Globalisierung und lokaler Aufbau der gewaltfreien Aktion. Versuch einer ZwischenbilanzVon Theodor Ebert Mit der richtigen Frage beginnen"Ist das Scheitern des Versuches, den Krieg abzuschaffen, eventuell darauf zurückzuführen, dass die Natur des Problems nicht erkannt und darum auch kein adäquater Ansatz für die Lösung des Problems gefunden werden konnte?" Mit dieser Frage begann der amerikanische Soziologe Gene Sharp seine Untersuchung über "Das politische Äquivalent des Krieges - die gewaltlose Aktion", die in deutscher Übersetzung im Jahre 1968 in dem von Ekkehart Krippendorff herausgegebenen Sammelband "Friedensforschung" in der Neuen Wissenschaftlichen Bibliothek" des Verlages Kiepenheuer und Witsch erschien. Dieser Sammelband, der vor allem die angelsächsische Forschung erschloss, erwies sich als grundlegend für die deutsche Friedensforschung. Bevor man sich im Gestrüpp der Einzelstudien verliert, ist es in vielen Disziplinen sinnvoll, noch einmal auf die Ausgangsfragen und die ersten Hypothesen zurückzuschauen. Gene Sharp vertrat die Auffassung, dass die bewaffnete Gewaltanwendung ein Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses sei, nicht ohne eine ultima ratio (einen letzten Ausweg) sich den Zwangsmaßnahmen seiner Mitmenschen ausgesetzt zu sehen. Das Militär als ultima ratio und letzte Stütze der staatlichen Ordnung könnten die Pazifisten nur abschaffen, wenn sie eine Alternative zum Militär und überhaupt zu bewaffneten Sanktionen finden könnten. Gene Sharp sah diese Alternative in der Entwicklung und Einübung der gewaltlosen Aktion. Aus einem christlichen Elternhaus kommend und darum von Jugend an vertraut mit den Lehren Jesu erkannte er in den politischen Experimenten Gandhis mit Satyagraha - also dem Festhalten am gewaltfreien Widerstand und gewaltfreien Eingreifen - den Schlüssel zur Überwindung militärischer Gewalt. Gandhi war der erste, der als politischer Führer einer großen Nation den Anspruch formulierte, das Satyagraha-Konzept auch auf das staatliche Leben und die internationale Politik anzuwenden. Grundlegend war die zweibändige Aufsatzsammlung "Nonviolence in Peace and War", die aber erst nach seinem Tode und nach dem Menetekel der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki erschien. Martin Luther King hat seinen Auftrag ähnlich wie Gandhi gesehen. In seinem autobiographischen Bericht über den Busboykott von Montgomery schreibt er: "Ehe ich Gandhi gelesen hatte, glaubte ich, dass die Sittenlehre Jesu nur für das persönliche Verhältnis zwischen Menschen gelte… Gandhi war wahrscheinlich der erste Mensch in der Geschichte, der Jesu Ethik von der Liebe über eine bloße Wechselwirkung zwischen einzelnen Menschen hinaus zu einer wirksamen sozialen Macht in großem Maßstab erhob. Für Gandhi war die Liebe ein mächtiges Instrument für eine soziale und kollektive Umgestaltung. In seiner Lehre von der Liebe und Gewaltlosigkeit entdeckte ich die Methode für eine Reform von Staat und Gesellschaft,In der geläufigen deutschen Übersetzung steht hier "Sozialreform". Gemeint ist jedoch nicht eine Reform der Sozialpolitik, sondern bei Kings Bezugnahme auf Gandhi eine Reform von Gesellschaft und Staat. nach der ich schon so viele Monate gesucht hatte." An diesem Programm der Durchsetzung des gewaltfreien Äquivalents zur bewaffneten Gewaltanwendung wurde in den letzten 50 Jahren weltweit intensiver gearbeitet als in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Und doch blieb die Zahl der beteiligten Konfliktexperten und Aktivisten weit geringer als die Zahl der gleichzeitig weiterhin aktiven Rüstungsforscher, Militärstrategen und Soldaten. So ist schwer zu sagen, ob man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte