“Das Vermächtnis von Hiroshima - Eine Welt ohne Atomwaffen”Friedensnobelpreisträger fordern atomare AbrüstungVon Wolfgang Kötter Friedensnobelpreisträger aus aller Welt treffen sich vom 12.-14. November - 65 Jahre nach dem verheerenden US-amerikanischen Atombombenangriff - in der leidgeprüften Stadt Hiroshima zu ihrem Jahreskongress. Unter der Losung "Das Vermächtnis von Hiroshima - Eine Welt ohne Atomwaffen" fordern sie energische Schritte zur nuklearen Abrüstung und zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt. Das jährliche Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki im August 1945 ist inzwischen zu einer weltweiten Tradition geworden. In diesem Jahr aber ist die Aufmerksamkeit besonders groß und nachdrücklich wird gefragt, welche Lehren aus dieser Tragödie für heute und die Zukunft gezogen werden müssen. Das hat mehrere Gründe. Weit mehr Opfer als offiziell zugegebenZum einen offenbaren neuere Forschungen, dass die tatsächlichen Opferzahlen weitaus höher liegen als bisher angenommen. Dabei geht es nicht nur um die über 200.000 unmittelbar durch die Atomexplosionen Getöteten. Bisher starben durch die Langzeitwirkungen der radioaktiven Strahlungen schätzungsweise noch einmal doppelt soviele Menschen an Krebs, Leukämie sowie genetischen Schäden und erleiden Fehl- oder Todgeburten. Und das Sterben geht weiter - jedes Jahr verlieren in Japan mehr als 3.000 Menschen ihr Leben durch die Folgen der atomaren Verstrahlung. Nach Angaben der Organisation Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW wurde die Gefahr radioaktiver Strahlung durch Fehler in der statistischen Auswertung der Daten über viele Jahre drastisch unterschätzt. Die Verlässlichkeit der Aussagen des japanischen Zentrums zur Erforschung der Strahlenfolgen (Radiation Effects Research Foundation - RERF) über die Zahl der Krebserkrankungen infolge der Atombombenabwürfe sei in Frage zu stellen, so die Ärzte- und Friedensorganisation. Die Zahl müsse weit höher liegen, weil die so genannte Kontrollgruppe, die als "gesunder" Vergleich gelte, ebenfalls der Strahlung ausgesetzt gewesen war. Darüber hinaus war die Gruppe der Menschen, die untersucht wurde, sehr robust - denn schwächere Menschen wie Kinder und alte Menschen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits gestorben. Diese Überlebenden als Referenzgruppe zu nehmen, verfälsche daher das Ergebnis. Weil kein Zusammenhang zu den Atomwaffeneinsätzen gesehen wurde, untersuchte das Zentrum außerdem weder genetische Schäden noch allgemeine Gesundheitsbeschwerden, wie beispielsweise Immunsystemschwäche, Anämie, Blutkrankheiten oder Grauen Star. Heute basieren aber alle internationalen Strahlenschutzregelungen auf diesen falschen Daten der RERF. Die neueren Forschungsergebnisse bestätigen die Untersuchungen der britischen Epidemiologin Alice Stewart von der Oxford University Medical School, die bereits vor Jahren herausfand, dass die kanzerogene Wirkung der radioaktiven Strahlung erheblich höher ist als es die bisherigen Hiroshimastudien aussagten. Verheerende globale Folgen selbst regionaler AtomwaffenschlägeBesorgnis erregen ebenfalls Fallstudien, in denen Wissenschaftler nachweisen, dass bereits ein begrenzter regionaler Atomwaffeneinsatz neben den unmittelbaren Opfern auch weltweit verheerende Umweltkonsequenzen haben würde. Wenn etwa zwischen Indien und Pakistan oder im Nahen Osten Atomwaffenschläge erfolgten, entständen ein riesiges Ozonloch und weltweite Verwüstungen für mindestens ein Jahrzehnt. Außer den sofortigen Toten wären weitere Millionen Menschen unter anderem von Hautkrebs und Augenkrankheiten betroffen. Beim Einsatz von 100 Nuklearsprengköpfen mit der Zerstörungskraft der Hiroshimabombe würde die mittlere Temperatur auf der Erde um 1,25 ºC sinken. Das hätte globale Ernteverluste und Lebensmittelmangel mit bis zu einer Milliarde Hungeropfern zur Folge. Dr. Ira Helfand, Vizepräsident der Organisation "Physicians for Social Responsibility" in den USA, hat errechnet, dass bei einem Nuklearangriff auf New York mit 20 Megatonnen Sprengkraft etwa 20 Millionen Menschen an einem Tag sterben würden und innerhalb von 30 Tagen ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung. Experten der University of Georgia untersuchten die Auswirkungen von Nuklearschlägen gegen die Städte New York, Chicago, Washington und Atlanta. Im Ergebnis ihrer Simulationsexperimente stellten sie fest, dass das gegenwärtige Gesundheitssystem der USA völlig überfordert wäre, die Opfer eines Kernwaffenangriffs zu versorgen. Selbst einem terroristischen Anschlag mit einzelnen primitiven Atomsprengsätzen wäre die US-Regierung nicht gewachsen. Das offenbarte laut der Zeitung Washington Post eine geheime Übung im vergangenen Mai, bei der gleichzeitige Nuklearexplosionen in Indianapolis und Los Angeles simuliert wurden. Die tödliche