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Chalmers Johnson (1931 - 2010)

Zum Tod des Autors

Von Amy Goodman, 22.11.2010 - Democracy Now!

Der distinguierte Gelehrte und Bestseller-Autor Chalmers Johnson ist tot. Er starb am Samstagnachmittag in Kalifornien im Alter von 79 Jahren. Während des Kalten Krieges war Johnson CIA-Berater und unterstützte den Vietnamkrieg. Später entwickelte er sich zu einem der führenden Kritiker des US-Militarismus und -Imperialismus. Im Jahr 2000 veröffentlichte er sein Buch ‘Blowback: The Costs and Consequences of American Empire’, das nach dem 11. September 2001 zum Bestseller wurde. Er wollte eine Trilogie über das ‘amerikanische Imperium’ schreiben. Hier das letzte Interview, das wir mit ihm (2007) geführt haben.

"Imperialismus ist eine Form der Tyrannei. Imperien regieren nie über einen Konsens der Regierten… Wir sprechen davon, die Demokratie zu verbreiten aber wir sprechen von der Verbreitung der Demokratie mit dem Sturmgewehr im Anschlag", so Chalmers Johnson.

Amy Goodman: Der distinuierte, antiimperialistische Gelehrte und Bestseller-Autor Chalmers Johnson ist tot. Er starb am Samstagnachmittag in Kalifornien im Alter von 79 Jahren. Johnson lehrte 30 Jahre lang an der University of California (in Berkeley und San Diego). Er hatte mehrere Lehrstühle für Asienpolitik inne und war Präsident des ‘Japan Policy Research Institute’ sowie Vorsitzender des ‘Center for Chinese studies’ in Berkeley. In seinem Nachruf bezeichnete Steve Klemens, von der ‘New America Foundation’, Chalmers Johnson als "signifikanteste intellektuelle Kraft in der Ära der Moderne, die fundamentale Grenzen und Torpfosten der amerikanischen Außenpolitik formte und definierte".

Chalmers Johnsons war Soldat im Koreakrieg. Zwischen 1967 und 1973 war er Berater von Allen Dulles (CIA). 1953 besuchte er Japan zum ersten Mal - als Offizier der US Navy. Viele Jahre lang war er mit der Anthropologin Sheila Johnson verheiratet. 1994 gründete er das ‘Japan Policy Research Institute’. Er war ein profilierter Autor, der rund 16 Bücher verfasst hat und zahlreiche Artikel für die ‘Los Angeles Times’, ‘The London Review of Books’, ‘Harper’s Magazine’ und ‘The Nation’ schrieb.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich Johnson vom rechtsgerichteten Konservativen zu einer Ikone der Linken und zu einem scharfzüngigen Kritiker des US-Militarismus. Seine letzten vier Bücher befassen sich vor allem mit der Militärhegemonie Amerikas und dem amerikanischen Imperialismus. Er schrieb ‘Blowback: The Costs and Consequences of the American Empire’2007. Das Buch erschien im Jahr 2000 und wurde nach dem 11. September 2001 zum Bestseller. Er wollte eine Trilogie über das Amerikanische Imperium verfassen. Dies sollte der erste Teil sein. Das zweite Buch hieß: ‘Sorrows of Empire: Militarism, Secrecy and the End of the Republic’2007. Das letzte Buch dieser Trilogie hieß: ‘Nemesis: The Last Days of The American Republic’. Sein allerletztes Buch ist im August 2010 erschienen - eine Sammlung seiner Essays aus den letzten drei Jahren. Sie trägt den Titel: ‘Dismantling the Empire: America’s Last Best Hope’. Chalmers Johnson spielte eine zentrale Rolle in dem Dokumentarfilm ‘Why We Fight’, der mit dem ‘Oscar’ ausgezeichnet wurde. Als ich im Februar 2007 mein (letztes) Interview mit Chalmers Johnson vorbereitete, erschien gerade das letzte Buch seiner Trilogie. Ich fragte ihn nach dem Titel. "Nemesis", sagte er.