als ermutigend oder als deprimierend empfinden darf. Einerseits reichen die Erfahrungen mit unbewaffneten Widerstandsaktionen in der Geschichte weit zurück, andererseits haben erfolgreiche gewaltlose Massenaktionen noch nirgends zur demonstrativen Abschaffung des Militärs geführt. An mehreren Orten ist auf spektakuläre Siege der gewaltlosen Aktionen nicht deren Ausweitung in den Kernbereich staatlicher Machtausübung gefolgt. Schon in der Antike gab es die Erfahrung, dass der Macht, die mit Schwert und Spieß und sichelbewehrten Streitwagen vorangetrieben wurde, mit nichtmilitärischen Methoden widerstanden wurde. Solche Einzelerfahrungen ziehen sich durch die Jahrhunderte. Immer wieder haben die zivilen Widerstand Leistenden in bemerkenswerten Fällen ihre Ziele kurz-, mittel- oder langfristig ganz oder teilweise erreichen können. Widersprüchliche ErfahrungenDie Erfahrungen sind jedoch sehr unterschiedlich. Schon die einheitliche Verwendung der Bezeichnung "gewaltfrei" für die Strategie der Aufständischen ist problematisch, weil sie nicht das Selbstverständnis aller Akteure trifft. Die einen "verzichteten" auf gewaltsame Methoden in einer bestimmten Situation, während die anderen sie grundsätzlich aus ihrem Instrumentarium ausschieden, sich also von ihren schädlichen Folgewirkungen "frei machten". In Deutschland hat sich durchgesetzt, dass man Kampagnen, in deren Verlauf von einer Seite ganz bewusst und auf keinen Fall gewaltsame Mittel eingesetzt werden sollen, als "gewaltfrei" charakterisiert. So bezeichneten sich - unter dem Einfluss von Dr. Wolfgang Sternstein - die deutschen Umweltschutzinitiativen seit den 70er Jahren in der Regel als "gewaltfrei". Dabei blieb aber noch offen, ob die solchermaßen Erfolgreichen in anderen Zusammenhängen nicht doch polizeiliche oder gar militärische Gewalt befürworten würden. Die Grünen, welche bei ihrer Gründung das gewaltfreie Vorgehen zu den Grundsätzen ihrer Politik erklärten, ließen diesen Grundsatz als Regierungspartei sang- und klanglos aus dem Parteiprogramm verschwinden, nachdem sie zuvor schon herzlich wenig für die Erforschung und Einübung dieser Alternative getan hatten, sehr zum Kummer einiger Gründungsmitglieder wie Petra Kelly und Roland Vogt. In der internationalen Politik blieben die Erfolge spontanen gewaltlosen Widerstands gegen Militärmächte ähnlich folgenlos. So konnte es passieren, dass Anfang der 90er Jahre in den baltischen Staaten das parlamentarische System und die Unabhängigkeit mit gewaltlosen Methoden erfolgreich verteidigt wurden, aber die neu gefestigten Staaten sich der NATO anschlossen. Aus Gandhis gewaltfreiem Kampf um die Unabhängigkeit Indiens vom englischen Kolonialregime sind nach einem fürchterlichen Gemetzel zwischen Hindus und Moslems zwei mit Atomwaffen ausgestattete Nationalstaaten hervorgegangen. Nicht einmal auf die Anführer angeblich gewaltfreier Kampagnen ist immer Verlass. Kwame Nkrumah hat in seiner Autobiographie "Die schwarze Fanfare" noch die an Gandhi orientierte "positive Aktion" im Unabhängigkeitskampf Ghanas gerühmt und nach seiner Entmachtung ein Handbuch des Guerillakrieges verfasst. Kann man sich gegen Missbrauch absichern?Man könnte manchmal meinen, auch die gewaltlose Aktion sei ein Spielball in der Hand von Pragmatikern oder gar Zynikern. Kann man sich dagegen versichern? Das Ausscheiden von Waffengewalt wurde früher häufig religiös begründet, und bis in unsere Tage spielen religiöse Überlieferungen in gewaltfreien Kampagnen eine stabilisierende und stimulierende Rolle. Ich erinnere mich, dass es mir 1985 in dem schutzmachtbesessenen Berlin gelang, als Motto der kirchlich organisierten Friedenswoche ein Wort