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NATO/Libyen: Kollateralschäden zuhauf

Der Sturz Gaddafis gehörte nicht zum UN-Auftrag für den nun beendeten Libyen-Einsatz der NATO. Sie hat ihn dennoch erledigt und damit erneut gezeigt, wozu sie fähig ist

Von Lutz Herden

Die NATO hat beachtliche sieben Monate lang mit großer Überlegenheit und kleinem Risiko in einen inneren Konflikt eingegriffen, um einen Bürgerkrieg zugunsten einer Seite zu entscheiden. Es wurden seit März über 26.100 Angriffe geflogen. Da in Libyen größtenteils Städte umkämpft waren und deshalb bombardiert wurden, kann niemand ernsthaft behaupten, durch die Luftschläge seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen. Wie viel von den bislang gezählten über 50.000 Kriegstoten muss die Allianz verantworten? Die Frage zu stellen, ist das Mindeste, was aus Respekt vor dem Schicksal der Betroffenen, geschehen muss.

Zum letzten Akt dieser Intervention geriet die Beihilfe zur Tötung des ehemaligen Staatschefs Gaddafi. Ohne NATO-Raketen auf dessen Konvoi am Rand von Sirte, wäre der vermutlich nicht so schnell erschossen worden. Offenbar galt das Prinzip, jeder Atemzug des Diktators - und sei es der letzte - bedroht die libysche Zivilbevölkerung. Es ist daher mandatskonform, ihn gezielt zu töten. Egal, ob dafür in letzter Konsequenz die NATO oder der Übergangsrat zuständig sind - Tatsache bleibt, ein Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) wurde verhindert oder extrem verkürzt, indem an der Peripherie von Sirte das Urteil gefällt und vollstreckt wurde. Man sollte sich allerdings davor hüten, die Selbstermächtigung zur Selbstjustiz als Empfehlung zu verstehen. Sie ist es weder für das westliche Bündnis noch für künftige Autoritäten in Tripolis. Es sei denn, man findet Gefallen an einem archaischen Rechtsverständnis.

Satanisierung des Schurken

Dass sich nach diesem Tod Gaddafis der UN-Sicherheitsrat nicht einmal zu der Erklärung aufraffen konnte, dafür habe man garantiert keine Resolution 1973 beschlossen, ist eine Schmach für die UN-Diplomatie. Sie komplettiert die politischen Kollateralschäden der Libyen-Operation und erinnert nur allzu deutlich an eine - wie man heute zugibt - überaus fragwürdige Kollaboration des Sicherheitsrats mit der Bush-Administration nach dem Irak-Einmarsch im April 2003. Inzwischen weiß jeder, wie falsch und fatal dieser Schulterschluss war. Wer das unmissverständlich zum Ausdruck bringt, muss nicht mehr damit rechnen, versteckter Sympathien für den ehemaligen Staatschef Saddam Hussein verdächtigt zu werden oder den Vorwurf zu hören, dessen Verbrechen zu verharmlosen. Bei Gaddafi hat die Satanisierung des Schurken einen Grad erreicht, dass selbst das Recht auf Leben von dieser propagandistischen Hybris nicht verschont bleibt.

Aber Schaden genommen haben nicht nur die Vereinten Nationen. Gleiches trifft - und da schließt sich der Kreis - für den Haager Weltgerichtshof zu. Dessen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo hatte am 16. Mai 2011 Anklage gegen Muammar al-Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und Geheimdienstchef Abdullah Senussi erhoben - es ging um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Plötzlich - zwei Monate nach Beginn der Luftangriffe - wurde die Intervention juristisch legitimiert. Oder der Anschein erweckt, das sei der Fall. Warum nicht gleich, als die ersten Bomben fielen? Ist es für das Prestige dieses Tribunals wirklich annehmbar, wenn sein Chefankläger in den Geruch kommt, politisch instrumentalisiert zu sein? Während die NATO-Raketen einschlagen, wird die Führung des Gegners angeklagt. Welch zweifelhafter Eindruck von Kausalität wurde da in Kauf genommen? Dabei schien es Moreno-Ocampo nicht im Geringsten zu stören, mit den USA einer Interventionsmacht das juristische Geschäft zu besorgen, die sich seinem Gerichtshof kategorisch verweigert und mit militärischen Aktionen droht, sollte je ein US-Bürger in einer Haager Zelle landen.

Morgendämmerung der Odyssee

Hört man jetzt vom Chefankläger auch nur ein Wort des Unmuts oder gar der Empörung darüber, dass in Libyen Vorsorge getroffen wurde, Gaddafi auf keine Anklagebank setzen zu müssen? Was hätte es da zu hören gegeben? Etwas über Waffen- und Ölgeschäfte des Westens mit einem Regime, das nach jetziger Überzeugung nicht einmal minimalen zivilisatorischen Standards genügte? Oder über die Kumpanei mit Gaddafi bei der Jagd nach nordafrikanischen Flüchtlingen im Mittelmeer?

Es lässt sich nichts beschönigen. Die rechtlichen, moralischen und politischen Kollateralschäden der NATO-Operation Morgendämmerung der Odyssee sind beachtlich, wenn nicht desaströs. Übertroffen werden sie allein vom Desinteresse oder der Weigerung im Westen, sich dessen bewusst zu werden. Ein durch und durch trostloser Befund. Ein beschämender dazu, wenn ohne Skrupel vorgeführt wird, wie das Gewaltverbot der Vereinten Nationen pragmatischem Zugriff unterliegt, diktiert vom Recht des Stärkeren, getrieben von der Macht der Interessen und gesalbt von politischem Opportunismus. Man mag dem entgegenhalten, das war nie anders. Sicher richtig, doch spürte man beim Kosovo-Krieg der NATO mehr als den Hauch eines schlechten Gewissens. Und es gab eine Öffentlichkeit, nicht zuletzt in den Medien, die damit etwas anfangen wollte.

Quelle: der FREITAG   vom 31.10.2011. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

01. November 2011

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