Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Lektionen aus dem 1. Weltkrieg für die Friedensbewegung (II)

Teil II des Interviews

Von Amy Goodman, 10.05.2011 - Democracy Now!

Der Historiker und Autor Adam Hochschild im Gespräch mit Democracy Now! über sein neues Buch (‘To End All Wars’). Hochschild zieht einen Vergleich zwischen dem britischen Pazifismus während des 1. Weltkriegs und dem Engagement in den USA gegen den Vietnamkrieg beziehungsweise gegen die aktuellen Kriege im Irak und in Afghanistan. Im zweiten Teil geht es um das ältere Werk des Autors: ‘King Leopold’s Ghost’ (deutsch: ‘Schatten über dem Kongo’). Es handelt von der schockierenden Ausplünderung des Kongo, der heutigen ‘Demokratischen Republik Kongo’ (DRC) und der Ermordung des ersten gewählten Premierministers des Kongo, Patrice Lumumba, die von den USA unterstützt wurde.

Amy Goodman: Unser Gast ist Adam Hochschild. Sein neues Buch, ‘To End All Wars’, handelt von Loyalität und Rebellion. Sein Buch davor hieß ‘Bury the Chains’ (deutsch: ‘Sprengt die Ketten’). Ein früheres Werk des Autors beschäftigt sich mit dem "Geist" von König Leopold von Belgien. Es handelt vom Kongo, von Belgien und dessen einstigem König Leopold. Ich möchte über all diese Themen sprechen. Warum haben Sie den Titel ‘To End All Wars’ ([Um] alle Kriege zu beenden) gewählt - für ein Buch über bedeutende und unbedeutende Bewegungen?

Adam Hochschild: Nun, der Satz "the war to end all wars" (dieser Krieg ist der Krieg, um alle Kriege zu beenden) wird Woodrow Wilson zugeschrieben. Damit wollte Wilson den Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg rechtfertigen. Im Wahlkampf hatte er noch versprochen, die USA aus dem Krieg herauszuhalten und wurde für dieses Versprechen 1916 zum US-Präsidenten gewählt. Einige seiner Biographen behaupten, Wilson habe diese Worte geäußert. Wie dem auch sei, sie sind allgemein bekannt. Ich wählte den letzten Teil des Satzes als Titel für mein Buch: ‘To End all Wars’ ([Um] alle Kriege zu beenden), denn genau das sollten wir tun. Außerdem wollte ich, dass die Leute eine Kontinuität erkennen: Damals wie heute war/ist Wahnsinn mit im Spiel, wenn Länder in Kriege verstrickt werden.

Amy Goodman: Wie Dissens unterdrückt wurde - dieses Thema nimmt viel Raum in Ihrer Story ein. Tausende (desertierte) Soldaten wurden eingesperrt - unter sehr harten Bedingungen. Dissidenten und Journalisten kamen für ihre Ansichten hinter Gitter. Erklären Sie uns - wie funktioniert ein Staat? Wie hat er damals funktioniert, wie funktionier er heute?

Adam Hochschild: Nun, wissen Sie, wenn Staaten unterdrücken, tun sie dies häufig mit dieser seltsamen Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Es ist sehr interessant, sich beispielsweise Großbritannien während des 1. Weltkriegs anzusehen. Sie hatten damals ein ausgesprochenes Feingefühl, wenn es darum ging, zu entscheiden, ob sie hart oder weich vorgehen sollten. Sie steckten Militärdienstverweigerer ins Gefängnis - wenn sie sich weigerten, Ersatzdienst zu leisten. Die meisten Veröffentlichungen gegen den Krieg waren aber nicht verboten. Schließlich machte sich Großbritannien Sorgen um die öffentliche Meinung in den USA.

In den ersten drei Kriegsjahren war Großbritannien emsig bemüht, die USA mit an Bord zu holen, sie auf die Seite der Alliierten zu ziehen. Mitte 1917 war es geschafft. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie bemüht, tunlichst alles zu vermeiden, was ihnen eine schlechte Presse in den USA eingebracht hätte. Es existiert noch alte Korrespondenz - ein Austausch von Vertretern (beider) Regierungen: Sollen wir Soundso ins Gefängnis stecken? Nein, besser nicht, es könnte an die amerikanische Presse gelangen. Doch sie fanden andere Wege, um Veröffentlichungen, die sich gegen den Krieg wendeten, zu erschweren - zum Beispiel, indem sie dafür sorgten, dass diese Leute möglichst wenig Papier zugeteilt bekamen. Papier war damals rar. Um solche Dinge ging es damals.

