Mohssen Massarrat und Bahman Nirumand kritisieren Bündnis 90/Die Grünen wegen Stellungnahme zu neuem IAEO-Bericht zu IranOFFENER BRIEF an die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen angesichts der Pressemitteilung vom 09.11.2011 ihrer außenpolitischen Sprecherin Kerstin Müller zu dem neuen IAEO-Bericht zu IranVon Mohssen Massarrat und Bahman Nirumand Es ist äußerst befremdlich, dass die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sich in dem aktuellen Konflikt: iranisches Atomprogramm versus israelische Drohung mit Militärschlag so eindeutig parteiisch positioniert. Wir teilen uneingeschränkt die Auffassung, dass jede neue Atommacht eine zu viel ist und dass die Atombombe in der Hand der politischen Führung des Irans das Wettrüsten im Mittleren und Nahen Osten verschärfen und die längst existierende Destabilisierung auf die Spitze treiben würde. Wer aber unterschlägt, dass ein Atomwaffenarsenal in der Hand eines Staates, der seit seiner Gründung seine Nachbarstaaten mit etlichen Kriegen überzogen und bisher auch nicht den Weg gefunden hat, gegen den erklärten Wunsch der Weltgemeinschaft die Besetzung Palästinas aufzugeben, der ist auf einem Auge blind. Und wer wie die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen nur iranische Atombomben verhindern will, der plädiert nicht nur dafür, dass Israel als einziges Land in der Region sein Monopol als Atommacht weiter beibehält, der macht sich gerade deshalb auch für die Weiterverbreitung von Atomwaffen in der Region und darüber hinaus letztlich mit verantwortlich. Und wer wie Netanjahu und Liebermann glaubt, den Menschen in Israel durch militärische Stärke und Atombomben mehr Sicherheit zu gewähren, der setzt die Sicherheit von Israels Bevölkerung am meisten aufs Spiel. Ginge es der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wirklich um die Existenz Israels und um ein friedliches Zusammenleben aller Völker im Mittleren und Nahen Osten, so müsste sie sich für die Massenvernichtungsfreie Zone und für die Idee der Kooperation im Mittleren und Nahen Osten einsetzen und alle Staaten, einschließlich Iran und Israel, auffordern, an dieser Friedensperspektive konstruktiv mitzuarbeiten. Hier sollte sich die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen an einigen wenigen klugen Stimmen aus Israel ein Beispiel nehmen (s. z. B. Hillel Schenker, Haaretz vom 11.11.2011). Die Stellungnahme der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen lässt zudem jene Sachlichkeit und Urteilskraft vermissen, die man von einer Fraktion des deutschen Bundestages eigentlich erwarten kann. Sie übernimmt unkritisch die Aussagen eines propagandistisch aufgeblähten IAEO-Berichtes, dessen Glaubwürdigkeit mehr als zweifelhaft ist:
In der Stellungnahme der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erkennt man, trotz dieser Glaubwürdigkeitslücken des IAEO-Berichtes, nicht einmal die Spur einer Nachdenklichkeit, die gerade in einem Konflikt mit möglicherweise kriegerischen Folgen zwingend geboten wäre. Haben nicht schon einmal die vielen Geheimdienstinformationen die Rechtfertigung für den Irak-Krieg eines George W. Bush geliefert? Hat die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen schon vergessen, wie der ehemalige Verteidigungsminister der USA, Colin Powell, sich vor der Weltöffentlichkeit für seine Lüge entschuldigte, zu der er sich durch Geheimdienstinformationen im UN-Sicherheitsrat hatte hinreißen lassen. Ist ein Irak-Krieg nicht genug im Mittleren und Nahen Osten? Muss ein Iran-Krieg noch dazukommen, um aus der Geschichte zu lernen? Es ist geradezu grotesk, dass man einer Partei, die ursprünglich aus der Friedensbewegung ihre Legitimation bezogen hat, die propagandistisch passend lancierten Rechtfertigungsmechanismen für einen neuen Krieg vor Augen halten muss. Die Warnungen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen an die Adresse der Regierung in Israel vor den "katastrophalen Folgen eines Krieges" laufen ins Leere, wenn diese gleichzeitig für noch härtere Sanktionen gegen den Iran eintritt, die zu nichts anderem taugen, als den Menschen im Iran noch mehr Schaden zuzufügen und den Weg für einen Krieg zu ebnen. Erinnern wir uns: Am Ende der härtesten Sanktionen gegen das Regime von Saddam Hussein in den 1990er Jahren stand der Krieg. Je härter die Sanktionen gegen den Iran werden, desto länger wird die Lebensdauer des antidemokratischen Systems dort. Den Machthabern dieses Systems wird dadurch ein willkommener Vorwand geliefert, um von eigener Korruption und Misswirtschaft, die das Land zugrunde gerichtet haben, abzulenken und - genauso wie Saddam Hussein es während des 10-jährigen Sanktionsregimes getan hat - sich als Retter der Nation in Not hinzustellen. So kann sich das System der Islamischen Republik Iran eine Legitimation verschaffen, die ihm längst abhanden gekommen ist. Man ist gut beraten, endlich mit einer Politik des double standard aufzuhören. Andernfalls bastelt man bewusst oder unbewusst an einer Politik, die unweigerlich in einen neuen Krieg im Mittleren und Nahen Osten, diesmal gegen den Iran, führt, der in der gesamten Region, einschließlich Israel, einen Flächenbrand auslösen würde. Berlin, 12. November 2011 Weblink:
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