Wankende DespotenVon Karl Grobe Ägypten ist das bei weitem größte arabische Land und setzt schon deshalb Beispiele. So könnte sich die Unruhe, die in Tunesien begann, weiter verbreiten bis zur Saudi-Dynastie. Die Bodenhaftung hatte Husni Mubarak längst verloren, ehe der Aufstand begann; mit dem Seefahrer-Bild: Die Verankerung im Volk war ihm abhandengekommen. Es sei denn, die sogenannten Ordnungskräfte könnten Anker sein, das Militär, die Geheimdienste, die Polizei aller Art. Auf die denkt er offenbar noch bauen zu dürfen. Nach fünf tonlosen Tagen, während das Volk unorganisiert und spontan die Macht auf der Straße aufzulesen begann, hat er sich aufs Ernennen verlegt. Wer bisher kommandierende Charge war oder - zeitweilig - Chef der Kairoer Gefängnisse mit ihren folternden Wärtern, soll nun auf den Weg bringen, was sorgenvolle Beobachter in Washington so umreißen: "politische Reformen, ohne die Region zu destabilisieren". Die Zeiten aber sind vorbei. In "der Region" - von Algerien bis Jordanien, von Ägypten bis Jemen - ist die Lage revolutionär, also weder stabil noch mit einer formal demokratischen Schaufenster-Reform zu beruhigen. Natürlich ist die US-Regierung, ein Hauptakteur in der Region seit sechzig Jahren, höchst besorgt. Mubaraks Ägypten war ihr nächst Saudi-Arabien bester Gehilfe; mit dem drastischen Wort, das der Londoner Economist vor einem halben Jahr prägte, "Amerikas Pudel". Mehr: der Wachhund, der die arabische Herde an Ausbrüchen hinderte. Dann aber brach der "Tunisami" aus, zwölf Millionen Tunesier schickten ihren Despoten ins Exil, und nun wissen auch die achtzig Millionen Ägypter, dass sie keine lenkbaren Schafe sind. Es ist Revolution. Wie immer in solcher Situation ist der Ausgang ungewiss. Selbst ein historischer Kompromiss mag noch zu erringen sein - vom Rednerhimmel fällt er nicht -, der Zehnerrat aufständischer Organisationen mag Mohammed el Baradei delegieren, mit den Uniformierten zu verhandeln und für einen Übergang ins Lenkrad zu greifen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht eben übergroß. Mubaraks Getreue, die um Ansehen, Macht, Besitz und vielleicht ihre Freiheit bangen, hätten zuzustimmen. Das Volk, das unorganisierte revolutionäre Subjekt, müsste sich damit zufriedengeben. Die organisierten Kräfte - neben dem Militär die zivilen Parteien und Gruppen - wären zu Abstrichen an den eigenen Ambitionen genötigt. Das Offizierskorps ist seit 1952, seit Nagibs und Nassers Tagen, Quelle der politischen Macht, und nun hat Mubarak ja seinen Vertretern höchstselbst einiges überantwortet. Die Soldaten aber stehen sozial auf der anderen Seite, geschurigelt und unterbezahlt wie die Polizisten, keine Teilhaber des Reichtums und der Ordnung, die sie zu schützen haben. Und nicht selten haben Obristen gegen Generale geputscht, Rekruten gemeutert und Freundschaft mit denen geschlossen, auf die sie nach dem Willen der Mächtigen hätten schießen sollen. Wie zuverlässig - oder wie revolutionär - die Truppe ist, bleibt noch unklar. Ägypten setzt BeispieleDie Muslimbruderschaft, mit Abstand die größte zivile Opposition, drängt der Bewegung zur Zeit nicht ihre Führung auf. Sie stützt El Baradei; das mag taktisch sein. Die Ordnung nach Mubarak kann jedoch auf ihre Mitarbeit kaum verzichten; dann wiegt ihre schiere Masse die zersplitterte, teils koptisch-christlich, teils laizistisch orientierte Bürgerbewegung wohl auf. Das ist ein anderes Spiel als jenes im säkularen Tunesien, bei aller Gemeinsamkeit der Aufstandsgründe wie Armut, Repression, Arbeitslosigkeit und Arroganz der Macht. Doch Gemeinsamkeiten gibt es: Wie Mubarak sind die Gewalthaber in Saudi-Arabien um zwei Generationen älter als das gemeine Volk. Wie Ägypten hängt die Saudi-Despotie an der amerikanischen Leine. Wie in Ägypten sind die jüngeren Generationen, der allmählich wachsende Mittelstand und die Bildungsschichten frustriert. Die Staats- und Gesellschaftskrise äußert sich im geistigen Abbau der Oberschicht, und gerade die Saudi-Dynasten nebst Familienbande machen sich durch die persönliche Verfügung über den Ölreichtum Feinde. Unter diesen geben den Ton Prediger an, die aus derselben Schule stammen wie Osama bin Laden. Da bleibt wenig Raum für Zivilgesellschaft; in Ägypten besteht sie und verändert die Landschaft. Europäische oder amerikanische Gärtner braucht sie nicht. Quelle: Frankfurter Rundschau vom 31.01.2011. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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