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Deutsche Propaganda für den Krieg

Buchempfehlung zum Thema Bundeswehr-PR: "Michael Schulze von Glaßer: An der Heimatfront" (2010)

Von Peter Bürger

Die Kernaussage ist im Bundeswehrweißbuch von 2006 - trotz blumiger Unterfütterung durch die Endredaktion - enthalten. Zuletzt hat auch Militärminister von Guttenberg, der trotz aller Skandale nach wie vor als Kanzlerkandidat in spe gehandelt wird, Klartext gesprochen: Selbstverständlich dienen die militärischen Anstrengungen in unserem Land der Sicherung nationaler Wirtschaftsinteressen. "Humanitär" nannte man die Weltordnungskriege der 90er Jahre, und im letzten Jahrzehnt hieß die militärische Weltbeherrschung "Anti-Terror-Kampf". Heute rechnet man schon damit, dass eine "neoliberal" formatierte Gesellschaft die ungeschminkte Wahrheit über das eigene System ohne Erschütterung hinnimmt. In bürgerlichen Medien ist der offene Angriff auf die Friedensartikel unserer Verfassung kaum mehr eine Tagesmeldung wert. Die BILD-Zeitung betätigt sich ungeniert als PR-Agentur des Kriegsministeriums und steht damit keineswegs einsam da. Jeder, der nicht blind ist, kann sehen, dass wir es sehr bald mit noch ganz anderen Kriegsqualitäten zu tun bekommen werden als in Vietnam-Afghanistan.

Der militärisch-mediale-unterhaltungsindustrielle Komplex agiert derweil an allen Fronten. Das massenkulturelle Öl, das die Kriegsmaschine am Laufen halten soll, ergießt sich in immer neuen Strömen. Schulisch-militärische Kooperationsverträge und kommunalpolitische Partnerschaften werden abgeschlossen. Fernsehmacher gestalten Internetangebote zugunsten der Bundeswehr und produzieren militärische Seifenopern in Serie. Die ganz alltägliche Militarisierung nehmen wir ob ihrer Allgegenwart nicht mehr als etwas Ungewöhnliches wahr.

Von einer systematischen, institutionalisierten Forschung und Aufklärung bezüglich der propagandistischen Kriegssäule sind wir weit entfernt. Man sollte auch nicht naiv erwarten, dass staatlich subventionierte Friedensforschungsinstitute und Kultureinrichtungen diese Aufgaben übernehmen. Dort tummelt man sich auf unverfänglichen historischen und ästhetischen Themenschauplätzen. Man bietet etwa Datenbanken zu Kriegsfilmen an, aber keine kritischen Inhalte dazu. Mit Steuergeldern jedenfalls wird eine ernsthafte, gegenwartbezogene und gesellschaftsrelevante Kritik des propagandistischen Kriegsapparates wohl kaum finanziert werden.

An dieser Stelle gibt es gottlob eine gute Nachricht für Pazifisten und Antimilitaristen zu vermelden. Michael Schulze von Glaßer, ein junger Politikwissenschaftler, sorgt mit seinen Artikeln und Dossiers seit Jahren für mehr Aufklärung. Jetzt hat er unter dem Titel "An der Heimatfront" ein stattliches Buch zum Thema vorgelegt. In sechs Kapiteln werden die Träger der militärischen Öffentlichkeitsoffensive, die bundeswehreigenen Werbeveranstaltungen und Medien, die bereitwillige Mitarbeit ziviler Medien, ein Vergleich mit dem US-amerikanischen Vorbild und die Kritik am ganzen Komplex dargestellt.

In meinen eigenen Kriegsfilmstudien, die hauptsächlich dem US-Militainment gewidmet sind, klage ich noch über fehlende Darstellungen zum "unterhaltsamen Krieg" in Deutschland und der europäischen Nachbarschaft. Mit dem 4. Kapitel des hier empfohlenen Buches liegt - soweit ich sehe erstmals - ein ausführlicher Überblick zum Zusammenspiel von Bundeswehrpropanda und zivilen Medien vor. Vgl. auch Michael Schulze von Glaßer: Der unterhaltsame Krieg. "Militainment made in Germany" . Manche Abteilungen des Staatsfernsehens verstehen sich offenbar als militärische Kultur- und Informationsdienstleister. Michael Schulze von Glaßer unterzieht die entsprechenden Ergebnisse einer politischen Kritik, und das ist eine ganz andere Vorgehensweise als die des vorherrschenden kommerziellen Rezensionswesens.

Der Autor ist übrigens auch ein guter Fotograf, und Beispiele aus seinem umfangreichen Archiv illustrieren das Buch. Schon auf dem Umschlag sieht man, wie Kinder - entgegen den offiziellen Richtlinien - bei einer Bundeswehrwerbeveranstaltung auf einem Panzer spielen. Wegen solcher Aufnahmen ist Schulze von Glaßer beim Militär gut bekannt und äußerst unbeliebt. 2009, so schildert er im Vorwort, wurde er z.B. an seiner journalistischen Arbeit auf einer Gelöbnis-Veranstaltung gehindert. Die Begründung der Bundeswehr lautete: er habe ja Kontakte zu Antimilitaristen. So etwas ist heute normal, und von den Repressionen, die auf Friedensbewegte in naher Zukunft warten, machen sich nur wenige ein Bild.

Wer in der politischen Friedensarbeit nicht an der Oberfläche verbleiben will, sondern zu den inneren Zentren der Kriegsmaschinerie vordringen möchte, für den ist das Buch "An der Heimatfront" Pflichtlektüre (die Entwicklung pazifistischer Gegenstrategien ist ja an die Kenntnis des nahen Gegenwartsgeschehens gebunden). Michael Schulze von Glaßer weiß, wie schnell die Darstellung durch aktuelle Entwicklungen überholt werden kann. Zu wünschen bleibt deshalb, dass er Kollegen/Innen und Nachahmer/Innen findet und selbst kontinuierlich am Thema weiterarbeiten kann. Sein jüngstes Dossier zu Kriegsspielen am Computer lässt diesbezüglich hoffen. Michael Schulze von Glaßer: Militärspiele. Verbindungen zwischen dem Militär und der Videospiele-Industrie , IMI-Studie 2010/15.

Nachsatz: Wie dringend wir ein Netzwerk bräuchten zur kritischen Erforschung des massenkulturellen Krieges, das wird durch diese Studie noch einmal eindrücklich bestätigt. Fehlende Bemühungen in der Friedensbewegung mit Blick auf moderne kulturelle Gegenstrategien und die populäre Vermittlung kritischer Medienangebote bleiben noch immer zu beklagen. Kreative Werkstätten einer erotischen Kultur des Friedens gehören schließlich zum Bereich des Utopischen. Jedoch: Utopie tun not, denn wir brauchen wider die Kriegsgewöhnung inspirierende Leidenschaften und den Blick in das "Jenseits der bestehenden Verhältnisse".

Michael Schulze von Glaßer: An der Heimatfront. Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr. Köln: PapyRossa 2010. [260 Seiten; 16 Euro]

Fußnoten

Veröffentlicht am

31. Januar 2011

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