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Ukrainischer Ausverkauf

Von Karl Grobe

Dem Nato-Generalsekretär ist die Tragweite des russisch-ukrainischen Gas- und Flottenvertrags gewiss nicht entgangen. Sicherheitshalber tut Anders Fogh Rasmussen aber so, als gehe es das Bündnis gar nichts an, was die Präsidenten Dmitri Medwedew und Viktor Janukowitsch am Mittwoch in Charkow beschlossen haben. Der bilaterale Vertrag, interpretierte er, werde die Ukraine (und Georgien) nicht am Nato-Beitritt hindern, wenn sie es denn wollten.

Janukowitsch hatte allerdings Desinteresse angezeigt - in stillschweigender Erkenntnis, dass die Nato ein Mitglied namens Ukraine derzeit so sehr herbeisehnt wie Schweinegrippe. Oder anders: Es ist die alte Fabel vom Fuchs und den Trauben, nur dass seit Mittwoch die Trauben höher hängen als zuvor, und zwar auf lange Zeit.

Der Kiewer Präsident und sein Gast aus Moskau hatten vereinbart: Die Ukraine bekommt das russische Erdgas um 30 Prozent billiger. Dafür darf Russlands Schwarzmeerflotte weitere 25 Jahre in Sewastopol bleiben, gerechnet wohl von 2017 an. Die Mietkosten für den Kriegshafen auf der Krim - so verstand es Medwedew - werden mit dem Gaspreis verrechnet.

Die Nato-Frage ist damit deutlicher beantwortet, als Rasmussen verstanden haben will. Der Bündnisvertrag schließt nämlich die Mitgliedschaft jedes Staats aus, der fremde Militärbasen auf seinem Gebiet duldet; ausgenommen solche, deren sich andere Nato-Staaten bedienen, und zu denen zählt Russland nun wirklich nicht.

Die - implizite - Gaspreis-Verrechnungsklausel bedeutet überdies: Wenn die Ukraine den Flottenvertrag kündigt (oder gar nicht erst ratifiziert), wird das Gas auf einen Schlag teurer. Aber das wollen die Gönner, Berater und Parteifreunde Janukowitschs auf jeden Fall verhindern. Ihnen gehören die Stahlwerke, diese aber sind die energiehungrigsten Gasverbraucher. Rinat Achmetow, der reichste Ukrainer, wird diese Interessenlage seinem Staatschef sehr deutlich erklärt haben. Er ist stahlhart.

Demnach sollte eigentlich alles klar und die Bestätigung durch die Parlamente reine Formsache sein. Die russische Staatsduma und die ukrainische Werchowna Rada sollen nächsten Dienstag "synchron ratifizieren". In Moskau ist das eine leichte Übung.

In der Ukraine aber gibt es, was im Kalkül der Macher nicht vorkommt: Opposition. Und die hat Argumente. Zum Beispiel die Verfassung, die fremde Stützpunkte in der Ukraine kategorisch verbietet; für Sewastopol gilt eine bis 2017 befristete Ausnahmeregelung. Schon verlangt Unsere Ukraine, die Partei des in Unehren abgewählten Viktor Juschtschenko, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Janukowitsch. Der frühere Außenminister Anatoli Hrytsenko, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, zeiht Janukowitsch der Preisgabe der staatlichen Unabhängigkeit. Und die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko ruft zu landesweitem Protest.

Parlamentarisch ist zudem noch einiges offen. Janukowitsch hat seine knappe Rada-Mehrheit - was nicht verfassungskonform war - nur durch Überläufer aus der Juschtschenko-Partei erhalten. Dass sie dem zustimmen, was die der Opposition zuneigende Kyiv Post den Charkower Ausverkauf nennt, ist nicht ausgemacht. Und ob sich die kritischen Wähler in der West- und Zentralukraine durch heiße Luft - billigeres Heizgas - kaufen lassen, darf man bezweifeln: Das Land ist tief gespalten.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 24.04.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

24. April 2010

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