Überraschende Standortschließung: Fast niemand hat mit dem Aus der Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen gerechnetVon Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 71 vom Dezember 2011) Da waren sie sich doch so sicher gewesen, dass ausgerechnet die Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen erhalten bleiben würde, die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker aus unserer Region rund um Sigmaringen. Als Argumente hatte man die strukturschwache Region, das gute Verhältnis zwischen Bürgerschaft bzw. Politik und Soldaten sowie die Tradition des Gedenkens an Graf Stauffenberg für den Erhalt des Standorts angeführt. Und dann das: Als Bundesverteidigungsminister de Maizière Ende Oktober seine Liste mit den zu schließenden Standorten bekannt machte, war auch die Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen dabei. Zumindest der veröffentlichten Meinung lässt sich entnehmen, dass diese Nachricht in unserem Raum überwiegend große Bestürzung ausgelöst hat. "Mehr Gefühl, Herr Minister!"Unter dieser Überschrift schreibt die verantwortliche Redakteurin eines Lokalblatts in einem trotzig-beleidigten Kurzkommentar: Ein anderer Kommentator hat sich den CDU-Bundestagsabgeordneten unseres Wahlkreises, Thomas Bareiß, als großen Verlierer ausgeguckt. Bareiß habe Sigmaringen Hoffnung auf den Standorterhalt gemacht. Nun müsse er "die Entscheidung als persönliche Niederlage verbuchen. Trotz der Aufstockung in Stetten gehen in seinem Wahlkreis 2350 Dienstposten verloren. Jede vierte Stelle in Baden-Württemberg ist in seinem Gebiet gestrichen worden. Bareiß muss sich fragen, wie groß seine Hausmacht in Berlin ist." Und die CDU müsse sich fragen, "wie sie mit ihrer in diesem Landstrich treuen Wählerschaft umgeht." (Michael Hescheler, in: Schwäbische Zeitung Sigmaringen vom 26.10.2011) Also da hat die CDU in unserer Region seit Jahrzehnten immer satte Wahlergebnisse eingefahren und nun zum Dank das! Unbegreiflich, dass sich ein CDU-Verteidigungsminister so etwas Undankbares getraut, scheint der Kommentator zu meinen. Schon diese wenigen Zeilen zeigen die große Enttäuschung über die Entscheidung de Maizières zur Schließung des Standorts Sigmaringen. Aber während die einen ihre Enttäuschung in Schuldzuweisungen einmünden lassen, macht ein anderer den überzeugten Standortanhängern Hoffnung, die Entscheidung könne wieder rückgängig gemacht werden. Ganz im Jargon eines Soldaten äußert der General a.D. Wolfgang Kopp den Gedanken, eine Schlacht sei zwar verloren, aber nicht der Krieg. Sigmaringen müsse sich ein Beispiel an Stetten am kalten Markt nehmen, das jetzt eine Aufstockung der Truppenstärke erreicht habe und weiterkämpfen. "2013 ist Wahl, der Wind kann sich schnell drehen", sagt Kopp. (Schwäbische Zeitung, 26.10.2011) Der Ex-General verliert allerdings aus den Augen, dass es hier um eine bloße Standortschließung geht und um keinen Krieg. Und auch die anderen Anhänger des Sigmaringer Standorts können die Borniertheit ihres Blickfeldes nicht verbergen. Denn es war ja klar, dass mit der sogenannten Bundeswehrreform unter anderem eine Reduzierung der Standorte verbunden sein würde. Deshalb wären die Politiker der jeweiligen Regionen klug beraten gewesen, sich frühzeitig nach zivilen Alternativen umzuschauen. Das ist offensichtlich nur in den seltensten Fällen geschehen. Wer das aber versäumt und die Chance auf Entmilitarisierung und Standortkonversion ungenutzt hat verstreichen lassen, wer stattdessen weiter voll aufs Militär gesetzt hat, steht nun mit leeren Händen da. So etwa Sigmaringen, wo es offensichtlich nicht einmal ansatzweise so etwas wie einen Plan B gibt. Geschweige denn, dass eine Standortschließung gar aktiv zugunsten einer Umwandlung in ein ziviles Projekt vorangetrieben worden wäre, wie etwa in Immendingen an der Donau. Der Kommentator der konservativen FAZ beschreibt diese Haltung und was daraus folgt, recht treffend. Es seien nun "die Regionalpolitiker zwischen Sigmaringen und Alt-Duvenstedt, die das Geheule als drohende Hintergrundmusik für ihre Kompensationsforderungen einsetzen. Sie haben sich immer schon herzlich wenig für die