Uri Avnery: Rosemaries BabyVon Uri Avnery, 24.07.2010 SEIT ICH in meiner Kindheit den Aufstieg der Nazis in Deutschland miterlebte, juckt meine Nase jedes Mal, wenn ich etwas Faschistisches rieche, auch wenn der Geruch noch schwach ist. Als die Debatte über die "Ein-Staaten-Lösung" begann, fing meine Nase an zu jucken. Bist du verrückt geworden, sagte ich zu meiner Nase, dieses Mal hast du absolut unrecht. Dies ist ein Plan der Linken. Er wird von Linken mit unzweifelhaften Referenzen vorgebracht, von den größten Idealisten in Israel und im Ausland, sogar von Marxisten. Doch meine Nase blieb dabei. Sie juckte weiter. Nun sieht es so aus, als ob die Nase letzten Endes Recht hätte. DIES IST nicht das erste Mal, dass ein koscherer linker Plan zu extrem rechten Konsequenzen führt. Es geschah z.B. mit dem hässlichsten Symbol der Besatzung: der Trennungsmauer. Sie wurde von der Linken erfunden. Als die terroristischen Anschläge häufiger wurden, boten linke Politiker, von Chaim Ramon angeführt, eine Wunderlösung für das Problem an: ein unpassierbares Hindernis zwischen Israel und den besetzten Gebieten. Sie behaupteten, dass es die Anschläge stoppen würde ohne die Anwendung brutaler Gewalt in der Westbank. Die Rechte widersetzte sich diesem Gedanken vehement. Für sie war es eine Verschwörung, die Grenzen des Staates festzulegen und die "Zwei-Staaten-Lösung" zu liefern, die sie als eine existentielle Bedrohung ihrer Pläne sah und noch sieht. Aber plötzlich änderte die Rechte ihren Ton. Ihr war klar geworden, dass die Mauer eine wunderbare Möglichkeit ist, große Teile der Westbank zu annektieren und sie den Siedlern zu vermachen. Und so geschah es denn auch: Die Mauer/der Zaun wurde nicht auf die Grüne Grenzlinie (von vor 1967) gesetzt, sondern schnitt tief in die Westbank ein und nahm so den palästinensischen Dörfern viel Land weg. Jetzt demonstrieren jede Woche Linke gegen die Mauer, die Rechten schicken Soldaten, um auf sie zu schießen, und die Zwei-Staaten-Lösung ist zurück gedrängt worden. NUN HABEN die Rechten die "Ein-Staaten-Lösung" entdeckt. Meine Nase juckt wieder. Einer der ersten war Moshe Arens, früherer Verteidigungsminister. Arens ist ein extrem Rechter, ein fanatisches Likud-Mitglied. Er begann mit dem Reden über einen Staat vom Mittelmeer bis zum Jordan, einem Staat, in dem den Palästinensern die vollen Rechte gewährt werden würden, einschließlich der Staatsbürgerschaft und des Wahlrechtes. Ich rieb mir die Augen. Ist das derselbe Arens? Was ist mit ihm geschehen? Aber das scheinbare Rätsel hat eine einfache Lösung. Arens und seine Kollegen stehen einem mathematischen Problem gegenüber, das unlösbar erscheint: ein Dreieck in einen Kreis zu verwandeln. Ihr Ziel hat drei Seiten: a) einen jüdischen Staat, b) das ganze Erez Israel und c) eine Demokratie. Wie kann man diese drei Seiten in einen harmonischen Kreis verwandeln? Zwischen dem Mittelmeer und dem Fluss leben jetzt 6,5 Millionen Juden und 3,9 Millionen Palästinenser - 59% Juden zu 41% Palästinenser (einschließlich der Bewohner der Westbank, des Gazastreifens, Ost-Jerusalems und der arabischen Bürger Israels). Diese Zahl schließt natürlich nicht die Millionen palästinensischer Flüchtlinge mit ein, die außerhalb des Landes leben.) Mehrere "Experten" versuchten, diese Zahlen anzufechten, aber geachtete Statistiker, auch Israelis, akzeptieren sie mit kleinen Veränderungen hier und dort. Das Verhältnis verändert sich schnell zu Gunsten der Palästinenser. Die