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Was haben wir DEN ANDERN angetan?

Über Amerikas nukleare Verantwortung in der Welt

Von Saul Landau, 04.10.2010 - ZNet

Wir Amerikaner sind wie die meisten: Wir erinnern uns gern an Daten aus unserer Geschichte. So feiern wir beispielsweise den 4. Juli 1776 als Feiertag - mit Picknick, Bier und Feuerwerk. Ich habe früher an der Uni gelehrt. Nach dem zu schließen, was meine Geschichtsstudenten (Proseminar oder Hauptstudium) noch gewusst haben, sind wohl bei den meisten Amerikanern ein paar Sätze über jenen wundervollen Tag hängengeblieben. Nach dem Motto: "Es ging doch um unsere Unabhängigkeit von England, nicht?" "Hatte nicht George Washington etwas damit zu tun?"

Der 11. September 2001 ist ein Tag der Trauer. Schuld an der Tragödie sind 19 Selbstmordattentäter - das meiste saudische Studenten. Sie waren technisch versierte Teufel, mit einem bärtigen Strippenzieher im Hintergrund, der sich irgendwo in Pakistan versteckt hielt. Drahtzieher wie er waren unsere Verbündete gegen den Terrorismus.

Ein neues Zeitalter der Angst nahm seinen Anfang, und wir waren die Opfer. "Was haben diese Dschihadisten uns da angetan!" hieß es. Doch diese Frage führte bei den meisten nicht zur Gegenfrage: Was hat unser Land den anderen angetan?

Von der Grundschule an wird im US-Geschichtsunterricht oft nicht sehr viel Wert auf die Tatsache gelegt, dass die USA den Krieg im Pazifik mit zwei Atombomben beendeten. Sie warfen sie auf (zwei) japanische Großstädte, wobei mehrere hunderttausend Zivilisten starben. Die Bomben hinterließen Zerstörung und Krankheit. Als der Oberkommandierende der Alliierten, General Dwight Eisenhower, vom Kriegsministerium informiert wurde, man plane, Atombomben einzusetzen, sagte er, dass der Einsatz der Bombe "nicht mehr dringend geboten" sei, "wenn es darum geht, amerikanisches Leben zu retten". Nach dem Krieg sagte Eisenhower: "Es wäre nicht nötig gewesen, mit diesen schrecklichen Dingern auf sie einzuschlagen!"

Wir feiern. Wir haben gelernt, dass unser guter Präsident Truman vielen, vielen Amerikanern das Leben gerettet hat - weil eine angebliche Invasion Japans amerikanischen Soldaten das Leben gekostet hätte. In den meisten Geschichtsklassen wird nicht gelehrt, dass Admiral William Leahy, der damalige Generalstabschef Präsident Trumans, ‘die Bombe’ später als "barbarische Waffe" bezeichnet hat. Er sagte, sie sei nicht nötig gewesen. "Die Japaner waren schon besiegt und bereit aufzugeben…", so erklärte er. "Indem wir die Ersten waren, die sie einsetzten, akzeptierten wir (…) einen ethischen Standard, der sich mit dem von Barbaren in finsterer Zeit gleichsetzen lässt" (‘The Decision to Use the Atomic Bomb’, William Leahy (Vintage 1996)).

Nicht viele Amerikaner/innen sind sich im Klaren über unsere nukleare Vergangenheit. Ihnen ist nicht klar, dass diese Vergangenheit Teil unseres Erbes ist - so, wie der 11. September 2001.

Im Dezember 1945 litten Zehntausende in Hiroshima und Nagasaki an der Strahlenkrankheit. Doch Amerikas Top-Politiker beschlossen weitere Atom-"Tests" - in Nevada, auf dem Bikini-Atoll (genau, der zweiteilige Badeanzug wurde danach benannt).

Zu Beginn des Jahres 1946 informierte der amerikanische Militärgouverneur des Südseeatolls die indigene Bevölkerung, man habe ihre Heimat als atomares Testgelände auserkoren, um Atombomben zu testen. Dies sei ein Beitrag zum Weltfrieden.

Die Bewohner/innen Bikinis setzten Segel und zogen auf eine andere Insel um. Macht euch keine Sorgen, sagte ein US-Sprecher, in ein paar Monaten könnt ihr zurückkommen, und alles wird wieder sein wie früher.