des Propheten Hosea durchzusetzen: "Wir suchen nicht mehr Hilfe bei den Assyrern, wir vertrauen nicht mehr auf unsere Pferde und Streitwagen, wir wollen nicht mehr das Machwerk unserer Hände als unseren Gott anrufen! Denn du hast Erbarmen mit dem, der keinen Beschützer hat." (Hosea 14,4) Zu diesem Motto gehörte auch eine Studie zur Sozialen Verteidigung demokratischer Errungenschaften und die Unterstützung der Kriegsdienstverweigerer - sowohl der Bausoldaten wie auch der Totalverweigerer - in der DDR. Und doch war eine der ersten Konsequenzen des erfolgreichen gewaltfreien Widerstands in der DDR und des Falls der Mauer, dass nun auch im Westteil von Berlin die allgemeine Wehrpflicht durchgesetzt wurde. Die Reaktion der Evangelischen Kirche darauf war die Initiative für einen Zivilen Friedensdienst "als Alternative zum Militär". Doch auch daraus wurde letzten Endes nur eine zahlenmäßig verschwindend kleine Erweiterung des bereits bewährten, staatlich finanzierten Entwicklungsdienstes von Fachkräften. Solche Entwicklungen zu bilanzieren, fällt auch denjenigen schwer, die ihr Leben an die Ausweitung und Durchsetzung der gewaltfreien Aktion als Alternative zum Militär gewandt haben. Man sollte sich vor schnellen Urteilen hüten, ohne zuvor das Erreichte und das (vorläufig oder endgültig?) Gescheiterte vor dem inneren Auge und auch im Blick auf die gesammelten Schriften Revue passieren zu lassen. Die ersten Listen von "Siegen ohne Gewalt"Eine der ersten eindrucksvollen Sammlungen der Erfahrungen mit gewaltfreien Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart stammt von der englischen Quäkerin A. Ruth Fry (1878-1962). Diese Sammlung von schließlich 76 Fällen erschien von 1937 bis 1957 in mehreren Auflagen unter dem Titel "Victories without Violence". Ruth Fry, deren Nachlass im Swarthmore College in den USA gesammelt wird und über das Internet zugänglich ist, forderte die systematische Erforschung der Erfolgsbedingungen des gewaltfreien Widerstands. Sie konnte am Ende ihres langen Lebens als engagierte Pazifistin noch auf erste systematische Versuche, die den Erfahrungsschatz der Schriften M. K. Gandhis auswerteten, verweisen. Sie hob insbesondere "Die Macht der Gewaltlosigkeit" von Richard B. Gregg hervor. Seit ihrem Tod im Jahre 1962 hat die Zahl der Untersuchungen, sowohl der Fallstudien wie auch der systematischen Abhandlungen, sprunghaft zugenommen. Sie füllen mittlerweile Bibliotheken. April Carter, die beste Kennerin dieser Arbeiten und Mitbegründerin des "Direct Action Committees against Nuclear War" (DAC) im Jahre 1957, hat einen Überblick versucht in dem von Adam Roberts und Timothy Garton Ash herausgegebenen Sammelband "Civil Resistance and Power Politics" (New York: Oxford University Press, 2009) unter dem Titel "People Power and Protest: The Literature on Civil Resistance in Historical Context, S. 25-42). Es wird mittlerweile kaum mehr bestritten, dass Massenbewegungen, aber auch Einzelkämpfer und entschlossene gewaltfreie Bezugsgruppen, die ihre Anliegen zu dramatisieren wissen, einen Machtfaktor darstellen - innen- wie auch außenpolitisch. Zwischen dem Erscheinen der ersten Sammlung gewaltfreier direkter Aktionen durch die Quäker-Aktivistin Ruth Fry und der Zusammenstellung und Untersuchung gewaltfreier Aktionen durch die Crême de la Crême der Professoren von Oxford und Harvard liegen nur ein Menschenalter, aber eben auch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, Guerillakriege in Südostasien, in Nordirland und im Kosovo, die Bürgerrechts- und die Ökologiebewegungen in den USA und in Westeuropa und das Ende der Einparteiendiktaturen in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten. Ein