palästinensische Bevölkerung verdoppelt sich alle 18 Jahre. Selbst wenn man das natürliche Wachstum der jüdischen Bevölkerung in Israel und die potentielle Einwanderung in der voraussehbaren Zukunft berücksichtigt, kann man mit fast mathematischer Genauigkeit voraussagen, wann die Palästinenser zwischen dem Jordan und dem Meer die Mehrheit darstellen werden. Es ist eher eine Sache von Jahren als von Jahrzehnten. Die unausweichliche Schlussfolgerung: Man kann zwei der drei Ziele mit einander in Einklang bringen, aber nicht alle drei: a) ein jüdischer Staat im ganzen Land kann nicht demokratisch sein, b) ein demokratischer Staat kann nicht jüdisch sein, und c) ein jüdischer demokratischer Staat kann nicht ganz Erez Israel einschließen. Einfach und logisch. Man muss kein Moshe Arens sein, ein Ingenieur vom Fach, um dies zu sehen. Deshalb sieht sich die Rechte nach einer anderen Logik um, die es erlauben würde, einen jüdischen und demokratischen Staat im ganzen Lande zu schaffen. LETZTE WOCHE veröffentlichte die Tageszeitung Haarez eine phantastische Sensation: prominente Persönlichkeiten der extremen Rechten - tatsächlich einige der extremsten - akzeptierten die Ein-Staaten-Lösung vom Meer bis zum Fluss. Sie sprechen über einen Staat, in dem die Palästinenser Bürger mit vollen Rechten sein würden. Die Rechten, die in Noam Sheizafs Artikel zitiert werden, verheimlichen die Gründe nicht, die sie dahin brachten, diesen Standpunkt zu akzeptieren: sie wollen verhindern, dass ein palästinensischer Staat neben Israel entsteht, was das Ende des Siedlungsunternehmens und die Evakuierung vieler Siedlungen und Außenposten überall in der Westbank bedeuten würde. Sie wollen auch dem wachsenden internationalen Druck für eine Zwei-Staatenlösung ein Ende setzen. Unter einigen Linken in der Welt, die für die Ein-Staaten-Lösung sind, wurde die Nachricht mit großer Freude begrüßt. Sie überschütten das israelische Friedenslager mit Verachtung (Linke mögen nichts lieber, als andere Linke verspotten), und häufen Lob auf die israelische Rechte. Was für ein Großmut! Was für eine Bereitschaft, aus der gewohnten Denkart auszubrechen und linke Ideale zu adoptieren. Nur die Rechte wird Frieden machen! Alle sechs Rechte, die in dem Artikel zitiert werden, sind sich in einer Anzahl von Punkten einig, die näher betrachtet werden müssen. Erstens: alle wollen den Gazastreifen von der vorgeschlagenen Lösung ausschließen. Gaza soll nicht länger ein Teil des Landes sein. Auf diese Weise wird die Zahl der Palästinenser um 1,5 Millionen reduziert und verbessert so das schwankende demographische Gleichgewicht. ((Im Oslo-Abkommen hat Israel zwar anerkannt, dass die Westbank und der Gazastreifen eine einzige integrierte Einheit bilden; aber die Rechten betrachten das Oslo-Abkommen ja sowie so als das abscheuliche Produkt linker Verräter.) Zweitens: der eine Staat wird natürlich ein jüdischer Staat sein. Drittens: die Annexion der Westbank wird sofort stattfinden, damit der Siedlungsbau ungestört weitergehen kann. In einem Großisrael kann das Siedlungsunternehmen nicht begrenzt werden. Viertens: Es gibt keine Möglichkeit, allen Palästinensern unverzüglich die Staatsbürgerschaft zu gewähren. Der Autor des Artikels fasst ihre Positionen zusammen: "ein Prozess, der etwa ein Jahrzehnt bis zu einer Generation dauert, am Ende werden die Palästinenser sich der vollen persönlichen Rechte erfreuen, aber der Staat wird in seinen Symbolen und seinem Geist jüdisch bleiben … Dies ist nicht die Vision eines Staates, der all seinen Bürgern gehört und nicht "Isratin" sein wird mit einer kombinierten Flagge mit dem Halbmond und dem Davidstern. Der eine Staat wird jüdische Herrschaft bedeuten." ES LOHNT sich, gut auf die Erklärungen seiner Initiatoren zu hören (was kursiv steht, wird von mir betont). Uri Elitsur, früherer Generaldirektor des Judäa und Samaria-Rats (Führung der Siedler, auch Jesha-Rat genannt): "Ich spreche von einem jüdischen Staat, der der Staat des jüdischen Volkes ist und in dem es eine arabische Minderheit gibt. Hanan Porat, ein Gründer von Gush Emunim (die religiöse Siedlerführung und der Mann, der nach Baruch Goldstones Massaker -1994 - in Hebron die Juden aufrief, sich darüber zu freuen): "Ich bin gegen die automatische Staatsbürgerschaft, wie sie Uri Elitsur vorschlägt, was naiv ist und zu ernsten Konsequenzen führen könnte. Ich schlage vor, nach und nach das israelische Gesetz über die Gebiete zu verhängen, zunächst in den Gebieten, wo es (schon) eine jüdische Mehrheit gibt, und innerhalb der Zeitspanne eines Jahrzehnts bis zu einer Generation in allen besetzten Gebieten." Porat schlägt vor, die Palästinenser in drei Kategorien zu teilen: a) diejenigen, die einen arabischen Staat wollen, die bereit sind, dies durch Terrorismus zu verwirklichen und gegen den Staat zu kämpfen - sie haben keinen Platz in Erez Israel. Das bedeutet: sie werden vertrieben. b) Diejenigen, die sich mit ihrem Platz und mit jüdischer Herrschaft abfinden, aber nicht bereit sind, am Staat teil zu nehmen und ihre Verpflichtungen ihm gegenüber zu erfüllen - sie werden alle Menschenrechte haben, aber keine politische Vertretung in den Institutionen des Staates. c) Diejenigen, die volle Loyalität dem Staat gegenüber zeigen und volle Treue ihm gegenüber schwören - ihnen werden die vollen Bürgerrechte zugestanden (sie werden natürlich eine kleine Minderheit sein). Zipi Hutubeli, ein Mitglied des Parlamentes vom äußersten Rand des Likud: "Am politischen Horizont muss es für die Palästinenser in Judäa und Samaria eine Staatsbürgerschaft geben. … Das wird nach und nach geschehen. … Dieser Prozess muss lange Zeit in Anspruch nehmen, vielleicht eine Generation. Im Laufe dieser Zeit muss sich die Situation stabilisieren und die Symbole des jüdischen Staates und sein Charakter werden im Gesetz verankert sein. … Das Fragezeichen, das über Judäa und Samaria schwebt, muss verschwinden. … Als erstes kommt mein tiefer Glaube an unser Recht auf Erez Israel. Shilo und Bethel (in der Westbank) sind für mich das Land unserer Vorfahren in der vollen Bedeutung dieses Wortes … Im Augenblick sprechen wir über die Verleihung von Staatsbürgerschaft in Judäa und Samaria, nicht im Gazastreifen. Ganz klar gesagt: Ich erkenne keine politischen Rechte für Palästinenser über Erez Israel an. … Zwischen Meer und dem Jordan gibt es nur Platz für einen Staat, für einen jüdischen Staat." Moshe Arens: "Die Integration der arabischen Bevölkerung (innerhalb Israels) in die israelische Gesellschaft ist eine Vorbedingung, und erst danach kann man über Staatsbürgerschaft für Palästinenser in den besetzten Gebieten reden." Das bedeutet: Arens schlägt vor, sich auf die Integration der arabischen Bürger in Israel zu konzentrieren - auf etwas, das in den letzten 62 Jahren nicht geschehen ist - und erst danach über die Frage der Staatsbürgerschaft der Westbankbewohner nachzudenken. Emily Amrussi, eine Siedlerin, die Treffen zwischen Siedlern und