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Raketenabwehrschirm gegen Terror

Das neue Programm der Nato

Ein umfassender Raketenabwehrschirm, Cyberwar und weiter Drohungen mit Atomwaffen: Das ist das neue Programm der Nato. Die Vision einer "atomwaffenfreien Welt" bleibt vage.

Von Andreas Zumach

Das Militärbündnis Nato will über fast sein gesamtes Vertragsgebiet diesseits und jenseits des Atlantik einen Raketenabwehrschirm gegen Bedrohungen aus Iran und anderen Staaten aufbauen. Zudem beabsichtigt die Allianz eine verstärkte Kooperation gegen Cyber-Attacken auf Computernetzwerke.

Das sind die wichtigsten Neuerungen im "Strategiekonzept 2010", das die Staats-und Regierungschefs der 28 Mitgliedstaaten heute auf einem Gipfeltreffen in Lissabon verabschieden wollen. Stärker als in ihrem letzten, über zwei Jahre vor den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedeten Strategiekonzept vom April 1999 betont die Allianz die "globale terroristische Bedrohung" und ihre "Entschlossenheit", diese Bedrohung mit allen erforderlichen Mitteln zu bekämpfen.

Die Rolle und Funktionsbeschreibung der Atomwaffen bleibt in dem neuen Konzept fast unverändert. Zum wiederholten Mal seit Ende des Kalten Krieges bekräftigt die Nato ihre Bereitschaft zur Partnerschaft mit Russland, dessen Präsident Dmitri Medwedjew im Rahmen des zweitägigen Gipfeltreffens an einer Sitzung des Nato-Russland-Rates teilnehmen wird.

Mit dem neuen Strategiekonzept wird das ursprüngliche unilaterale Projekt der USA für ein in Polen und Tschechien stationiertes Raketenabwehrsystem endgültig zu einem gemeinsamen Vorhaben der Nato. Iran, dessen Mittelstreckenraketen bislang hauptsächlich zur Begründung der Raketenabwehrpläne angeführt wurde, wird in dem Strategiekonzept allerdings entgegen dem letzten Entwurf von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nicht mehr namentlich erwähnt. Dafür sorgte ein Veto der Türkei, die eine Belastung der Beziehungen zu ihrem Nachbarland befürchtete.

Bei dem geplanten Raketenschild geht es nicht um den Aufbau völlig neuer Strukturen, sondern um die Zusammenlegung bisheriger Abwehrfähigkeiten der Nato-Mitgliedstaaten. Dafür soll ein neues Führungs- und Informationssystem für knapp 200 Millionen Euro eingerichtet werden. Dieses Zentrum soll bis spätestens 2020 ein Nato-einheitliches Lagebild erstellen und im Bedrohungsfall auf die Fähigkeiten der einzelnen Ländern zugreifen können. Die USA werden auf dem Gipfel auch einen Dreistufenplan zur Raketenabwehr in Europa vorlegen. Danach wollen die Amerikaner ab 2011 auf Schiffen mobile Raketenabwehrsysteme im östlichen Mittelmeer einsetzen. 2015 soll ein fest installiertes Raketenabwehrsystem in Rumänien folgen, 2018 ein weiteres in Polen.

Russland wird zur "Zusammenarbeit" bei der Raketenabwehr aufgefordert. Zu einem mit Russland betriebenen Projekt, auf das Moskau in den vergangenen Jahren immer wieder gedrungen hatte, ist die Nato aber nicht bereit. Die Aussicht auf verbesserte Beziehungen könnte auch getrübt werden, sollten die Republikaner im US-Senat wie am Dienstag angekündigt die Ratifizierung des Start-Nachfolgevertrages mit Russland bis in das nächste Jahr verzögern oder gar gänzlich verhindern.

Bei der Abwehr groß angelegter elektronischer Angriffe auf ihre Computernetze wollen die 28 Nato-Staaten sich laut Strategiedokument "verstärkt abstimmen und kooperieren", allerdings lediglich auf Basis von Artikel 4 des Nato-Gründungsvertrags. Den weitergehenden Vorschlag von Generalsekretär Rasmussen und der US-Regierung, Cyber-Attacken als "strategische Bedrohung" zu definieren, die eine Ausrufung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des Vertrages nach sich ziehen könne, hatten mehrere europäische Nato-Staaten abgelehnt. Nato-Militärs in der Brüsseler Zentrale der Allianz gehen davon aus, dass der virtuelle Krieg das "Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts" wird.

Mit welchen Mitteln dieser Krieg geführt werden könnte, hat bislang vor allem die Nato-Bündnisvormacht USA demonstriert. Während des Nato-Luftkrieges gegen Serbien 1999 war es der amerikanischen Luftwaffe durch einen elektronischen Trick gelungen, fiktive Flugzeuge in die Zielcomputer der serbischen Flugabwehr zu schleusen. Die serbischen Militärs verschossen ihre Abwehrraketen auf diese Phantomziele. Die Amerikaner schalteten zudem mit ihren Computern teilweise die Stromversorgung und Kommunikationswege sowie andere Infrastruktureinrichtungen in Serbien aus. Im September dieses Jahres legte der US-Militärgeheimdienst mit Hilfe von eingeschleusten Computerviren die Steuerungsanlagen sämtlicher Atomanlagen im Iran lahm.

Die Atomwaffenstrategie der Nato bleibt auch 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall des einstigen Hauptfeindes Sowjetunion unverändert. Das Bündnis droht potenziellen Gegnern weiterhin mit dem Ersteinsatz von atomaren Massenvernichtungsmitteln. Von einem Abzug der amerikanischen Atombomben aus Deutschland und vier weiteren europäischen Staaten ist in dem Konzept keine Rede.

Die Nato werde eine "Nuklearallianz bleiben", solange andere Staaten über Atomwaffen verfügen, heißt es in dem Strategiedokument. Lediglich in vager Form bekennt sich die Nato zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Doch dieses Ziel sei erst "irgendwann, in einem fernen Jahrhundert zu erreichen", hatte US-Außenministerin Hillary Clinton kürzlich bei einem Treffen mit ihren 27 AmtskollegInnen zur Vorbereitung des Lissabonner Gipfels erklärt.

Quelle:  taz - 18.11.2010. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Andreas Zumach.

Veröffentlicht am

19. November 2010

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