Atomausstieg? Nein: Verlängerung der Betriebsdauer!Von Wolfgang Lieb Deutschland ist weder im Jahr 2000 noch im Jahr 2011 aus der Atomenergie ausgestiegen, sondern schon vor der Katastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986.
Der Ausstieg ist vor allem ein Erfolg der Anti-Atomkraft-Bewegung und ihrer Massendemonstrationen in den 1970er und 1980er Jahren. Die SPD/FDP-Bundesregierung sah bis 1985 den Bau von 50 AKW vor. Insgesamt sollten es mindestens 90 werden. Es wurden 17. Der energische Widerstand gegen AKW verhinderte den Bau von mehr als 70 AKW (Ditfurth 2011, 46 f.). Atomausstieg? Nein: Verlängerung der Betriebsdauer!These 1 der Schrift von Rainer Roth und Jens Wernicke mit dem Titel "Der Kernschmelze Keine Chance" [PDF - 873 KB]. Dieses Bändchen, das bei KLARtext e.V. erschien, kann gegen eine Spende von mindestens 3 Euro zzg. Porto hier bestellt werden.Angeblich wurde mit dem Atomkonsens I im Jahr 2000 der Ausstieg aus der Atomstromproduktion beschlossen. Mit dem Atomkonsens I "respektieren die EVU (Energieversorgungs-Unternehmen) die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus der Kernenergie geordnet beenden zu wollen" (Becker 2011, 349). In Wirklichkeit handelt es sich um den Konsens, den bereits ein Vierteljahrhundert vorher gegen die Atomkonzerne durchgesetzten und von ihnen vollstreckten Ausstieg möglichst lange hinauszuzögern. "Atomkraftwerke (waren) anfangs nur für 25 Jahre Betrieb ausgelegt. Seit über einem Jahrzehnt ist kein neues Atomkraftwerk mehr ans Netz gegangen. Das heißt, die Atomkraftwerke laufen länger als ursprünglich geplant, und das wird uns als Ausstieg verkauft. Wir werden arglistig getäuscht." (Holger Strohm, ‘Die stille Katastrophe’, Frankfurt 1999, 2; vgl. auch Ditfurth 2011, 47) Das letzte AKW hätte eigentlich nach 25 Jahren Betriebsdauer 2014 abgeschaltet werden müssen. Im Atomkonsens I aus dem Jahr 2000 jedoch sollte Neckarwestheim 2 als letztes AKW nach 33 Jahren Betriebsdauer erst 2022 vom Netz. Die Schröder/Fischer-Regierung gestand allerdings gleichzeitig eine sogenannte Reststrommenge von 2.623 TW Atomstrom zu, die der von 1968 bis 2000 insgesamt produzierten Menge an Atomstrom entsprach. Die Laufzeit sollte damit erst nach Erzeugung der Reststrommenge beendet sein. Da darüber hinaus die Übertragung von Reststrommengen auf andere AKW ermöglicht wurde, wäre das letzte AKW vielleicht erst 2035 vom Netz gegangen. Der Atomkonsens I kannte faktisch keine Begrenzung der Betriebsdauer und erlaubte die Verlängerung der Laufzeiten auf mindestens 35 bis weit über 40 Jahre. Schröder (SPD) und Trittin (Grüne) zeigten sich gegenüber den Atomkonzernen willfährig. 2002 wurde das Atomgesetz gemäß dem Atomkonsens geändert. SPD und Grüne verkauften die erhebliche Ausdehnung der Betriebsdauer als grün-roten Atomausstieg. Atomparteien stellten sich als Anti-Atomparteien hin. Je älter die Reaktoren sind, desto häufiger kommt es zu Stillstandzeiten. Je älter die Reaktoren sind, desto zahlreicher werden die Störfälle und desto häufiger kommt es in deren Rahmen zu Austritten von Radioaktivität. Auch die Gefahr einer Kernschmelze steigt. Aus Perspektive der Atomkonzerne ist die "Gefahr" jedoch eine ganz andere: Sie betrachten jede Stilllegung zu einem früheren als dem längst möglichen Zeitpunkt (zurecht) als Vernichtung ihres investierten Kapitals. Ralf Güldner, heute stellvertretender Geschäftsführer der Eon Kernkraft GmbH, setzte sich beispielweise 2003 als Vorsitzender der Kerntechnischen Gesellschaft für die Verlängerung der Betriebsdauer von AKW auf bis zu 60 Jahre ein. (PM vom 14.10.2003) Der Atomkonsens I kam den Interessen der Atomkonzerne also nicht weit genug entgegen. Deswegen versprach die CDU/FDP-Bundesregierung schon in ihrer Koalitionsvereinbarung 2009 eine weitere Laufzeitverlängerung. Sie ließ zuerst eine Verlängerung auf 50 bis 60 Jahre prüfen - und brachte schließlich im Oktober 2010 mittels des "Atomkonsens II" eine Verlängerung der von Rot-Grün vereinbarten offiziellen