgültigkeit." Auflösung der Ostermarsch-BewegungMit Zunahme der APO allerdings und der daraus resultierenden Radikalisierung des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS)" im Kampf gegen die Notstandsgesetze und den "Kapitalismus" wurde eine Aufrechterhaltung der bisherigen Ostermärsche als Aktionsform und gemeinsame Antworten auf die neu gestellten Fragen immer schwieriger. 1969 fand schließlich der letzte, gemeinsame Ostermarsch statt: Bei den Kundgebungen beschimpften SDS-Sprecher die Ostermarschierer als "Revisionisten" und bezeichneten sie in Flugblättern als "Lahmärsche". Ein gemeinsames Vorgehen war nicht mehr möglich. Zu einem Bruch innerhalb der Organisatoren trug auf anderer Ebene der Einmarsch der Warschauer Paktstaaten in der CSSR bei, der einheitliche politische Aussagen nicht mehr zuließ und eine Zersplitterung nach sich zog. Andreas Buro sieht allerdings als entscheidenden Grund für das Ende der Ostermarsch-Bewegung an, durch einen kollektiven Lernprozess in der Kampagne sei immer deutlicher geworden, dass hinter den Problemen von Rüstung und Abrüstung letztlich die Frage nach der Änderung der kapitalistischen Gesellschaft steckt. Auf die Frage nun, wie diese gesellschaftlichen Strukturen verändert werden könnten, gab es keine einheitliche Antwort: große Teile der Kampagne versuchten in je spezifischen Ansätzen an einer Überwindung, andere auch nur an einer Reform der kapitalistischen Gesellschaft zu arbeiten. Diese Zersplitterung setzte sich während der "Entspannungsphase" der siebziger Jahre fort (K-Gruppen, Integration in die SPD, Entstehen neuer Gruppen). Als 1970 die Führungsgruppe im "Zentralen Ausschuss" um Buro, Klönne und Vack öffentlich ihren Austritt aus der Kampagne erklärte, bestand praktisch kein arbeitsfähiger Zusammenhang der Kampagne mehr. Ziele erreicht oder gescheitert?Über die Frage, ob die Ostermarsch-Bewegung gescheitert ist oder nicht, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Sicher hat sie ihre selbstgesetzten Ziele wie Abrüstung oder gar Abschaffung der Atomwaffen, später Verhinderung der Notstandsgesetze, Beendigung des Vietnamkrieges‚ nicht erreicht. Noch gibt es Atomwaffen auf deutschem Boden und überall in der Welt. Allerdings wurden von der Ostermarsch-Bewegung eine Reihe wichtiger Lernschritte gemacht, Buro spricht hier von "kollektiven Lernprozessen", von denen wir sicher auch heute noch profitieren können. Solche Lernschritte waren: a) Viele Menschen lernten, dass sie ihren Protest selbst organisieren müssen, die Organisierung also nicht irgendwelchen Großorganisationen überlassen dürfen. b) Appelle an die Herrschenden führen nicht dazu, dass diese sich mit den vorgetragenen Argumenten auseinandersetzen würden, sondern vielmehr mit einer Flut von Diffamierungen und Verdächtigungen reagieren. c) Hinter der Rüstung konnte nicht nur ihre militärische Begründung stehen. Vielmehr verhinderten noch ganz andere Interessen und Motive echte Abrüstung. Dies führte dazu, dass Rüstung in enger Beziehung zu den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen gesehen wurde. Abrüstung konnte demnach nur im Rahmen einer gesellschaftlichen Veränderung durchgesetzt werden. Festgehalten werden kann, dass diese damals in den 1960er Jahren ganz neue Aktionsform - drei- bzw. viertägige Märsche, unabhängig von Großorganisationen organisiert - zur ersten "Neuen Sozialen Bewegung" und zur außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik geführt hat. Nach einer Unterbrechung in den 70er Jahren wurde ab 1980 wieder an diese Ostermarsch-Tradition angeknüpft, die sich bis heute fortsetzt. Hinweise:
"Unser Marsch ist eine gute Sache"So heißt das wohl bekannteste Lied der Ostermarsch-Bewegung aus den 60er Jahren. Entstanden zu Hochzeiten des Kalten Krieges, drückt es aus, was die Menschen der früheren Friedensbewegung wollten: weder gegen den Osten noch gegen den Westen marschieren. Sie wollten, dass abgerüstet wird. Sie wollten Frieden ohne Waffen. Dieses Lied ist heute noch sehr aktuell! Auch wenn wir - zumindest gedanklich - "den Süden" aufnehmen müssen, gegen den ebenfalls keine Soldaten marschieren dürfen.
Unser Marsch ist eine gute Sache Unser Marsch ist eine gute Sache, Marschieren wir gegen den Osten? Nein! Wir brauchen keine Generale, Marschieren wir gegen den Osten? Nein! Du deutsches Volk, du bist fast immer Marschieren wir gegen den Osten? Nein! (Text und Musik: Hannes Stütz. Lied der Ostermarsch-Bewegung, entstanden Anfang der 1960er Jahre) FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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