Chalmers Johnson: Nemesis war bei den alten Griechen die Göttin der Rache. Sie nahm Rache an den Menschen - für ihre Hybris und Arroganz. Sie erinnern sich vielleicht, wie Nemesis Narziss an den Teich führt und ihm sein Spiegelbild zeigt. Daraufhin taucht er ein und ertrinkt. Ich habe diesen Titel gewählt, weil ich die Gegenwart von Nemesis in unserem Land spüre - gerade heute. Sie lauert, uh, um ihre göttliche Mission zu erfüllen.

Was den Untertitel des Buches betrifft, so ist er wirklich ernst gemeint. Es geht mir nicht um Übertreibung, nicht nur darum, möglichst viele Bücher zu verkaufen: ‘The last days of the American Republic’ (die letzten Tage der amerikanischen Republik). Mich beschäftigte ein sehr reales, konkretes Problem der politischen Analyse. Das heutige politische System Amerikas - das lernen wir durch die Geschichte -, ist eine der instabilsten Kombinationen, die überhaupt möglich sind: Demokratie im Innern, Imperium im Ausland. Das ist ein großer Gegensatz. Eine Nation kann entweder das eine oder das andere sein - entweder Demokratie oder imperial. Beides zusammen geht nicht. Falls eine Nation am Imperialismus festhält, wird es ihr ergehen wie der Römischen Republik (die unserem System in vielem ja als Modell hat): Sie wird ihre Demokratie verlieren und diese gegen Diktatur im Innern eintauschen.

Ich habe in meinem Buch ziemlich ausführlich über mögliche Alternativen nachgedacht - vor allem über das Britische Imperium nach dem Zweiten Weltkrieg. Das British Empire hat sich nach dem Krieg entschieden, sein Imperium aufzugeben - zugunsten der Demokratie. Was die Art und Weise und die Mittel angeht, so haben sie es nicht perfekt hingekriegt - aber immerhin. Den Briten wurde - reichlich spät - bewusst, dass sie ihr Kronjuwel Indien nur zum Preis von weiteren administrativen Massakern behalten konnten. Sie hatten in Indien schon etliche Massaker begangen. Doch kurz nach Ende des Krieges gegen den Nationalsozialismus wurde den Briten meiner Ansicht nach bewusst, dass sie zur Tyrannei werden müssten, um ihr Imperium zu behalten. Daher trafen sie die - meiner Ansicht nach richtige und bewundernswerte - Entscheidung, auf das Imperium zu verzichten. Wie gesagt, sie waren nicht perfekt, was die Umsetzung anging. In den 50ger Jahren kam es zu einigen ausgeprägten atavistischen Rückfällen - wie dem anglo-französisch-israelischen Angriff auf Ägypten, oder man denke an die Unterdrückung der indigenen Nakuru in Kenia durch die Briten. Aber der offensichtlichste und verrückteste Atavismus fand unter Premier Tony Blair statt - der im Irak so enthusiastisch für einen neuen britischen Imperialismus eintrat. Nichtsdestotrotz bin ich der Auffassung, dass die britische Geschichte klar dafür spricht, dass Großbritannien sein Imperium aufgegeben hat, um demokratisch bleiben zu können. Ich denke, darüber sollten wir hier, in den USA, intensiv diskutieren.

Amy Goodman: Chalmers Johnson - Sie glauben, es bestünde ein Zusammenhang zwischen dem Zusammenbruch verfassungsmäßiger Regierungen und dem Militarismus.

Chalmers Johnson: Ja.

Amy Goodman: Können Sie uns sagen, woran man erkennt, dass eine verfassungsgemäße Regierung kurz vor dem Kollaps steht und was es mit diesem Zusammenhang (mit dem Militarismus) auf sich hat?