Palästinensern in den benachbarten Dörfern organisiert: "Beschreibt mich nicht als jemanden, der den ‘einen Staat’ befürwortet. Am Ende mögen wir dort ankommen. Aber noch sind wir sehr weit davon entfernt. Lasst uns zunächst über ein Land reden. …Wir reden nicht über Staatsbürgerschaft, sondern über Beziehungen zwischen Nachbarn. Lasst uns zunächst gute Nachbarn werden, und dann werden wir ihnen Rechte geben. … In weiter Zukunft wird es nötig sein, in Richtung Staatsbürgerschaft für jeden zu gehen." Reuben Rivlin, Vorsitzender der Knesset: "Das Land kann nicht geteilt werden. … Ich bin gegen einen Staat für all seine Bürger oder einen bi-nationalen Staat. Ich denke über Vereinbarungen einer gemeinsamen Souveränität in Judäa und Samaria nach, sogar über ein Regime mit zwei Parlamenten, ein jüdisches und ein arabisches … Judäa und Samaria wird ein Kondominium (ein Kondominium ist ein Gebiet, das von zwei Staaten beherrscht wird) aber diese Dinge brauchen viel Zeit. … Hört mir auf, mit Demographie zu kommen." DAS HIER beschriebene Regime ist kein Apartheidstaat, sondern etwas viel Schlimmeres: ein jüdischer Staat, in dem die jüdische Mehrheit alles entscheiden wird, wann (falls überhaupt) einigen Arabern die Staatsbürgerschaft verliehen wird. Die Worte, die immer wieder auftauchen: "vielleicht innerhalb einer Generation" sind natürlich sehr ungenau - und dies ist nicht zufällig. Was aber am Wichtigsten ist: es besteht ein donnerndes Schweigen über der Mutter aller Fragen: was geschieht, wenn die Palästinenser zur Mehrheit in dem Einen Staat werden? Das ist keine Frage des "falls", sondern des "wann": es gibt nicht den geringsten Zweifel darüber, dass dies nicht erst "in einer Generation", sondern lange vorher geschehen wird. Dieses donnernde Schweigen spricht für sich selbst. Leute, die Israel nicht kennen, mögen glauben, die Rechten werden bereit sein, solch eine Situation zu akzeptieren. Nur eine naive Person kann erwarten, dass sich dies wiederholt, was in Südafrika geschah, als die Weißen (eine kleine Minderheit) den Schwarzen (die große Mehrheit) die Macht ohne Blutvergießen übergaben. Wir sagten oben, dass es unmöglich sei, "ein Dreieck in einen Kreis zu verwandeln". Aber die Wahrheit ist, dass es doch einen Weg gibt, die ethnische Säuberung. Der jüdische Staat kann den ganzen Raum zwischen dem Meer und dem Jordan ausfüllen und dann noch demokratisch sein - falls es dort keine Palästinenser mehr gibt. Ethnische Säuberung kann dramatisch ausgeführt werden (wie in diesem Land 1948 und im Kosovo 1998) oder in einer ruhigen und systematischen Weise durch Dutzende raffinierter Methoden, wie sie jetzt in Ost-Jerusalem (im Jordantal und südlich Hebron) stattfinden. Aber es kann nicht den geringsten Zweifel geben, dass dies das Endstadium der "Ein-Staat-Vision" der Rechten ist. Das erste Stadium wird die Bemühung sein, das ganze Land mit Siedlungen zu füllen und jede Chance einer Zwei-Staaten-Lösung zu demolieren, die die einzige realistische Basis für einen Frieden wäre. In Roman Polanskis Film "Rosemaries Baby" bekam eine hübsche junge Frau ein reizendes Baby, bei dem es sich bald herausstellte, dass es der Sohn des Satans ist. Die ideale linke Vision einer "Ein-Staaten-Lösung" mag einem rechten Monster zum Leben verhelfen. Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert
Inserat von Gush Shalom in Haaretz, 23.Juli 2010 Mitglieder der Knesset Das Gesetz besagt:
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