Fortschritte der Weltfriedensordnung interessiert, verwechselten die Bundeswehr stattdessen mit einer Art Beschäftigungsgesellschaft für strukturschwache Regionen mit beträchtlicher Hebelwirkung: Denn der Steuerzahler ernährt nicht nur die Soldaten, sondern indirekt auch Bäcker, Metzger, Kneipen und viele andere Gewerke in der Umgebung des Militärstandortes." (Rainer Hank, FAZ vom 30.10.2011) Bundeswehr: Keine Einrichtung zur regionalen Wirtschaftsförderung sondern zur Durchsetzung "nationaler Interessen"Mit dem von de Maizière vorgestellten Stationierungskonzept wird nur die seit langem betriebene Umwandlung der Truppe weg von einer Verteidigungsarmee hin zu einer Interventionstruppe fortgeführt, die potentiell jederzeit und an jedem Ort dieser Erde einsetzbar ist. Die Zahl der Soldaten, die für einen längeren Auslandseinsatz zur Verfügung stehen, soll von bisher etwa 7.000 auf mehr als 10.000 erhöht werden. Dafür werden insgesamt deutlich weniger Soldaten und folglich auch weniger Standorte benötigt. Eingesetzt wird die Bundeswehr, wenn "nationale Interessen" das gebieten. Es ist also weder der "Katastrophenschutz", den etwa die Ministerpräsidenten Brandenburgs und Sachsen-Anhalts anführten, um bestimmte Standorte zu erhalten, noch die Überlegung, strukturschwache Regionen zu "schonen", wie es vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann gefordert wurde. Nein, die Zielvorgabe, die hinter den Standortschließungen steht, lautet: die Bundeswehr für Auslandseinsätze schlagkräftiger zu machen. Die Truppe soll einsatzfähig sein, wenn die "nationalen Interessen" es gebieten. Diese "nationale Interessen" wiederum sind ganz maßgeblich wirtschaftlicher Art. Laut den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2011 gehört zu den deutschen Interessen, "einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen." Die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" vom 27. Mai 2011 können hier heruntergeladen werden: "Verteidigungspolitische Richtlinien" (PDF-Datei, 55 KB). Die vorgegebene Richtung führt uns also immer tiefer hinein in die neue Weltkriegsordnung, mit der das weltweite Ungleichgewicht zum Vorteil der reichen Länder aufrecht erhalten werden soll. Für solche Zwecke werden die Transportkapazitäten und die "Verlegefähigkeit" der Truppen sowie die Bewaffnung und das Training zur effektiveren Niederschlagung von Aufständen oder zu deren Unterstützung ausgebaut. Standorte werden also geschlossen, weil sie für eine weltweit agierende Interventionsarmee nicht erforderlich bzw. im Gegenteil, dafür gar hinderlich sind. Weil sie die Bundeswehr als wichtigsten und unverzichtbaren Wirtschaftsfaktor des Landkreises Sigmaringen ansehen, haben sich die Politiker unserer Region um solche Hintergründe und Zusammenhänge wenig bis gar nicht geschert. Im Wettstreit mit anderen Standortregionen wurde gar betont: "Die Bundeswehr ist im Landkreis Sigmaringen seit über 50 Jahren tief in der Bevölkerung verwurzelt. Der Landkreis ist Soldatenheimat und die Menschen stehen hinter der Bundeswehr und ihrem Auftrag - gerade auch in Zeiten von Auslandseinsätzen, die anderswo kritisch gesehen werden." So der Kreistag des Landkreises Sigmaringen in einer einstimmig über alle Parteigrenzen hinweg verabschiedeten Resolution im vergangenen Jahr (siehe ausführlich hierzu Lebenshaus-Rundbrief Nr. 67, Dezember 2010siehe "Wird die Chance auf Umwandlung von Militärstandorten erneut verspielt?" ). "Patenschaften" erweisen sich als Fehlschlag"Das enge Verhältnis zwischen Politik und Bundeswehr kommt in den lebendigen Patenschaften zum Ausdruck", betonte der Sigmaringer Kreistag ebenfalls. In den vergangenen Jahren waren verschiedene Gemeinden des Landkreises sogenannte "Patenschaften" mit Einheiten der Bundeswehr aus Sigmaringen eingegangen, so auch die Stadt Gammertingen. Natürlich stellten wir mit unserer Kritik an der "Bundeswehrpatenschaft" der Stadt Gammertingen einen Störfaktor dar. Zumal wir auch noch eine unmittelbare Unterstützung des Afghanistan-Krieges aus der Tatsache ableiteten, dass der Gammertinger Bürgermeister Jerg sich daran beteiligte, Soldaten in den Kriegseinsatz am