Chalmer Johnson: Ja, nun, Sozialwissenschaftler würden sagen, der Militarismus ist eine Variable, die ins Spiel eingreift (intervening variable). Es besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen dieser und dem, was folgt. Ich meine, um ein Imperium aufrecht zu erhalten, braucht man ein enorm großes stehendes Heer - und hohe Rüstungsausgaben. So entsteht ein militärisch-industrieller Komplex. Allgemeiner gesagt entsteht ein Teufelskreis der Interessen, der zu einer permanenten Serie von Kriegen führt. Das kann, meiner Meinung nach, zurückverfolgt werden bis zu den Warnungen des ersten amerikanischen Präsidenten - George Washington -, bis zu seiner berühmten Abschiedsrede. Sie wird bis heute verlesen, wenn der US-Kongress seine nächste Session eröffnet. In seinen Abschiedsworten sagte George Washington, dass stehende Heere der größte Feind der Republik seien. Insbesondere für die Freiheit der Republik sei ein stehendes Heer eine feindliche Bedrohung. Damit meinte er, dass (durch ein stehendes Heer) die Aufteilung der Macht in eine Exekutive, eine Legislative und eine Judikative zerstört wird. Die drei Sparten der Macht sollen einander ja in Schach halten. Sie sind unser fundamentalstes Bollwerk gegen Diktatur und Tyrannei. Zum Kollaps kommt es, wenn das stehende Heer beziehungsweise der Militarismus beziehungsweise das militärische Establishment beziehungsweise der militärisch-industrielle Komplex dem Staat die Macht entziehen und diese Macht sich in Washington konzentriert. (Das gilt auch für die Steuern.) Innerhalb von Washington kommt es zu einer weiteren Machtkonzentration, nämlich im Amt des Präsidenten. So entsteht mit der Zeit eine Imperialpräsidentschaft. Diese wird dem Wunsch des Militärs nach Geheimhaltung entsprechen. Für ein Mitglied des Kongresses - und erst recht für Normalbürger - wird es dann nahezu unmöglich, den Überblick über die Regierungsgeschäfte zu behalten.

Amy Goodman: Chalmers Johnson, in Ihrem Buch ‘Nemesis’ schreiben Sie: "Es gab einmal eine Zeit, da konnte man an der Zahl der Kolonien ablesen, wie sich der Kolonialismus ausbreitet". Die amerikanische Variante einer Kolonie ist die ‘Militärbasis’". Können Sie uns erläutern, wo es auf der Welt amerikanische Militärbasen gibt? Wie viele gibt es? Wie sieht die Weltkarte aus?

Chalmers Johnson: Die Amerikaner würden es nicht glauben, selbst wenn sie es sähen, aber gemäß der offiziellen Zahlen des so genannten ‘Base Structure Report’ (eine Art geheimes Katasterverzeichnis des Pentagon, das auflistet, welche Grundstücke sie überall auf der Welt besitzen und was es kosten würde, sie zu ersetzen) gibt es derzeit, unter Einbeziehung aller Kontinente, 737 US-Militärbasen, in mehr als 130 Ländern. Einige Apologeten des Pentagon behaupten: "Nein, das ist falsch, wir können doch nicht jeden Wachposten der Marines vor einer US-Botschaft mitzählen". Ich garantiere Ihnen, das ist schlicht ein dummes Argument. Es gibt bei weitem keine 737 US-Botschaften auf der Welt. Nein, hier geht es um echte Militärstützpunkte - mit allen Problemen, die sich daraus ergeben.

