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Die Lizenz zum Angriff im Netz

Von Otfried Nassauer

Ein Krieg via Internet wird wahrscheinlicher. Der amerikanische Kongress hat den Präsidenten der USA per Gesetz ermächtigt, "offensive Cyber-Operationen" durch das Verteidigungsministerium durchführen zu lassen, um "unsere Nation, Alliierte und Interessen" zu verteidigen. Für die offensive Kriegführung im Netz sollen - so das Gesetz - "die gleichen politischen Richtlinien und rechtlichen Regime" gelten, die das Pentagon in einem Krieg mit "kinetischen Fähigkeiten" befolgen muss. Also in einem konventionellen Krieg mit Bomben und Granaten. Zum Beispiel das Kriegsvölkerrecht. Die Autorisierung ist Teil des Gesetzes über den Verteidigungshaushalt 2012. Nach monatelanger Diskussion wurde es kurz vor Weihnachten verabschiedet und dem Präsidenten zur Unterzeichnung zugeleitet. Dieser unterschrieb es am 31.12.2012.

Die Entscheidung im Kongress kann zur Folge haben, dass die europäischen NATO-Staaten unter Zugzwang geraten. Die Allianz hat den Krieg im Netz zwar vor einem Jahr während ihres Lissabonner Gipfels erstmals in ihren erweiterten Aufgabenkatalog aufgenommen. Doch die Vorzeichen waren bislang eher defensiver Natur. Die NATO arbeitet vor allem daran, Gefahren für die Computernetze der Mitgliedsstaaten schneller zu erkennen und diese Netze besser gegen Angriffe zu verteidigen. Cyberangriffe auf fremde Staaten oder deren IT-Infrastruktur sind bislang nicht Aufgabe der NATO. Auch ein Vorstoß von NATO-Generalsekretär Rasmussen, Angriffe aus dem Netz mit Angriffen auf das Territorium der NATO-Mitglieder gleichzusetzen, wurde im vergangenen Jahr noch abgeblockt. Es sei politisch und rechtlich zu riskant, den Bündnisfall auch dann auszulösen, wenn man die Angreifer gar nicht sicher identifizieren könne oder diese gar keine staatlichen Akteure seien. So lauteten zwei der Gegenargumente. Statt der Ausrufung des Bündnisfalls sollen nun im Falle eines solchen Angriffs zunächst Konsultationen nach Artikel IV des NATO-Vertrages stattfinden, wenn dies ein Mitgliedsstaat wünscht. Nun könnten jedoch auch in der NATO weitergehende Schritten gefordert werden: Die USA sind das gewichtigste Bündnismitglied. Was ihre nationale Strategie erlaubt, wird die NATO-Strategie kaum auf Dauer verbieten können.

Der U.S.-Kongress erläuterte seine Entscheidung, militärische Cyberangriffe zu ermöglichen mit einer pikanten "erklärenden Notiz": In manchen Fällen seien Internetangriffe der "effektivste Weg", um eine Bedrohung zu bekämpfen. Dies schließe Situationen ein, "in denen die Rolle der U.S.-Regierung nicht sichtbar" ist "oder nicht offiziell zugegeben werden soll." Militärische Cyberangriffe, die geheim durchgeführt werden, sind also ebenfalls nicht ausgeschlossen.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: BITS - 12.01.2012. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer.

Quellen-Anhang:

Die Section 954 des National Defense Authorization Act for FY 2012 (HR 1540) aus dem Dezember 2011 lautet im Wortlaut:

"SEC. 954. MILITARY ACTIVITIES IN CYBERSPACE.

Congress affirms that the Department of Defense has the capability, and upon direction by the President may conduct offensive operations in cyberspace to defend our Nation, Allies and interests, subject to-
(1) the policy principles and legal regimes that the Department follows for kinetic capabilities, including the law of armed conflict; and

the War Powers Resolution (50 U.S.C. 1541 et seq.)."

Die "explanatory note" dazu:

"Military activities in cyberspace (sec. 954)
The House bill contained a provision (sec. 962) that would clarify that the Secretary of Defense has the authority to conduct clandestine cyberspace activities in support of military operations pursuant to the Authorization for the Use of Military Force (Public Law 107-40; title 50 United States Code, section 1541 note) outside of the United States or to defend against a cyber attack on an asset of the Department of Defense. The Senate amendment contained no similar provision. The Senate recedes with an amendment.

The conferees recognize that because of the evolving nature of cyber warfare, there is a lack of historical precedent for what constitutes traditional military activities in relation to cyber operations and that it is necessary to affirm that such operations may be conducted pursuant to the same policy, principles, and legal regimes that pertain to kinetic capabilities.

The conferees also recognize that in certain instances, the most effective way to deal with threats and protect U.S. and coalition forces is to undertake offensive military cyber activities, including where the role of the United States Government is not apparent or to be acknowledged. The conferees stress that, as with any use of force, the War Powers Resolution may apply."

Die verabschiedete Gesetzespassage in HR 1540 geht über den ursprünglichen Vorschlag des Repräsentantenhauses deutlich hinaus. Dieser lautete:

"SEC. 962. MILITARY ACTIVITIES IN CYBERSPACE.

(a) AFFIRMATION.-Congress affirms that the Secretary of Defense is authorized to conduct military activities in cyberspace.
(b) AUTHORITY DESCRIBED.-The authority referred to in subsection (a) includes the authority to carry out a clandestine operation in cyberspace

in support of a military operation pursuant to the Authorization for Use of Military Force (50 U.S.C. 1541 note; Public Law 107-40) against a target located outside of the United States; or
(2) to defend against a cyber attack against an asset of the Department of Defense.

Der Senat legte zunächst keinen eigenen gesetzgeberischen Vorschlag zu diesem Thema vor, forderte aber Abänderungen an dem Vorschlag des Repräsentantenhauses, damit dieser zustimmungsfähig werde.

Veröffentlicht am

13. Januar 2012

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