Hinzu kam, dass sie bestimmte wichtige Leute verfolgten und dafür sorgten, dass sie hinter Gitter kamen - zum Beispiel Bertrand Russell (siehe Teil I des Interviews). Edmund Dene Morel war damals Großbritanniens führender investigativer Journalist. Im Jahr davor hatte er eine enorm wichtige Rolle beim Kongo-Skandal gespielt. Er war eine mächtige Stimme gegen den 1. Weltkrieg - und landete im Gefängnis. Im Unterschied zu Russell wurde er zu harter Zwangsarbeit verurteilt. Damals herrschte in Großbritannien ein Mangel an Nahrungsmitteln und an Kohle zum heizen. Morel war im Winter in Haft. Was die Versorgung mit Lebensmitteln und Kohle anging, kamen die Gefängnisse an letzter Stelle. Morel schrieb - sehr bewegend - über die nächtlichen Fröste in seiner Gefängniszelle, ohne Decken. Zumindest…

Amy Goodman: Warum kam er ins Gefängnis?

Adam Hochschild: Aufgrund dessen, was er geschrieben hatte. Wissen Sie, das war die Rechtfertigung. Sie rechtfertigten es mit einer Vorschrift, die besagte, dass es nicht zulässig sei, Antikriegs-Propaganda in neutrale Länder zu verschicken. Er hatte etwas, das er geschrieben hatte, in die Schweiz geschickt. Doch es existiert noch ein Dokument des damaligen britischen Außenministeriums, in dem ein Offizieller einem anderen Offiziellen Folgendes mitteilte: "Wir müssen diesen Mann sicher ins Gefängnis bringen." Schließlich war Morel eine immens starke, gewaltige Stimme gegen den Krieg.

Amy Goodman: Sie haben sich auch mit dem beschäftigt, was sich zehn Jahre davor in Belgisch-Kongo abgespielt hatte. Ihr Buch ‘Schatten über dem Kongo’ (Original: ‘King Leopold’s Ghost’) lehrt einen das Gruseln, und das ist noch untertrieben. Es geht um eine wirklich furchtbare Episode in der Weltgeschichte. Erzählen Sie uns doch bitte kurz - vor allem den Leserinnen und Lesern, die verstehen wollen, was heute im Kongo passiert, die die Geschichte dieses Landes begreifen wollen.

Adam Hochschild: Nun, ich will Einiges aufzählen, was gleichgeblieben ist. Der heutige Kongo - die Demokratische Republik Kongo - hat in etwa dieselben Grenzen wie Belgisch-Kongo (1908 - 1960). Vor Belgisch-Kongo gab es den so genannten ‘Congo Free State’. Dieser war Privatbesitz des Königs Leopold II von Belgien. Erst später wurde das Gebiet eine belgische Kolonie.

Während all dieser Zeit, all dieser Umbrüche, war und blieb das Territorium des Kongo eine Fundgrube für Ausländer, die sich an den enormen Reichtümern gütlich taten. Die erste Ressource (die sie ausbeuteten) war die menschliche Ressource. Der Kongo war eine wichtige Quelle für den Sklavenhandel, der über den Atlantik verlief. Die Vorfahren der meisten Schwarzen, die heute in Brasilien leben, kamen von den Ufern des Kongo-Beckens. Portugiesen hatten sie über den südlichen Atlantik (nach Lateinamerika) verschleppt.

Mitte des 19. Jahrhunderts hörte der Sklavenhandel über den Atlantik auf. König Leopold hatte Kontrolle über das Land erlangt. Er war…

Amy Goodman: … der belgische König.