Im südlichsten Verwaltungsdistrikt Japans liegt die Insel Okinawa. Dort fand im Zweiten Weltkrieg die ‘Schlacht von Okinawa’ statt. Es ist eine kleine Insel - kleiner als die hawaianische Insel Kauai. Okinawa hat 1 300 000 Einwohner/innen. Auf Okinawa gibt es 37 US-Militärstützpunkte. Seit 50 Jahren lehnen sich die Einheimischen gegen diese Stützpunkte auf. Die Revolte auf Okinawa ist - seit 50 Jahren - endemisch. Immer wieder sagt der Gouverneur von Okinawa zum (amerikanischen) Militärkommandanten vor Ort: "Ihr befindet euch am Hang eines Vulkans, der jederzeit explodieren kann. Er ist ja schon früher ausgebrochen." Damit will er sagen, dass es auf Okinawa immer wieder zu sexuellen Gewaltverbrechen kommt, zu betrunkenen Schlägereien und Unfällen mit Fahrerflucht. Die Serie reißt nicht ab. Es gibt Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung, und ab und zu fällt ein Helikopter des USMC-Luftwaffenstützpunkts Futenma vom Himmel und auf den Campus der nahegelegenen Okinawa International University. Eins kommt zum andern. 1995 ereignete sich einer der schwersten Zwischenfälle: Zwei Marines und ein Seemann entführten, verprügelten und vergewaltigten ein 12-jähriges Mädchen. Dieser Vorfall führte zu den größten Demonstrationen gegen die USA seit Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens zwischen Japan und Amerika vor mehreren Jahrzehnten. Um solche Vorfälle geht es. 1996 kam ich zum ersten Mal nach Okinawa. Es war während des Nachbebens - nach jener Vergewaltigung. Gouverneur Ota hatte mich eingeladen. Ein Leben lang habe ich mich in meinen Studien mit Japan beschäftigt. Allerdings ging es mir bis dahin wie vielen, wie vielen Japan-Spezialisten: Ich war noch nie auf Okinawa gewesen. (Als ich dort ankam,) war ich schockiert über das, was ich sah. Ich dachte an den britischen Raj. Ich dachte daran, wie die sowjetischen Truppen in Ost-Deutschland gelebt hatten. Sie hatten komfortabler gelebt als die Soldaten im kalifornischen Oceanside, beim Stützpunkt Camp Pendleton. Es war in jeder Hinsicht skandalös. Meine erste Reaktion… ich habe übrigens nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion ganz gewiss ein Kalter Krieger war… Meine Reaktion war: Der Ort hier ist so abgelegen, dass niemand herkommt, um darüber zu berichten. Ich begann, mich eingehender mit dem globalen Netzwerk der US-Stützpunkte und den Vorfällen, die sich dort ereigneten zu beschäftigen und mit jenen Militärstreichs, mit denen wir Regierungen, die uns nicht passten durch solche ersetzen, die uns passen. Ich begann zu begreifen, dass Okinawa keineswegs die Ausnahme war - sondern leider typisch.

Wie gesagt, es gibt überall US-Stützpunkte. Die jüngste Manifestation des Amerikanischen Militärimperiums‘Ein Imperium Verfällt’, ‘Der Selbstmord der Amerikanischen Demokratie’. war die Entscheidung des Pentagon - mit Zustimmung des Präsidenten (Bush) natürlich - ein neues reguläres Command in Afrika einzurichten, vielleicht am US-Stützpunkt in Dschibuti oder am Horn von Afrika oder am Golf von Guinea, wo wir Öl vermuten? Unsere Navy würde sich dort sehr gerne festsetzen. Dass die USA eine Militärpräsenz in Afrika haben, ist alles andere als selbstverständlich - und wir werden dort eine sehr umfangreiche Militärpräsenz bekommen. Denken Sie einmal darüber nach, was das unweigerlich bedeutet: Imperialismus ist eine Form der Tyrannei. Imperien regieren nie über einen Konsens der Regierten… Wir sprechen davon, die Demokratie zu verbreiten aber wir sprechen von der Verbreitung der Demokratie mit dem Sturmgewehr im Anschlag. Das ist ein Widerspruch in sich und funktioniert nicht. Wer auf diese Weise "demokratisiert" wird und auch nur ein Fünkchen Respekt vor sich selbst hat, wird über Rache nachsinnen. Auftritt: Nemesis.

Amy Goodman: Das war Chalmers Johnson - Autor und Gelehrter. Ich habe dieses Interview im 2007 geführt. Das ausführliche Interview finden Sie auf unserer Webseite (democracynow.org). Chalmers Johnson starb im Alter von 79 Jahren.

Amy Goodman ist Moderatorin des TV- und Radioprogramms ‘Democracy Now!’ , das aus rund 500 Stationen in Nordamerika täglich/stündlich internationale Nachrichten sendet.

Quelle: ZNet Deutschland vom 27.11.2010. Originalartikel: Chalmers Johnson, 1931 - 2010, on the Last Days of the American Republic . Übersetzt von: Andrea Noll.

Fußnoten

Veröffentlicht am

28. November 2010

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