Zur Verhaftung von Julian Assange und Amerikas “Krieg gegen WikiLeaks”Interview mit Glenn GreenwaldVon Amy Goodman, 07.12.2010 - Democracy Now! Wir senden live aus Cancún (Mexiko), wo derzeit die UNO-Konferenz zum Klimawandel stattfindet (…) Aber zunächst zu unserer Top-Story - der heutigen Verhaftung von Julian Assange in London. Assange ist einer der Gründer der Webseite WikiLeaks. Er wurde verhaftet, weil gegen ihn seit geraumer Zeit ein internationaler Haftbefehl läuft: In Schweden werden ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Assange hat sich der britischen Polizei gestellt und wird heute (Kautionsfrage) vor Gericht erscheinen.Anmerkung d. Übersetzerin: Der Antrag auf Freilassung auf Kaution wurde am 7. Dezember von einem Londoner Gericht abgelehnt - obgleich zahlreiche Prominente sich als Bürgen zur Verfügung gestellt hatten. Siehe hierzu den ZNet-Artikel vom 8. Dezember: ‘Assange Could Face Espionage Trial in US’ von Kim Sengupta. Im Kern geht es - so heißt es in den Berichten - um die Anschuldigung zweier Frauen, Assange habe sich, im Verlauf einvernehmlicher sexueller Handlungen, geweigert, ein Kondom zu benutzen. Assange und WikiLeaks weisen die Beschuldigungen zurück und sprechen von einer politisch motivierten Hexenjagd. Diese habe sich durch die Veröffentlichung der geheimen amerikanischen Diplomaten-Telegramme durch WikiLeaks weiter intensiviert. Unabhängig davon prüft die Obama-Administration die Einleitung eigener strafrechtlicher Ermittlungen, bei denen es sich hauptsächlich darum dreht, dass WikiLeaks geheime US-Dokumente über die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie geheime Diplomaten-Telegramme veröffentlicht (hat). US-Verteidigungsminister Robert Gates kommentierte Assanges Verhaftung heute mit den Worten: "Klingt für mich wie eine gute Nachricht!" Die Whistleblower-Webseite WikiLeaks gibt bekannt, dass ihr Normalbetrieb weitergehen werde - ungeachtet der Verhaftung ihres Gründers, Julian Assange, in Großbritannien. Eine Sprecherin von WikiLeaks sagte: "WikiLeaks funktioniert. Wir werden weitermachen, wie wir es angekündigt haben. Keine (neue) Entwicklung, die Julian Assange betrifft, wird etwas an unseren Veröffentlichungs-Plänen für heute und die kommenden Tage ändern." WikiLeaks hat bislang weniger als 1 Prozent der angekündigten mehr als 250 000 Diplomaten-Telegramme, die sie haben, veröffentlicht. Um mehr über die Verhaftung von Julian Assange zu erfahren, bin ich jetzt (über unseren Video-Stream) mit Glenn Greenwald verbunden. Er ist Verfassungsrechtler und Blogger auf Salon.com Amy Goodman: Glenn, können Sie uns kurz etwas zu den aktuellen Nachrichten über die Verhaftung von Julian Assange in Großbritannien sagen? Glenn Greenwald: Nun, das Interessante daran ist, dass es in den Medien gewissermaßen wie eine internationale Menschenjagd dargestellt wird, die nun (erfolgreich) beendet sei. So hat es heute Morgen auch Matt Lauer, von NBC News, ausgedrückt: Die internationale Menschenjagd sei vorbei. In Wirklichkeit ist es so, dass in England erst seit kurzem ein gültiger Haftbefehl gegen Assange vorliegt, obwohl es um eine relativ alte Sache geht. Der englische Haftbefehl ist wirklich taufrisch. England ist das Land, in dem man Assange - gestern - auf die Spur kam. In der vergangenen Nacht haben Assanges Anwälte mit dem Londoner Polizeidepartment verhandelt, da er sich stellen wollte. Er hat sich also ganz freiwillig gestellt. Eine Menschenjagd - oder etwas Derartiges - hat zu keiner Zeit stattgefunden. Im Grunde wird er bis jetzt auch keines Verbrechens beschuldigt. Der Haftbefehl wurde von den schwedischen Behörden ausgestellt. Darin ist lediglich von einer Befragung bezüglich der Anschuldigungen gegen ihn