Indiz für die wachsende Bedeutung der gewaltfreien Aktion ist auch der Umstand, dass einige Forscher auf dem Gebiet der gewaltfreien Aktion in den Verdacht geraten sind, mit staatlichen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten beim Versuch, missliebige auswärtige Regierungen ohne den Einsatz von Waffengewalt durch das Manipulieren von Volksaufständen zu stürzen. Auch wenn dieser Verdacht sich nicht erhärten ließ, so ist er doch ein Zeichen dafür, dass die gewaltfreien Aufstände den naiven Charme von Quäkeraktionen eingebüßt haben. Die Oxforder Politologen Adam Roberts und Timothy Garton Ash haben vom 15. - 18. März 2007 an der Universität Oxford eine hochkarätig besetzte internationale Konferenz zum Thema "Ziviler Widerstand in einer Welt der Machtpolitik" (Civil Resistance and Power Politics) einberufen. Gene Sharp hielt den Eröffnungsvortrag. Man war sich darin einig, dass der zivile Widerstand ein vielseitiges Instrument ist, das sich unter Berücksichtigung der jeweiligen historischen und aktuellen Bedingungen mit Aussicht auf Erfolg einsetzen lässt. Man scheute aber eine ideologische Belastung des Untersuchungsergebnisses durch die zentrale Verwendung des Begriffes "Nonviolence" (Gewaltlosigkeit), von "gewaltfreier Aktion" ganz zu schweigen. Diese vorsichtigen Sozialwissenschaftler wollten vermeiden, dass ihre Untersuchungen in den Verdacht geraten könnten, ins Umfeld religiöser Bekenntnisse gerückt zu werden. Das Ziel dieser Forscher war es, in erster Linie die Erfolgsbedingungen des sogenannten "zivilen Widerstands" zu erkunden. Es lohnt sich, die Fälle aufzuzählen, an Hand derer Adam Roberts und Timothy Gorton Ash und ihre namhaften Kollegen dies getan haben:
In die Übersetzung der englischen Titel der Aufsätze habe ich an zwei Stellen die Vokabel "gewaltfrei" übernommen, weil in der DDR und auf den Philippinen nachweislich die Theorie der bewusst (und christlich motivierten) gewaltfreie Aktion eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat. An der Liste der 18 Kampagnen fällt auf, dass mit Ausnahme der Bürgerrechtsbewegung in den USA immer nur aktuelle und potenzielle Regime-Wechsel untersucht wurden. Im besten Falle ist es den Aufständischen gelungen, demokratische Institutionen zu etablieren und mit deren Hilfe die Gesellschaften umzugestalten. Aber häufig reagierten an den Protesten Beteiligte auch enttäuscht auf die Geringfügigkeit der tatsächlichen Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse und die Kontinuität der Herrschaftsstrukturen. Besonders auffällig ist, dass in keinem der untersuchten Fälle das Militär als Institution abgeschafft oder auch nur in Frage gestellt wurde. Die Perspektive der gewaltfreien GraswurzelrevolutionWenn man also aus der Sicht der Friedensbewegung über den mittel- und langfristigen Erfolg von gewaltfreien Aufständen nachdenkt, dann empfiehlt es sich, auch die innenpolitischen gewaltfreien Bewegungen in etablierten Demokratien ins Auge zu fassen. Zu denken ist hier im Blick auf die Bundesrepublik Deutschland in erster Linie an die Studentenbewegung in den Jahren 1967 und 1968, ihre Vorbereitung durch die Ostermarschbewegung und ihre Nachwirkung in der Frauenbewegung und der Ökologiebewegung. Solche Massenbewegungen in den etablierten Demokratien unterscheiden sich von den oben genannten Regimewechseln vor allem durch den Umstand, dass dezentral eine wirklich große Zahl von bewusst gewaltfreien Bezugsgruppen am Prozess des Erlernens demokratischer Beteiligung und des Einübens mannigfaltiger Protestmethoden beteiligt ist. Ihren sprachlichen Ausdruck haben diese Beteiligungsformen in dem Begriff der "gewaltfreien Graswurzelrevolution" gefunden. Das