Adam Hochschild: … der belgische König. Doch Belgien wollte keine Kolonien - also nahm er sie für sich…

Amy Goodman: … als seine eigene, persönliche Kolonie…

Adam Hochschild: … als Privatbesitz. Alle wichtigen Nationen der Welt haben dies anerkannt - allen voran die USA. Wir waren die Ersten, die akzeptierten, dass er (König Leopold) dieses Gebiet sein eigen nannte.

Er war am Elfenbein interessiert. Damals war Elfenbein ungeheuer wertvoll. Kurz nachdem er die Kontrolle über das Gebiet erlangt hatte, wurden reiche Gummivorkommen entdeckt - natürliche Vorkommen. Damals gab es einen Gummi-Boom - weil man gerade erst das Rad mit Gummiummantelung erfunden hatte, das keine Luft mehr verlor. Man benötigte Gummi für die Ummantelung von Teilen des Telefons und der Telegraphenkabel, für Dinge dieser Art. Leopold machte einen Großteil der männlichen Erwachsenenbevölkerung zu Arbeitssklaven, um Gummi zu sammeln. Dies führte zu einem Massensterben. Innerhalb von 40 Jahren ging die Bevölkerung (des Kongo) um circa 10 Millionen zurück.

Dann wurde der Kongo belgische Kolonie. Kurze Zeit später starb Leopold. Die Belgier interessierten sich für viele weitere Mineralien - wie Kupfer, Gold, natürliches Uran, Palmöl usw..

1960 wurde das Land unabhängig. Doch die Regierung war extrem schwach und korrupt. Viele Jahre lang wurde das Land von einem Diktator namens Mobutu regiert, der die Unterstützung der USA hatte. 1997 wurde er gestürzt und starb. Seither ist der Kongo, weitgehend, im Chaos versunken - mit einem äußerst komplexen Bürgerkrieg, mit vielen Parteien. Im Grunde geht es jedoch nach wie vor um Ressourcen.

Es ist ein oder zwei Jahre her, seit ich dort war. Man kann sehen, wie überall der Reichtum außer Landes geschafft wird. Einmal befand ich mich, gemeinsam mit anderen Ausländern, auf einer Straße in Goma, im Osten des Kongo, als ein Mann auf uns zukam und uns Uran anbot. Er nannte seinen Preis, sagte aber, dieser sei noch verhandelbar. Über dir fliegen Flugzeuge, die Zinnerz außer Landes schaffen. Die Straßen sind nämlich so schlecht, dass man mit Lastwagen nicht bis zu den Minen durchkommt.

Amy Goodman: Und Koltan für unsere Handys.

Adam Hochschild: Das meiste kommt von dort - auch eine Menge des Goldes. Der Kongo exportiert jedes Jahr Gold im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar. Ich habe mir eine Goldmine angesehen, in der Bergleute nach Gold gruben. Wissen Sie, diese Leute gruben mit den Händen nach Gold. Es waren die alten Techniken, die schon die kalifornischen Goldsucher 1849 in Kalifornien anwendeten: Erst wird mit Hacke und Schaufel freigegraben; dann lässt man Wasser durch eine Schleuse, und der Goldstaub setzt sich am Boden ab. Die Arbeiter, die diese Knochenarbeit verrichteten, verdienten rund ein bis zwei Dollar am Tag, und zum Schluss wird das Gold dann außer Landes geflogen.

Amy Goodman: 2011 war der 50. Jahrestag der Ermordung von Patrice Lumumba. Seine Ermordung wurde von den USA unterstützt. Lumumba war der erste demokratisch gewählte Führer des Landes, das sich heute ‘Demokratische Republik Kongo’ (DRC) nennt. Ich möchte gerne die Aussage eines ehemaligen CIA-Agenten namens John Stockwell einspielen. Darin äußert er sich über die CIA-Pläne der USA zur Ermordung Lumumbas:

(Einspielung:)

John Stockwell:
Die CIA hatte ein Programm zur Ermordung Lumumbas entwickelt - von Devlin angeregt und gemanagt. Doch das Programm, das sie entwickelten, die Operation, klappte nicht. Sie führten sie nicht zu Ende. Lumumba sollte vergiftet werden. Sie konnten sich jedoch keine Szenerie vorstellen, in der sie Lumumba das Gift erfolgreich verabreichen konnten, so dass es nicht nach einer CIA-Operation aussehen würde. Ich meine, man konnte ihn ja offensichtlich nicht zu einer Cocktail-Party einladen und ihm einen Drink geben - und kurze Zeit später ist er tot. Also haben sie es aufgegeben. Sie bekamen kalte Füße. Stattdessen gingen sie so vor, dass der Chef vor Ort mit Mobutu sprach - über die Gefahr, die Lumumba darstellte. Und Mobutu ging hin und tötete Lumumba - seine Männer brachten Lumumba um.

