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Auch kroatische Kampftruppen verübten Kriegsverbrechen: Am Beispiel Ante Gotovina

Von Andreas Zumach - Kommentar

Das 1993 vom UNO-Sicherheitsrat eingesetzte Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien (ICTY) hat seine Aufgabe weitgehend erledigt. Von den eingeleiteten Verfahren gegen 161 Personen sind 125 endgültig abgeschlossen. In weiteren 17 Fällen erfolgten erstinstanzliche Urteile, gegen die Berufung eingelegt oder angekündigt wurde. Die Berufungsverhandlungen sowie die restlichen 19 Verfahren sollen laut Beschluss des Sicherheitsrats bis spätestens Ende 2014 beendet werden.

Doch auch nach 17 Jahren und 142 Urteilssprüchen erregen die Entscheidungen des Tribunals in Den Haag die Gemüter und führen zu politisch und geschichtsrevisionistisch motivierten Angriffen auf das Gericht - vor allem bei Kroaten und Serben im ehemaligen Jugoslawien oder in der europäischen Diaspora.

Zuletzt führte Mitte April die Verurteilung des kroatischen Generals Ante Gotovina zu 24 Jahren Gefängnis wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit zu chauvinistischen Massenprotesten und unqualifizierten Attacken der Zagreber Regierung gegen die Haager Richter. Gotovina war Kommandeur der kroatischen Streitkräfte, die Anfang August 1995 mit der dreitägigen Operation "Oluja" ("Sturm") die Ende September vollendete Vertreibung von fast 250.000 Serben aus der Region Krajina einleiteten.

Die Beweise sind erdrückend

Leider hat sich auch mein Kollege Erich Rathfelder in seinem Bericht und Kommentar zur Verurteilung von General Gotovina die nationalchauvinistische Sichtweise vieler Kroaten teilweise zu eigen gemacht. Den Hauptgrund für die Verurteilung sowie andere relevante Fakten hat er dabei weggelassen oder falsch dargestellt: Hauptgrund für die Verurteilung Gotovinas und die von Rathfelder als "unverhältnismäßig" hoch kritisierte Haftstrafe war, dass - am 31. Juli 1995 auf der Adria-Insel Brioni - Gotovina, Kroatiens Präsident Franjo Tudjman, Verteidigungsminister Gojko Susak und weitere Militärführer die "dauerhafte Vertreibung der serbischen Zivilbevölkerung aus der Krajina durch Gewalt und Gewaltandrohung planten und vorbereiteten" (Urteilsspruch).

Die Beweise für dieses "gemeinsame kriminelle Unternehmen" in Form von Protokollen, Mitschnitten und Teilnehmeraussagen des Treffens in Brioni sind erdrückend. Sie stehen bereits seit über fünf Jahren für jedermann nachlesbar auf der Webseite des Tribunals.

Auf Basis dieser Beweislage wäre auch Präsident Tudjman vom Haager Tribunal verurteilt worden. Doch er starb vor der geplanten Anklageerhebung. Gotovina war hauptverantwortlich für die Umsetzung der Planungen von Brioni. Unter anderem befahl er den Artilleriebeschuss von Zivilisten und zivilen Objekten in Knin, Benkovac, Obrovac und anderen Städten in der Krajina. In Ausübung dieser Befehle verübten auch kroatische Kampftruppen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und verhielten sich damit gegenüber der serbischen Zivilbevölkerung keineswegs "korrekt" (Rathfelder).

Zivilisten bombardiert

Es ging in dem Urteil gegen Gotovina also nicht "nur" um den Tod von 324 Zivilisten und gefangenen serbischen Soldaten. Für deren Ermordung - auch soweit sie von Einheiten der Sonderpolizei und erst nach Ende der Operation "Sturm" verübt wurden, wie Rathfelder betont - trägt Gotovina ebenfalls Verantwortung. Denn diese Einheiten (mit insgesamt 2.200 Polizisten) wurden in Brioni ausdrücklich dem Militär unterstellt und damit auch seinem Oberbefehl. Gotovina hatte seinen Kommandoposten in der kroatischen Armee bis Mitte März 2006 inne, auch wenn er bald nach Ende der Operation "Sturm" eine neue Militäraktion im angrenzenden Bosnien-Herzegowina vorbereitete.

Die Urteilsschelte im Fall Gotovina und die Verharmlosung oder Leugnung seiner Verbrechen verlaufen nach einem seit 20 Jahren sattsam bekannten Muster: Es werden Vergleiche gezogen zu (angeblich zu milden) Strafen für ähnliche oder noch schlimmere Verbrechen der Serben. Zudem wird das "Recht zum Krieg" nicht vom "Recht im Krieg" unterschieden.

Keineswegs stellte das Tribunal die Verbrechen Gotovinas "auf die gleiche Stufe wie das monströse serbische Verbrechen in Srebrenica". Mit dieser Behauptung begibt sich Rathfelder auf dasselbe unsägliche Niveau der von ihm - völlig zu Recht scharf kritisierten - deutschen und serbischen Autoren, die kürzlich auf der Leipziger Buchmesse mit Thesen zur Leugnung, Relativierung und Verharmlosung des Völkermords an über 8.000 Muslimen in Srebrenica auftraten. Das Tribunal hat bereits mehrere Beteiligte an diesem Völkermord zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Den Hauptverantwortlichen Karadzic und General Mladic (falls er noch gefasst wird) droht aufgrund der erdrückenden Beweislage lebenslange Haft. Dazu wäre auch Milosevic verurteilt worden, wäre er nicht während seines Verfahrens gestorben. Im Übrigen erging die große Mehrheit der bislang 142 gefällten Urteile des Tribunals gegen serbische Täter.

Srebrenica nicht verharmlost

Das Tribunal hält zu Beginn des Gotovina-Urteils ausdrücklich fest, dass dessen "Verbrechen während eines internationalen bewaffneten Konflikts in Kroatien stattfanden und im Kontext langjähriger Spannungen zwischen Serben und Kroaten in der Krajina, wo zu einem früheren Zeitpunkt zahlreiche Verbrechen gegen Kroaten verübt wurden". Hatten die kroatischen Streitkräfte daher das Recht zur Rückeroberung der Krajina? Diese Frage nach dem "Recht zum Krieg" gemäß den Bestimmungen der UN-Charta ist bis heute nicht geklärt. Sie gehört vor den Internationalen Gerichtshof (IGH).

Das Kriegsverbrechertribunal hat ausschließlich Verstöße zu untersuchen und zu ahnden, die im Rahmen der bewaffneten Konflikte in Exjugoslawien gegen die Völkermordkonvention, die Genfer Konventionen und andere Bestimmungen des "humanitären Völkerrechts" verübt wurden. Diese Bestimmungen gelten ebenso wie die seit 1945 international vereinbarten Menschenrechtsnormen für ausnahmslos alle BewohnerInnen des ehemaligen Jugoslawien.

Quelle:  taz - 25.04.2011. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Andreas Zumach.

Veröffentlicht am

27. April 2011

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