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Ägypten: Auf den Präsidenten wartet das Flugzeug

Das Land befindet sich im Aufruhr - und noch ist offen, wer sich durchsetzen wird: das Volk, die Armee, die Islamisten oder die Reformer um Mohammed el-Baradei

Von Sabine Kebir

Als sich am 14. Januar in Tunis die Ereignisse überschlugen, soll General Rachid Ammar seinem Präsidenten Ben Ali nur drei Stunden eingeräumt haben, um die Macht und das Land zu verlassen. Sollte es länger dauern, könne er für das Leben des Staatschefs und seiner Familie nicht garantieren. Die daraufhin unverzüglich startende Präsidentenmaschine musste auf ihrem Weg nach Saudi-Arabien im ägyptischen Scharm el Scheich zwischenlanden - Ben Ali soll bei dieser Gelegenheit das Bodenpersonal gefragt haben: "Gibt es hier nicht jemanden, der zusteigen will?"

Die Ägypter haben offenbar einen feinen Sinn für Humor, weiß man doch, dass sich Präsident Mubarak während der vergangenen Tage in Scharm el Scheich aufgehalten hat, weil er sich in seiner Hauptstadt nicht mehr sicher fühlte. Das Angebot, dass der durchreisende Ben Ali in dem Witz gemacht hat, dürfte für Mubarak immer größere Attraktivität gewinnen. Denn unter dem Druck der immer stärker anschwellenden ägyptischen Revolution musste Hosni Mubarak am Abend des 1. Februar - dem Tag des "Marsches der Millionen" - im Staatsfernsehen verkünden, dass er bei der Präsidentenwahl im September nicht mehr antreten werde. Sein endgültiger Abgang ist seit diesem Zeitpunkt nur noch eine Frage der Zeit. Er wolle einen "Prozess der Transition" einleiten, hatte Mubarak zu verstehen gegeben, und mit bisher ausgegrenzten politischen Gruppen über Reformen sprechen. Das genügte den mehr als einer Million Menschen nicht, die sich trotz der Stilllegung nahezu aller öffentlichen Verkehrsmittel und der gesamten Internetkommunikation an diesem 1. Februar auf und um den Tahrir-Platz in Kairo versammelt hatten. Sie wollten, dass Mubarak sofort geht, ohne Wenn und Aber. Immer wieder wurden Rufe laut, dass der greise Staatschef vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt werden müsse. Sie zeugten von einer aggressiver werdenden Stimmung unter den Demonstranten.

Angesichts einer enormen Massivität der Proteste, die auch kleinere Orte erfasst, ist die Disziplin und Zurückhaltung, die sowohl auf Seiten der Demonstranten als auch der Armee bisher an den Tag gelegt worden ist, bewunderungswürdig. Trotzdem sind seit Beginn der Unruhen schon mehrere hundert Tote zu beklagen. Dennoch überwiegt der Eindruck, dass sich wie in Tunesien auch die ägyptischen Streitkräfte nicht dazu bewegen lassen, sich gegen die Protestler zu stellen und für ein marodes Regime die Straße freizuräumen. Es gab eine Direktive der Generalität, auch bei illegalen Demonstrationen keine Gewalt einzusetzen, soweit sie friedlich verlaufen. Man passte sich der Lage an und wollte zugleich dem Vorwurf entgehen, der Regierung die Loyalität zu verweigern.

Erinnerung an Nasser

Um die bisher weitgehend friedlichen Proteste kippen zu lassen, wären an diesem 1. Februar nur wenige Provokationen notwendig gewesen, die sich notfalls auch leicht hätten inszenieren lassen. Während Tausende Demonstranten in Kairo "nur" durch ständig die Richtung wechselnde Panzer eingeschüchtert und auseinandergetrieben wurden, fielen in Alexandria doch Schüsse, als Mubarak-Sympathisanten und -Gegner aneinander gerieten. Dennoch ist die Armee längst dabei, sich als die einzige Kraft zu präsentieren, die einen einigermaßen geordneten Verlauf der "Transition" sichern kann. Ob sie - in der Tradition der einstigen Offiziersgruppe um den späteren Präsidenten Gamal Abd el Nasser, der 1952 König Faruk stürzte - damit selbst an die Macht kommen oder wirklich nur einen Übergang absichern will, steht noch in den Sternen. Da sich viele Ägypter die Zeit des sozialen Fortschritts unter Nasser (er regierte von 1956 bis 1970) zurückwünschen, würde ein Militärputsch möglicherweise durchaus begrüßt werden.

Völlig offen scheint auch, welche Rolle die Muslim-Bruderschaften im künftigen Ägypten spielen werden, da sie bislang an den - ohnehin gefälschten - Wahlen nicht beziehungsweise nur mit unabhängigen Kandidaten teilnehmen konnten. Ihre Bedeutung ist aber zu erahnen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die einzige Sozialhilfe, die Millionen Ägypter ohne Einkommen erhalten, aus den Moscheen kommt. Ehe sich daran nichts ändert, wird auch der Islamismus bei vielen Menschen eine große Attraktivität genießen.

Wankender Koloss

Im Gegensatz zu Tunesien wankt mit Ägypten ein Koloss, der für die bisherige Nahoststrategie der USA unverzichtbar war, besondere beim Umgang mit Israel. Ägypten wird seit Jahrzehnten mit Milliarden von Dollar unterstützt, damit es seine Hilfen für die Palästinenser auf ein absolutes Minimum herunterschraubt. Wer sich erinnert, dass die Muslim-Bruderschaften gegründet wurden, weil die Engländer nach dem Ersten Weltkrieg jüdische Einwanderung in Palästina zu fördern begannen, der versteht auch, weshalb die Regierung Netanjahu beunruhigt ist. Der Traum der Hardliner im Mitte-Rechts-Kabinett, durch den Bau einer unterirdischen Betonmauer zwischen Ägypten und dem Gazastreifen das Tunnelsystem lahmzulegen, über das anderthalb Millionen Palästinenser bislang mit Lebensmitteln und Waffen versorgt wurden, dürfte schon jetzt nicht mehr realisierbar sein.

Während es gegenwärtig noch schwer absehbar ist, ob und wie sich die Lage der Ägypter durch ihre Revolution verbessern wird, könnten die Palästinenser daraus schon kurzfristig Gewinne ziehen. Voraussetzung wäre freilich, dass der Westen, von dem der gesamte Nahe Osten, einschließlich Israel, abhängig ist, die jetzige Lage als Chance begreift, Bewegung in die festgefahrene Situation zu bringen. Dazu müsste allerdings die Außenpolitik der Europäischen Union sich dazu bereit finden, unter Demokratie nicht nur ein nach eigenen Vorstellungen zurechtgeschneidertes Exportprodukt zu verstehen.

Mit der tunesischen und der ägyptischen Revolution haben beide Völker in Erinnerung gebracht, dass sie nicht bereit sind, ihr soziales Schicksal auf ewig hinzunehmen. Sie finden auch keinen Gefallen daran, Objekte von Großmachtpolitik zu sein.

Sabine Kebir ist Essayistin, Literaturwissenschaftlerin und Maghreb-Spezialistin

Quelle: der FREITAG vom 03.02.2011. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

03. Februar 2011

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