Interviewer: Welche Verbindung bestand zwischen der CIA und Mobutu? Gaben sie ihm Geld?

John Stockwell: Ja, in der Tat. Ich war dabei, als der Chef vor Ort 1968 die Story erzählte - über den Tag vor jenem bewussten Tag. Sie wollten Mobutu $25.000 in bar geben, aber Mobutu sagte: "Behaltet das Geld. Ich brauche es nicht." Damals war Mobutus europäisches Bankkonto natürlich schon so prall, dass $25.000 für ihn nichts waren. (Ende)

Amy Goodman: Das war John Stockwell, ein ehemaliger Agent der CIA, über die CIA-Pläne zur Ermordung Lumumbas. Was ist mit dem ersten demokratisch gewählten Führer der heutigen Demokratischen Republik Kongo wirklich passiert?

Adam Hochschild: Nun, Lumumba wurde im Januar 1961 ermordet. Die USA und Belgien ermutigten die Tat enorm. Es handelte sich um die Ermordung des ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Kongo. Ich denke, es war ein vielsagender Moment, denn Lumumba stellte in den Augen der USA, Belgiens und Europas eine Gefahr dar. Er war einer, der sagte: "Politische Unabhängigkeit allein reicht Afrika nicht. Wir müssen auch Kontrolle über unseren Reichtum, unsere Ressourcen, haben." Das wurde als unerträglich empfunden. Sie wollten ihn tot sehen. Sie wollten Mobutu an der Macht haben - einen extrem korrupten Menschen, der darauf bedacht war, dass die USA, Belgien und andere Staaten weiterhin vom Kongo profitieren konnten. Und so ist es ja dann auch gekommen.

Amy Goodman: Kommen wir noch einmal auf König Leopold zurück - um seine damalige Brutalität zu verstehen. Mobutu war der Nachfolger von Patrice Lumumbas. (Mobutu) war der ‘Mann der USA im Kongo’. Und was tat König Leopold zu seiner Zeit?

Adam Hochschild: Nun, er entwickelte ein System der Zwangsarbeit, ein System der Sklavenarbeit. Um die Leute (im Kongo) dazu zu bringen, in die Regenwälder zu gehen und Gummi zu ernten, schickte er Soldaten los. Sie klapperten ein Dorf nach dem andern ab. Sie nahmen die Frauen als Geiseln und zwangen die Männer so, in den Regenwäldern nach Gummi zu suchen - tagelang, manchmal wochenlang. Oft kam es zu Aufständen gegen das drakonische System. Die Armee war daran gewöhnt, sie niederzuschlagen. Es handelte sich um eine Armee aus Schwarzen, die eingezogen wurden und unter weißen Offizieren dienten.

Die Offiziere achteten genau darauf, wieviele Patronen sie ihren Soldaten aushändigten. Sie wollten nicht, dass sie die Kugeln - bei einer eventuellen Meuterei - selber abbekamen. Also verlangten sie von einem Soldaten für jede Patrone, die er bekam, eine Hand, die er der Person, die er damit erschossen hatte, abgeschnitten hatte. So wollten sie sicherstellen, dass die Soldaten die Kugeln nicht aufbewahrten, um sie für eine Meuterei einzusetzen oder für die Jagd usw.. Oft verfehlten die Soldaten aber das Ziel, wenn sie auf eine Person schossen - auf einen Rebellen. Also schnitten sie einer lebenden Person die Hand ab. Es gibt schreckliche Fotos aus jener Zeit, die lebende Menschen zeigen - häufig noch Kinder - denen die Hände fehlen. Solche Dinge wurden zum Symbol für das Regime. Eine bemerkenswerte Protestbewegung entstand dagegen. Sie zeigte diese Bilder weltweit - mit Projektoren, im Großformat.