Hindukusch zu verabschieden. Bekanntlich hat das Stadtoberhaupt von Gammertingen den Dialog mit seinen Kritikern verweigert und stattdessen deren unerbittliche Bekämpfung vorgezogen - und dabei selbst vor Kriminalisierung und nachhaltigem Einsatz für eine Hausdurchsuchung im Lebenshaus nicht zurückgeschreckt.Siehe zur Hausdurchsuchung und deren Rechtswidrigkeit "Hausdurchsuchung bei Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. nach Protest gegen ‘Bundeswehrpatenschaft’ war rechtswidrig" ; siehe ebenfalls Übersichtseite "Protest gegen Unterstützung des Afghanistan-Krieges und andere Auslandseinsätze der Bundeswehr durch ‘Patenschaften’" . Das Klima ist vergiftet. Von einem "friedlichen Umfeld", wie es in einem oben angeführten Zitat für die Soldaten reklamiert wird, kann für Kritiker der "Bundeswehrpatenschaft" jedenfalls keine Rede sein. Ist es nicht geradezu eine Ironie der Geschichte, dass sich der Ansatz, unter anderem mittels "Patenschaften" den Bundeswehrstandort Sigmaringen zu erhalten, als völliger Fehlschlag erweist? Denn das Führungsunterstützungsbataillon 291, zu dessen 4. Kompanie die Stadt Gammertingen eine "Patenschaft" einging, wird vollständig aufgelöst. Damit geht dann folgerichtig nicht nur dieses Bündnis zu Ende. Es zeigt sich vielmehr, dass es sinnvoll gewesen wäre, wenn sich unsere Lokalpolitiker frühzeitig für zivile Alternativen und Standortkonversion eingesetzt hätten, wie von uns vorgeschlagen. Ob sich Herr Bürgermeister Jerg jetzt darauf besinnt, dass endlich das Gespräch mit Kritikern der "Patenschaft" angesagt wäre? Eine Entschuldigung würde ebenfalls zu einer Entgiftung des Klimas beitragen. Fazit"Die Frage von Standortschließungen steht spätestens seit 1990 immer wieder auf der Tagesordnung. Deshalb hätten Politiker längst ihre Hausaufgaben machen und sich für eine Umwandlung von Standorten in zukunftsfähige zivile Wirtschaftszweige und Arbeitsplätze einsetzen müssen. Auch wenn es sich aufgrund der gesamtpolitischen Entscheidungen für eine schlagkräftigere Bundeswehr nicht um Abrüstung handelt, so ist es mit Blick auf Gewaltverzicht und zivile Konfliktbearbeitung ein Jammerspiel, wie in unserer Region die Chance auf Standortkonversion erneut droht, verspielt zu werden. Es sei denn, dass der Bundesverteidigungsminister auch Standorte im Kreis Sigmaringen auf seine Streichliste nimmt. Dann wird das Erwachen groß sein aber nichts anderes übrig bleiben, als sich notgedrungen diesem Problem zu stellen. Bis dahin gilt für die verantwortlichen Politiker offensichtlich der Stoßseufzer: ‚Oh heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd andere an.’" (Michael Schmid, in: Lebenshaus-Rundbrief 67, Dezember 2010 siehe "Wird die Chance auf Umwandlung von Militärstandorten erneut verspielt?" ). Obiges Zitat war das Fazit meines Rundbriefartikels vor einem Jahr, das nun eine erstaunliche Aktualität erlangt hat, nachdem der Heilige den Landkreis Sigmaringen nicht verschont hat. Und nun müssen sich die in dieser Hinsicht selbstverschuldet völlig unbeleckten Regionalpolitiker zwangsläufig mit dem Thema Konversion beschäftigen. Das ist gut so! Über diesen regionalen Aspekt hinaus betrifft uns die Bundeswehrreform aber alle. Denn hier werden Wirtschaftskriege und völkerrechtswidrige Interventionen in fremden Ländern vorbereitet! Diese sind nicht nur moralisch nicht zu rechtfertigen, sondern verstoßen gegen unser Grundgesetz ebenso wie die Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandseinsätze insgesamt. "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf" (Art. 87a) lautet der einschlägige Grundgesetzartikel immer noch. Wer bisher der grundgesetzkonformen Meinung war, die Bundeswehr zur "Verteidigung" zu benötigen, muss sich spätestens dann für deren Auflösung einsetzen, wenn sie für diesen Zweck nicht mehr benötigt wird. Er darf sie aber nicht in eine Angriffsarmee umwandeln oder diesen Kurs unterstützen. Jetzt spätestens müsste der Zeitpunkt gekommen sein, um das "Frieden schaffen ohne Waffen" aus der Friedensbewegung zu unterstützen. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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