Revolutionäre ist, dass im Zuge des gewaltfreien Widerstands bei den Beteiligten die tradierten autoritären Charakterstrukturen allmählich überwunden werden. Dieser Prozess geht in der Regel mit einem Generationswechsel einher. In Deutschland sind mit der Außerparlamentarischen Opposition der Jahre 1967/68 wahrscheinlich zum ersten Mal die Keimlinge einer gewaltfreien Graswurzelrevolution sichtbar geworden. Die APO war noch keine gewaltfreie Bewegung, aber in ihr gab es doch wichtige Elemente eines bewusst gewaltfreien Aufstands. Wenn man die deutsche Nachkriegsgeschichte verstehen will, dann tut man gut daran, sich weit intensiver als bisher mit diesen gewaltfreien Aktionsgruppen in der APO und ihrer Folge zu befassen, statt immer nur auf die Rote Armee Fraktion zu achten. Für den Praxis- und Bewusstseinswandel der Nachkriegsgeneration waren Gandhi und Martin Luther King viel wichtiger als Ho Tschi Minh und Che Guevara, auch wenn sich dies auf den Straßen zunächst anders anhörte. Wer die Nachhaltigkeit einer so genannten "gewaltfreien Revolution" beurteilen will, tut gut daran, auf die Zahl der Beteiligten und die Dauer ihrer Beteiligung und der damit (im weitesten Sinne) verbundenen Lernprozesse zu achten. Gandhi hätte sich einen längeren Kampf um die Unabhängigkeit Indiens gewünscht, weil er dann die Möglichkeit gesehen hätte, eine weit größere Zahl von Indern in die gewaltfreien Methoden einzuüben. Sein Ziel war ein Netzwerk von gewaltfreien Aktionsgruppen in ganz Indien. Dieses Netzwerk sollte basisdemokratisch in der Lage sein, die Interessen der indischen Massen zu vertreten. Er sah in einem solchen Netzwerk auch die Alternative zur militärischen Verteidigung und zu einer schwer bewaffneten Polizei. Er war aber nicht grundsätzlich gegen Wahlen im Rahmen einer repräsentativen, parteienstaatlichen Demokratie. Obwohl Gandhi die Unzulänglichkeit der Vorbereitung auf "Hind Swaraj", also die gewaltfreie Selbstbestimmung Indiens, sah, konnte er verstehen, dass die indischen Politiker die sich bietende Möglichkeit der Unabhängigkeit ergriffen und ein Staatswesen nicht anarchistischen, sondern konservativen, parteienstaatlichen Zuschnitts mit einem Militär- und Polizeiapparat, wie ihn die Engländer hinterlassen hatten, gründeten. Er war darüber nicht glücklich und er nahm an den Unabhängigkeitsfeiern auch nicht teil, aber seine Erfahrung hat sich bei vielen Regimewechseln, die durch gewaltlose Massenaktionen befördert worden waren, wiederholt. Diese Wiederholung ist aber nicht zwangsläufig. Es ist vorstellbar, dass gewaltfreie Bewegungen auch die Abschaffung des Militärs und sein Ersetzen durch einen umfangreichen, trainierten zivilen Friedensdienst zum politischen Ziel erklären und den Zeitraum bis zur Übernahme politischer Verantwortung nutzen, um mit einem bereits entwickelten Netzwerk gewaltfreier Aktionsgruppen in einer echten gewaltfreien Graswurzelrevolution ein neues Kapitel der Friedensgeschichte mit globaler Auswirkung zu schreiben. Theodor Ebert, geb. 1937 in Stuttgart, war bis 2002 Friedensforscher an der Freien Universität Berlin. Er ist seit 1969 Herausgeber von "Gewaltfreie Aktion. Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit" und u. a. Autor von "Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg" (1968, "Ziviler Friedensdienst. Alternative zum Militär" (Münster 1997) und "Pazifismus - Grundsätze und Erfahrungen für das 21. Jahrhundert", 2 Bde (Münster 2001).
Den vorstehenden Beitrag hat Theodor Ebert für Querbrief, Mitgliederzeitschrift des Weltfriedensdienstes geschrieben und uns freundlicherweise für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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