Epidemie heilen"Wir denken schnell, es kann nicht passieren, weil wir es uns nicht vorstellen können", warnt IPPNW-Abrüstungsreferentin Xanthe Hall. "Das nennt man das nukleare Tabu. Aber dieses Tabu ist gleichzeitig das Damoklesschwert, das seit 65 Jahren über unseren Köpfen hängt." Auf dem 19. IPPNW-Weltkongress im vergangenen August in Basel stellten die teilnehmenden Ärzte fest, dass neben der Klimaveränderung von den Atomwaffen die akuteste Gefahr für Gesundheit und Sicherheit der Menschheit ausgeht: "Wären Atomwaffen ein tödlicher Virus, der Hunderte Millionen von Menschen krank macht und tötet, die Welt würde keine Kosten und Mühen scheuen, den Virus einzudämmen und ihn auszumerzen", heißt es in der IPPNW-Erklärung. Die Folgen eines Atomkrieges seien ungleich folgenschwerer als die einer Pandemie. Um sie zu beseitigen, braucht es aber den politischen Willen zur Abrüstung aller Atomwaffen. Die Idee einer atomwaffenfreien Welt, die lange Zeit lediglich von wenigen Abrüstungsaktivisten propagiert wurde, hat inzwischen auch die Regierungen erreicht. Spätestens nachdem US-Präsident Barack Obama diese Vision in seiner Prager Rede im April 2009 öffentlich verkündet und der UNO-Sicherheitsrat sich ihr einmütig angeschlossen hat, ist die nukleare Abrüstung zur aktuellen politischen Aufgabe geworden. Auf der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai dieses Jahres bekannten sich alle Teilnehmerstaaten grundsätzlich zur Abschaffung der Atomwaffen. Auch die NATO wird auf ihrem bevorstehenden Gipfeltreffen in Lissabon den Platz der nuklearen Abrüstung in ihrem neuen Sicherheitskonzept bestimmen. Allerdings ließ sie schon mal verlauten, atomare Abschreckung sei auf absehbare Zeit hin unverzichtbar. Das Projekt trifft also auf starken Widerstand und daher ist politischer Druck unverzichtbar. Um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erneut auf die nukleare Abrüstung zu lenken, war ursprünglich Friedensnobelpreisträger Obama gebeten worden, auf dem diesjährigen Kongress die Grundsatzrede zu halten: "Es könnte keinen besseren Ort für so eine Rede geben, als Hiroshima - noch dazu kein passenderes Forum als eines, das von Friedensnobelpreisträgern veranstaltet wird", schreiben der frühere sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow, Frederik de Klerk, der ehemalige Präsident Südafrikas, Lech Walesa aus Polen, der Präsident von Ost-Timor, José Ramos-Horta, und Oscar Arias Sánchez, der frühere Präsident Costa Ricas. Aber angesichts des starken innenpolitischen Drucks der teilweise erzreaktionären Opposition insbesondere vor den US-Kongresswahlen Anfang des Monats und der ungewissen Senatsabstimmung zum Neu-START-Vertrag über die Reduzierung der strategischen Offensivwaffen der USA und Russlands hat es Obama anscheinend nicht gewagt, die Einladung anzunehmen. Aber weltweit bereitet sich die Zivilgesellschaft engagiert auf die Auseinandersetzung vor. Sie hat sich in einem globalen Netzwerk von Organisationen wie den Bürgermeistern für den Frieden, der Middle Powers Initiative, dem Parlamentarischen Netzwerk für Abrüstung und Nichtverbreitung und Abolition 2.000 zusammengeschlossen. Dieses Bündnis nennt sich "I CAN" - International Campaign to Abolish Nuclear Weapons ("Ich schaffe das" - Internationale Kampagne zur Beseitigung der Atomwaffen). Die Abrüstungsaktivisten halten den Abschluss einer Nuklearwaffenkonvention, die die Atomwaffenstaaten verpflichtet, ihre Arsenale abzurüsten, und den Erwerb von Kernwaffen für alle Staaten verbietet, für den effektivsten und praktikabelsten Weg, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Sie unterstützen die Umsetzung des Neu-START-Vertrages und fordern, dass der umfassende Atomwaffenteststoppvertrag als längst überfälliger Schritt in Kraft tritt. Andere dringende Aufgaben wären der Abzug der taktischen US-Atomwaffen aus Europa, ein Verbot der Produktion von spaltbarem Material, die Senkung der Alarmbereitschaft für Atomwaffen, ein Stopp der Modernisierung von Atomwaffen sowie die Auflösung der Infrastruktur für ihre Produktion und Erprobung. Auch die Errichtung atomwaffenfreier Zonen im Nahen Osten und in Europa wären wichtige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt. Die Nuklearwaffenkonvention - ein ModellentwurfRechtsexperten der "Internationalen Vereinigung Rechtsanwälte gegen Atomwaffen" (IALANA) erarbeiteten einen Modellentwurf für eine Nuklearwaffenkonvention. Er sieht einen zeitlich befristeten Stufenplan zur Beseitigung aller Atomwaffen vor. Die Konvention verbietet die Entwicklung, das Testen, die Produktion, die Lagerung und den Transfer von Atomwaffen sowie deren Einsatz oder dessen Androhung.
Friedensnobelpreisträger 2001 - 2010
Atomwaffenunfälle und Beinahe-Katastrophen der vergangenen drei Jahrzehnte
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