Amy Goodman: Sagen Sie noch etwas zu jenem Wendepunkt - zur Ermordung Lumumbas. Was war mit der Befreiungsbewegung, die sich überall in Afrika entwickelte?

Adam Hochschild: Nun, ich denke, für die meisten Afrikaner war die Ermordung Lumumbas, vor 50 Jahren, eine Botschaft: Auch wenn Afrika politisch unabhängig ist, wird es nicht seinen eigenen Weg gehen dürfen: Dieser Mann, der getötet wurde, hatte gefordert, dass Afrika die Kontrolle über seine eigenen Ressourcen erhalten sollte, und es war ziemlich offensichtlich, dass die USA und Westeuropa dies nicht zulassen wollten. Ich denke, in gewisser Weise besteht zwischen der ‘entwickelten Welt’ und Afrika noch immer eine neokoloniale Beziehung.

In Afrika gibt es bis heute immense Vorkommen an natürlichen Ressourcen. Im Moment interessieren sich die USA am meisten für Öl. Ich denke, die größte Sorge der USA und Europas, aber auch Chinas (dessen Verhältnis zu Afrika vergleichbar ist) gilt dem Fluss der natürlichen Ressourcen aus dem Kontinent Afrika. Dieser soll nicht abreißen. Aus diesem Grund haben wir nun, innerhalb der US-Streitkräfte, das AFRICOM, das ‘African Command’. Es mutet etwas seltsam an, dass wir ein solches Kommando haben. Schließlich führen wir in Afrika offiziell keine Kriege. Bis jetzt ist es, soviel ich weiß, in Deutschland angesiedelt, weil sie noch kein afrikanisches Land gefunden haben, das den Gastgeber spielen will.Anmerkung der Redaktion: Das United States Africa Command (AFRICOM) der Vereinigten Staaten von Amerika wurde 2007 auf Befehl von Präsident George W. Bush geschaffen. Das AFRICOM befindet sich in den Kelley Barracks in Stuttgart-Möhringen. Seitdem im Oktober 2008 die volle Operationsfähigkeit hergestellt wurde, ist AFRICOM das Oberkommando über US-amerikanische Militäroperationen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent mit Ausnahme von Ägypten. Siehe ebenfalls: AFRICOM . Sie wollen bereit sein, wenn es darum geht, eventuelle Ressourcenkriege zu führen - damit das Öl weiter fließen kann.

Amy Goodman: Hier meine letzte Frage. Sie waren Mitbegründer von ‘Mother Jones’ - eines unabhängigen Monatsmagazins. Ich möchte mit Ihnen über das Thema ‘Medien’ sprechen und deren Rolle, wenn es darum geht, bestimmte Stimmen mundtot zu machen. Damit meine ich nicht ‘Mother Jones’ sondern die Konzernmedien in unserem Land. Es fällt mir schwer, in diesem Zusammenhang von ‘Mainstream-Medien’ zu sprechen, weil sie den Mainstream (die Mehrheit, die Mitte) Amerikas nicht repräsentieren. Die Leute, die gegen Krieg und Folter sind, repräsentieren den Mainstream. Doch die Konzernmedien spiegeln die Haltung des Mainstream nicht wieder. Wir haben das Programm mit einer Sendung über Tony Kushner begonnen, der ja damals zum Schweigen gebracht wurde. Er sollte eine Ehrendoktorwürde NICHT verliehen bekommenAnmerkung d. Übersetzerin: *Tony Kushner ist ein amerikanischer Autor und Drehbuchautor, der sich sehr für ‘Palästina’ engagiert. 2006 bot ihm die Brandeis University die Ehrendoktorwürde an. Daraufhin intervenierte die Zionist Organization of America - und Kushner bekam die Ehrendoktorwürde nicht. Erst nach massiven Protesten aus der Bevölkerung bekam er sie doch noch. … Daraufhin gab es einen Aufschrei, und er erhielt sie doch. Sie sind ebenfalls im Beratungsgremium von ‘A Jewish Voice for Peace’ (www.jewishvoiceforpeace.org). Wie stehen Sie dazu, dass abweichende Meinungen unterdrückt werden - ob nun in der amerikanischen Politik oder durch die israelische Regierung?