In den folgenden 12 Jahren "testeten" die USA auch in der Zone um die Marshall-Inseln 67 Atomwaffen. 1954 zündeten sie eine Wasserstoffbombe, "die so gewaltig war, dass sie mit 1.000 Hiroshoma-Bomben zu vergleichen ist", schrieb Peter Cohen in ‘In These Times’ (Ausgabe vom Oktober 2010).

Der Fallout der Tests regnete auf die Marschall-Inseln herab - auf knapp 18.000 Quadratkilometer Fläche. Die Inseln Rongelap und Rongerik sind seither aus den Touristenführern verschwunden. Die Palmen, die Strände, die reiche Vegetation, alles war verseucht - auch die Menschen. Ein Teil des radioaktiven "Giftes" erreichte selbst "Australien, Indien und Japan", so Cohen.

Jahrzehnte später sagten einige der Inselbewohner/innen vor dem Internationalen Gerichtshof (in Den Haag) aus. Sie enthüllten Details über unser kollektives Erbe. Sie beschrieben, wie die amerikanischen "Tests" die Menschen töteten und krank machten - in einem Territorium, das sich ‘US Trust Territory’ nannte und unter der Verwaltung Washingtons stand: "zur Förderung des Wohles der Bevölkerung" (Cohen).

In ihren Aussagen war von "Quallen-Babys’" die Rede (Kinder, die ohne Knochen geboren wurden). Es war von "Kindern wie dunkle Weintrauben" die Rede. Mein Freund Paul Jacobs berichtete in den 70er Jahren über ganz ähnliche Schrecken. Er hatte sich zum Atomtestgelände in Nevada aufgemacht und berichtete von den Umweltschäden durch radioaktiven Fallout, die immer dann entstanden, wenn der Wind die radioaktiven Partikel über Süd-Utah und Nord-Arizona wehte (‘Clouds Over Nevada’, erschienen in ‘The Reporter’ vom 16. Mai 1957).

Mein Freund bekam Lungenkrebs. Seine Ärzte vermuten, dass er, während seiner Recherchen in den "heißen" Zonen ein Plutonium-Partikelchen eingeatmet hat, das sich in seiner Lunge festhakte. Er war Nichtraucher. Bevor er an Krebs starb, filmten Jack Willis und ich Paul noch einmal - in St. George, in Utah, während er Krebspatienten, die dem toxischen Zeug ausgesetzt gewesen waren, erneut interviewte.

Paul fand auch zu den Tests auf Bikini einige Details heraus. 1972 versicherten die US-Behörden (den ehemaligen Bewohnern und Bewohnerinnen) noch, die Inseln seien nun wieder sicher. Doch 1975 stellten Wissenschaftler gefährlich hohe Strahlendosen in Palmen, Stränden und Korallenriffen fest (siehe ‘A Short History of the People of Bikini Atoll’ von Jack Niedenthal).

Aufgrund dieser Ergebnisse musste die indigene Bevölkerung Bikini erneut verlassen. Heute ist das Atoll ein Teil des UN-Kulturerbes, "aufgrund seines kulturellen, historischen und umweltbedingten Wertes", so Dr. Visesio Pongi von der UNESCO. "Es bestehen starke kulturelle und historische Bezüge - vor allem, zu den (Atom-)Teststätten in den USA" (http://australianworkersnews.com).

Die "Tests" sind Teil des nationalen Erbes der USA - ebenso wie die Tatsache, dass wir die einzige Nation sind, die Atomwaffen je zum Einsatz brachte. In den vergangenen Jahrzehnten mussten Hunderttausende für diese ‘Krieg-und-Frieden-Tests’ sterben. Dennoch verlangen so genannte "Sicherheitsexperten" bis heute, dass weiter getestet wird. Selbst manche Umweltschützer bezeichnen die Kernenergie als "sauber". Haben sie die Vergangenheit komplett vergessen oder sind sie nur neugierig? Jedenfalls - die Atommafia hat mehr Leben als die sprichwörtliche Katze.

‘Paul Jacobs and the Nuclear Gang’, der oben erwähnte Film von Jack Willis und Saul Landau, wurde 1980 mit einem ‘Emmy’ ausgezeichnet. Derzeit schließen Willis und Landau ein weiteres Projekt ab: ‘Will The Real Terrorist Please Stand Up’ (über die amerikanisch-kubanischen Beziehungen und die ‘Cuba 5’). Auf ‘Counterpunch’ von Saul Landau erschienen: ‘BUSH AND BOTOX WORLD’.

Quelle: ZNet Deutschland vom 06.10.2010. Originalartikel: What We’ve Done to Others . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

07. Oktober 2010

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