die Rede. Es gibt keinen Schuldspruch - ja, es wurde noch nicht einmal darüber entschieden, ob ein Ermittlungsverfahrensverfahren gegen ihn eingeleitet wird. Sie (die schwedischen Behörden) wollen ihn lediglich einvernehmen. Eine der… merkwürdigsten und interessantesten Aspekte dieser Sache ist die Rolle von Interpol. Interpol ist eine internationale Polizeiagentur, die in Europa und andernorts zum Einsatz kommt. Allerdings ist es sehr ungewöhnlich, dass man Interpol in so einem Fall einschaltet. Ich meine, sie haben ihn auf ihre Liste der, ich zitiere, "Meistgesuchtesten" gesetzt, obwohl ihm, wie schon gesagt, überhaupt kein Verbrechen zur Last gelegt wird. Er soll lediglich zu einer Befragung erscheinen. Doch seine Anwälte hatten der schwedischen Polizei und den schwedischen Ermittlern seit Monaten genau das angeboten - ihn per Telefon, per Skype oder mit Hilfe eines anderen technisch angemessenen Mittels zu befragen. Doch sie sind stur geblieben - und das macht einen mehr als stutzig. Sie sagten, das reicht uns nicht. Er (Assange) müsse sich physisch zur Verfügung halten, das heißt, er müsse sich innerhalb der Grenzen der schwedischen Jurisdiktion aufhalten, um festgenommen und befragt werden zu können. Die eigentliche Befürchtung - die auch von Assange und seinen Anwälten geteilt wird -, ist natürlich, dass es sich in Wirklichkeit nur um einen Trick der Schweden handelt, um seiner habhaft zu werden. Schweden gilt, in Bezug auf die USA, als sehr dienstbeflissenes Land. Schweden würde ihn an die USA ausliefern oder ihn - schon auf die kleinste Anfrage hin - überstellen. Alle, die das Wirken des (in Anführungsstrichen) "Justizsystems" der USA über die letzten zehn Jahre verfolgt haben, wissen, es gibt gute Gründe, sich um jemanden (irgendjemanden) Sorgen zu machen, der in den USA wegen eines angeblichen Verbrechens gegen die nationale Sicherheit angeklagt wird, vor allem, wenn es sich bei dieser Person um keinen amerikanischen Staatsbürger handelt, denn mit ihnen (solchen Personen) wird in einer Art und Weise umgesprungen, die praktisch gegen sämtliche westliche Rechtsnormen verstößt. Die Verfahrensweise ist fast durchgängig unangemessen. Ich denke, alle verantwortungsbewussten Menschen sollten erst einmal abwarten, was an den Beschuldigungen dieser Frauen dran ist - ob es Beweise gibt, die ihre Behauptungen stützen. Wir sollten abwarten und sehen, was bei der Sache herauskommt - so oder so. Ich hoffe jedenfalls, dass sich der Fall von selbst aufklärt. Allerdings gibt es gute Gründe, sich zu fragen, weshalb die schwedischen Behörden so vorgegangen sind. Die Frage ist angebracht, ob das, was hier vor sich geht, nicht eigentlich politisch motiviert ist - weil man ihn (Assange) von WikiLeaks wegkriegen will, weil man verhindern will, dass er so weitermacht, wie bisher, dass er weiter enthüllt und Regierungen auf der ganzen Welt transparenter macht - und weil man ihn schlussendlich an die USA ausliefern will. Amy Goodman: Julian Assange war 2010 mehrfach auf Democracy Now! zu sehen. In unserer Sendung vom 26. Oktober schilderte er in einigen Punkten sehr ausführlich, welchem internationalen Druck WikiLeaks ausgesetzt ist. (Einblendung) Julian Assange: Oh, es gibt gar keinen Zweifel daran, dass diese Organisation (WikiLeaks) unter Belagerung steht. Das Pentagon hat uns ganz direkt aufgefordert, sämtliche unserer früheren und noch geplanten Veröffentlichungen zu vernichten - einer Medienorganisation zu sagen, sie solle sich von vorneherein zurückhalten, ist eine unglaubliche Forderung vonseiten eines Militärs, und (sie forderten zudem), wir sollten uns nicht mehr mit Whistleblowern aus dem US-Militär abgeben. Mein Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung in Schweden wurde abgelehnt - die Gründe werden nach wie vor geheimgehalten. Eine Woche nach Veröffentlichung der ‘Afghanischen Kriegstagebücher’ (Afghan war diaries) sperrte Moneybookers - die Firma, die für unsere Spenden per Kreditkarte zuständig war -, sämtliche unserer Konten. Moneybookers ist das zweitgrößte Unternehmen (dieser Art) im Internet - nach Paypal. Wir erhielten eine E-Mail von deren Sicherheitsabteilung, in der unserem Kontoverwalter die Situation erklärt wurde. Darin hieß es, wir stünden auf einer amerikanischen Suchliste und auf einer ‘schwarzen Liste’ der australischen Regierung; zudem müsse man die aktuelle Kontroverse auf dem Hintergrund von ‘Afghanistan’ sehen. Glücklicherweise ist es uns gerade eben gelungen, in Island eine Möglichkeit zu finden, die es uns wieder erlaubt, Kreditkarten zu akzeptieren. Wer spenden will, kann dies also wieder tun. Der australische Generalbundesanwalt hat erklärt, er werde jedem Land, egal wo auf der Welt, dabei helfen, uns aufgrund unserer Enthüllungen strafrechtlich zu verfolgen, und auf die Frage, ob er geheimdienstliche Unterstützung gewährt habe (uns liegen Beweise vor, dass er es getan hat), antwortete er: "Nun, ja, wir sind Ländern von Zeit zu Zeit behilflich, aber zu dieser Sache möchte ich mich nicht direkt äußern". Und wir wissen auch, dass die isländische Regierung öffentlich unter Druck gesetzt wurde, sich nicht als sicherer Hafen für unsere Veröffentlichungs-Aktivitäten herzugeben - oder (als sicherer Hafen) für mich persönlich. Die schwedische Regierung steht auf geheimdienstlicher Ebene unter Druck - siehe ihre SAPO. Als ich am 27. September Schweden verlassen habe - ich flog mit der SAS nach Berlin -, fehlte mein Gepäck. Dabei ist die SAS eine der Fluggesellschaften mit dem weltweit besten Ruf, um nicht zu sagen, die Fluggesellschaft mit dem weltweit besten Ruf. Es war der… ich war der Einzige im Flugzeug, dem das passiert ist. (Ende) Amy Goodman: Das war Julian Assange (am 26. Oktober) bei Democracy Now! Das liegt erst wenige Wochen zurück (…) Eine (australische) Zeitung - The Australian - bereitet die Veröffentlichung eines Kommentars von Julian Assange vor, den er vor seiner Verhaftung verfasst hat. Ich zitiere die Zeitung: "Mr. Assange beginnt (seinen Artikel mit den Worten): "1958 schrieb der junge Rupert Murdoch, Eigentümer und Redakteur der News in Adelaide: "Im Rennen zwischen Geheimhaltung und Wahrheit, scheint es unausweichlich, dass immer die Wahrheit siegt". Assange fügt noch einige weitere Bemerkungen zum Thema Redefreiheit hinzu (und) schreibt über die "dunklen Tage" des korrupten Regierens in Queensland (wo Assange aufgewachsen ist); er (der Artikel) sagt viel über seine Jugend in einer ländlichen Kleinstadt aus, "wo die Menschen geradeheraus sagten, was sie dachten", so Assange. Er schreibt, australische Politiker sängen, zusammen mit dem US-Außenministerium, den "sprichwörtlich falschen Choral", und der klinge so: ‘Ihr werdet Menschenleben riskieren! Ihr werdet Soldaten in Gefahr bringen!" - nämlich durch die Veröffentlichung von Informationen." "Doch auf der anderen Seite", so Assange, "sagen sie, die Veröffentlichungen von WikiLeaks enthielten nichts Wichtiges. Eines von beidem muss also falsch sein"". Das waren einige wenige Zitate aus Julian Assanges Kommentar. The Australian wird die Ausgabe mit Assanges Kommentar ab Mitternacht australischer Zeit veröffentlichen. http://www.theaustralian.com.au ‘Don’t shoot messenger…’ von Julian Assange. Glenn Greenwald, haben Sie noch etwas anzumerken? Glenn Greenwald: Nun, ich möchte noch einmal unterstreichen, wie alarmierend das alles ist, was Sie gerade geschildert haben - sowohl in diesem Bericht als auch in einem früheren. Das