Adam Hochschild: Stimmt. Ich denke, hier, in den USA, werden abweichende Meinungen nicht so sehr unterdrückt wie in vielen anderen Staaten. Das kann extreme Ausmaße annehmen und extrem offen vor sich gehen: Leute werden erschossen oder ins Gefängnis gesteckt, weil sie unbequeme Wahrheiten sagen. Ich lebe natürlich lieber in einem Land, in dem mir mit Entzug eines Ehrentitels gedroht wird, als in einem, wo ich an die Wand gestellt und erschossen werde, weil ich anderer Meinung bin als die Regierung. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass wir hier viel mehr Möglichkeiten haben, abweichende Meinungen zu äußern als Menschen in manchen anderen Ländern.

Dennoch gibt es eine Orthodoxie, die sich durch alle Medien zieht. Selbst die ‘New York Times’, die mir wirklich sehr viel bedeutet und der ich täglich 45 Minuten widme, hat blinde Flecken in der Berichterstattung. Sie finden dort endlos lange Artikel über die Haushaltsdebatte, aber sehr selten wird die Frage gestellt, ob man den Militärhaushalt nicht kürzen sollte. Ja, es gibt hier Defizite. Warum ist so wenig davon die Rede, dass die USA soviel Geld für ihr Militär ausgeben wie der Rest der Welt zusammen? Das wird irgendwie als Selbstverständlichkeit hingenommen. Folglich denke ich, dass wir in einer Zeit leben, in der abweichende Meinungen nicht unbedingt unterdrückt werden, in der jedoch viele Vorstellungen zu selbstverständlich sind.

Wenn Journalisten Phrasen wie diese dreschen: "Die USA brauchen für ihr Militär…", wenn von unserem absolut kolossalen Militärbudget die Rede ist (ein Dutzend Flugzeugträger-Kampfeinheiten zu Wasser, Hunderte von Stützpunkten in anderen Ländern), wie kann man da von "brauchen", von einem "Bedarf", sprechen? Die Sprache verrät die (voreiligen) Schlüsse, die gezogen werden. Wer sie infrage stellt, bekommt in den Medien selten den Raum, den er/sie eigentlich eingeräumt bekommen sollte - Programme wie dieses natürlich ausgenommen. Es ist mir eine Ehre, hier zu sein - zusammen mit jemandem wie Tony Kushner.

Amy Goodman: Macht es Ihnen Mut, zu sehen, dass die Reaktionen auf die Aberkennung des Titels im Falle Kushner eine Kehrtwende bewirkt haben - denn das war ja offensichtlich?

Adam Hochschild: Ja, das tut es wirklich. In den letzten ein, zwei Jahren sind Organisationen entstanden wie ‘J Street’ in Washington. Dadurch sind die Dämme ein wenig gebrochen, so dass es endlich möglich ist (so meine Hoffnung) harte Kritik an der israelischen Politik zu üben, ohne gleich als Antisemit bezeichnet zu werden. Ich denke, man begreift so langsam, dass die bedingungslose Rückendeckung für Israel, über so viele Jahrzehnte, die USA ins Abseits manövriert haben. Aus dieser Position heraus ist es sehr, sehr schwierig, eine dauerhafte und gerechte Friedenslösung im Nahen Osten zu erreichen. Ich glaube, das erkennen heute mehr Menschen als dies früher der Fall war. Allerdings glaube ich, dass die Israel-Lobby immer noch die mit Abstand stärkste Lobby in Washington ist.

Amy Goodman: Adam Hochschild, vielen Dank, dass Sie bei uns waren.

Amy Goodman ist Moderatorin des TV- und Radioprogramms ‘Democracy Now!’, das aus rund 500 Stationen in Nordamerika täglich/stündlich internationale Nachrichten sendet.

Quelle: ZNet Deutschland vom 12.05.2011. Originalartikel: Pt. 2 of Interview with Adam Hochschild on Voices of Dissent amidst the Din of War . Übersetzt von: Andrea Noll.

Fußnoten

Veröffentlicht am

16. Mai 2011

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von