Laufzeiten um weitere 8 bis 14 Jahre durch den Bundestag. Die zulässige Betriebsdauer stieg auf bis zu 50 Jahr. Das bedeutete eine Verdoppelung der ursprünglichen Vorgaben aus den 1980er Jahren. Die Stilllegungen sollten nicht 2011/2012, sondern erst 2018 beginnen und 2035 abgeschlossen sein. Mit Blick auf die "Standortkonkurrenz" eine folgerichtige Entscheidung: Schließlich wollten die Atomkonzerne mit den US-Betreibern annähernd gleichziehen, deren auslaufende Lizenzen von der Nuclaer Regulatory Commission auf 60 Jahre Betriebszeit verlängert worden waren, bis Juli 2011 bei 66 Reaktoren. Weitere Verlängerungen wurden nicht ausgeschlossen. Die vier Atomkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnbW und ihre Bundesregierung haben ihre Rechnung jedoch ohne das Volk gemacht. Nach den Kernschmelzen in Fukushima, deren Reaktoren wie überall auch hier als sicher verkauft wurden, gingen Hunderttausende für einen sofortigen Atomausstieg auf die Straße. CDU und FDP verzeichneten massive Verluste bei den Landtagswahlen, die Grünen erhebliche Zuwächse. Die Mehrheit der Bevölkerung war und ist für einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. Das bedeutete für die Stromriesen einen schweren Schlag und ließ Merkel eine Rolle rückwärts drehen. Der Atomkonsens II wurde aufgehoben. Wie schon 2002 beschlossen, gehen sieben Meiler plus der seit vier Jahren funktionsunfähige Pannenreaktor Krümmel nun 2011 vom Netz. Die durchschnittliche Laufzeit der verbleibenden 9 AKW wird gegenüber dem Atomkonsens I jedoch um zwei Jahre verlängert. Nach wie vor gibt es zudem Reststrommengen, die von stillgelegten Reaktoren auf laufende Reaktoren übertragen werden können. Die Stilllegungsdaten der einzelnen AKW sollen aber diesmal endgültig sein. Die alten Reststrommengen gelten zwar weiter, die Betriebsgenehmigung erlischt jedoch zu einem festgesetzten Zeitpunkt, auch wenn die zugestandenen Strommengen nicht voll ausgeschöpft wurden. So der § 7 Abs. 1a des neuen Atomgesetzes vom 6.8.2011, quasi der Atomkonsens III. Der letzte Reaktor soll wieder 2022 vom Netz, wie bereits 2000 geplant. Wie man jedoch weiß, können Gesetze geändert werden. Die Atomkonzerne versuchen, die Begrenzung der Laufzeit mit Klagen zu kippen. Sie argumentieren, dass die Reststrommengen ein Eigentumsrecht darstellen, das nicht verletzt werden dürfe. Der Bundestag hat es abgelehnt, den Zeitpunkt der Stilllegung im Grundgesetz zu verankern. Der Beschluss ist also nicht unumkehrbar. Der Ausstieg aus dem sogenannten Ausstieg bleibt weiterhin möglich. Merkels Rückzug stellt daher eine Mogelpackung dar: Dem Atomkonsens III kann ein Atomkonsens IV usw. folgen, um schließlich vielleicht doch noch die US-Betreiber in Bezug auf die Laufzeiten und auf Kapitalausbeute zu überflügeln… Dabei gilt, dass auch der jetzige Rückzug der Regierung gegenüber den ursprünglich auf eine Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegten AKW eine deutliche Verlängerung bedeutet. Sie werden, wenn dieses Atomgesetz Bestand haben sollte, zwischen 33 und 40 Jahre Laufzeit erreichen. Umweltminister Röttgen (CDU) nannte den Rückzug der Bundesregierung ein "nationales Gemeinschaftswerk". Wir stellen demgegenüber fest: Wir haben kein Interesse, die Verlängerung der Betriebsdauer von AKW als "nationale Aufgabe" zu betrachten. Wir haben kein Interesse, die "Standortkonkurrenz" der kapitalistischen Nationalstaaten um maximale Profitabschöpfung zu Gemeininteressen verklären zu lassen. Das Werk auch dieser Bundesregierung liegt ausschließlich im Interesse der Stromkonzerne. Ginge es nach dem Allgemeininteresse, müssten die AKW schon längst abgeschaltet sein. Sofortige Abschaltung aller AKW in Deutschland, Quelle: NachDenkSeiten - 15. November 2011. Dieser Text ist für nichtkommerzielle Zwecke nutzbar, wenn die Quelle genannt wird. Er steht unter Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial . FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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