Alarmierende ist - man kann von WikiLeaks halten, was man will, aber es wurde noch nie wegen einer Straftat gegen sie ermittelt - von einer Anklage oder einer Verurteilung ganz zu schweigen. Und nun - sehen Sie sich doch nur an, was ihnen (WikiLeaks) widerfährt! Man hat sie praktisch aus dem Internet verbannt - durch politischen Druck, der auf zahlreiche Länder ausgeübt wurde und nicht etwa nur, indem man ihnen technisch komplizierte Dienstleistungen entzogen hat. Man hat ihre Gelder eingefroren, einschließlich Spenden von Menschen aus der ganzen Welt, die für seinen - für Julian Assanges Verteidigungsfonds bestimmt waren sowie für den WikiLeaks-Verteidigungsfonds. Man hat ihren Zugang zu allen möglichen Konten gekappt. Führende Politiker und bekannte Leute aus den Medien haben zu Attentaten gegen sie aufgerufen, zu ihrer Ermordung. Man solle ihnen das Etikett ‘terroristische Organisation’ aufkleben, hieß es. Was wir hier tatsächlich sehen, ist ein Krieg um die Kontrolle über das Internet. Es geht um die Frage, ob (oder ob nicht) das Internet eine bestimmte unterstützende Funktion erfüllen kann, ob es das erfüllen kann, wovon viele Menschen einst gehofft hatten, dass es zum eigentlichen Sinn und Zweck des Internets werden würde: Das Internet sollte ein Ort sein, wo Bürger/innen sich zusammenschließen können, wo sie die mächtigsten Gruppierungen dieser Welt auf demokratische Weise kontrollieren können. Darum geht es in Wirklichkeit. Deshalb erleben wir heute, dass sich westliche Regierungen völlig ungesetzlich verhalten und einen Krieg gegen WikiLeaks und gegen Julian Assange führen, (einen Krieg), in dem alles erlaubt ist - anders kann man es nicht beschreiben. Darum geht es hier in Wirklichkeit. Wenn sie sie (WikiLeaks u. Assange) rechtlich zur Verantwortung ziehen wollen, dann sollen sie über die Gerichte gehen - mit rechtsstaatlichen Mitteln. Doch diese unrechtmäßige Verfolgung sollte die Bürger/innen in jedem einzelnen der betroffenen Länder mächtig wachrütteln, da es sich im Grunde um ein rein autoritäres Verhalten handelt, mit dem man verhindern will, dass das Internet zu seiner eigentlichen Bestimmung findet: ungezügelte politische Macht zu zügeln. Amy Goodman: Glenn Greenwald, vielen Dank, dass Sie bei uns waren. Greenwald ist Verfassungsrechtler und bloggt auf Salon.com Er war uns aus Brasilien zugeschaltet (…) Amy Goodman ist Moderatorin des TV- und Radioprogramms ’
Democracy Now!’
, das aus rund 500 Stationen in Nordamerika täglich/stündlich internationale Nachrichten sendet.
Quelle: ZNet Deutschland vom 10.12.2010. Originalartikel: The Arrest of Julian Assange and the U.S. "War on WikiLeaks" . Übersetzt von: Andrea Noll. Stoppen Sie die Einschüchterungs-Kampagne gegen Wikileaks!Die massive Einschüchterungs-Kampagne gegen Wikileaks ist falsch, gefährlich und verstösst gegen die Rechtsstaatlichkeit. US-Top-Politiker sind sogar soweit gegangen, WikiLeaks als terroristische Vereinigung zu bezeichnen und fordern die Ermordung ihrer Mitarbeiter. Die Zukunft unserer Freiheit und die Zukunft des Internets steht auf dem Spiel. Die Öffentlichkeit muss dringend dafür sorgen, dass unsere Regierungen die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie die Rechtsstaatlichkeit schützen. Unterzeichnen Sie die Petition von Avaaz, um die Einschücherungs-Kampagne zu stoppen, und und informieren Sie alle, die Sie kennen – lassen Sie uns diese Woche 1 Million Stimmen gegen den Crackdown sammeln. Unterzeichnen Sie die Petition, um das scharfe Vorgehen zu stoppen. Lassen Sie uns in dieser Woche 1 Million Stimmen sammeln und ganzseitige Anzeigen in US-Zeitungen schalten! FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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