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Sudan: Probleme nicht militärisch lösen

Gemeinsame Stellungnahme der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Niema Movassat, Kathrin Vogler

Einleitung

Im November 2010 sind wir in den Sudan gereist, um uns ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Der Zeitpunkt war gezielt gewählt, mitten in den Vorbereitungen für das Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans, das am 9. Januar 2011 stattgefunden hat.

Mit diesem Referendum sollten die Weichen für die kommenden Jahre gestellt werden und der CPA-Prozess seinem Ende entgegen gehen. Das CPA (Comprehensive Peace Agreement) beendete 2005 den Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südsudan und setzte damals unter anderem den Rahmen für einen Friedensprozess, die Wiedereingliederung der bewaffneten Kämpfer und die Aufteilung der Ressourcen zwischen Nord und Süd.

In den kommenden Monaten stehen uns die Gründung des neuen Staates Südsudan, sowie die Entscheidung über die Verlängerung des UNMIS-Mandates bevor - und auch über eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr. Unsere Erfahrungen wollen wir für diese Debatte zu Verfügung stellen.

Der umfassende Bericht über die Reise, der neben Bewertungen der Lage auch Aussicht für die Zukunft gibt, sowie viele Fotos beinhaltet, kann hier heruntergeladen werden:

Im Folgenden dokumentieren wir das gemeinsame Fazit, das dem Reisebericht von Jan van Aken, Christine Buchholz, Niema Movassat und Kathrin Vogler entnommen ist.

Gemeinsames Fazit: Probleme nicht militärisch lösen

Von Jan van Aken, Christine Buchholz, Niema Movassat, Kathrin Vogler

Das Referendum

Im Januar haben 97 Prozent der Menschen im Südsudan für eine Abtrennung des Südens gestimmt. Dies spiegelt auch die Stimmung wieder, die wir vor Ort angetroffen hatten: Die überwältigende Mehrheit der Menschen im Süden verbindet mit einem eigenen Staat Südsudan enorme Hoffnungen. Da das CPA und damit auch das Referendum von beiden Seiten ausgehandelt wurde, ist die Abtrennung des Südens kein einseitiger Schritt und ist damit auch völkerrechtlich abgesichert.

Die wirtschaftliche Situation im Süden ist katastrophal. Fünf Jahre nach dem CPA sind weiter bis zu 40% der Menschen im Südsudan von den Nahrungsmittelhilfen der UN abhängig. Das gesamte Land ist von ökonomischen, sozialen und ethnischen Konflikten gebeutelt. Die Zentralregierung in Khartum hat über viele Jahre die Bevölkerung in der Peripherie und die ländliche Entwicklung massiv vernachlässigt. Mit der Abtrennung des Südsudan werden diese Probleme nicht überwunden, sondern sie werden - in Nord und Süd - weiter bestehen.

Der Nord-Süd Konflikt

Es ist eher unwahrscheinlich, dass es zu einem neuen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd kommt. Zwar gibt es noch eine Reihe von Konfliktfeldern, zum Beispiel den Grenzverlauf, die Ressourcenteilung und die Schuldenfrage, die jedoch alle lösbar erscheinen.

Vor allem in der Ölregion Abyei ist der künftige Grenzverlauf noch offen. Die Gefahr besteht, dass bestehende Konflikte um Weiderechte und Wasserzugang zwischen Stämmen eine Eigendynamik entfalten oder im Kampf um politischen und wirtschaftlichen Einfluss instrumentalisiert werden, um die Grenzziehung zu beeinflussen. Wenn es nicht zu einem zwischenstaatlichen Krieg kommt, könnte es lokal zu blutigen Stellvertreterauseinandersetzungen kommen.

Der Süden verfügt über einen Großteil des Öls, während die gesamte Infrastruktur (Pipelines, Raffinerien) im Norden liegt. Insofern haben beide Seiten ein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung. Unter dem CPA werden die Einnahmen zurzeit Halbe-Halbe geteilt.

Die Frage, wer die immensen Schulden des Sudans übernimmt, lässt sich nur durch einen internationalen Schuldenerlass lösen - hier sind die internationalen Geldgeber dringend gefordert, einen Stolperstein für den Frieden zwischen Nord und Süd aus dem Weg zu räumen.

Weitere Separations-Bestrebungen und Repressionen im Norden

Obwohl separatistische Ambitionen der Rebellen in Darfur von unseren Gesprächspartnern zumeist verneint wurden, sind sie nicht ausgeschlossen. Vor allem befürchtet man, dass im Falle der Abtrennung des Südens die Rebellen in Darfur sich mit der SPLA im Süden verständigen und einen Zweifrontenkrieg gegen Khartum beginnen könnten. Auch im Osten des Sudan könnten separatistische Bestrebungen wieder aufflammen und z.B. auf Äthiopien und Kenia übergreifen.

Nach einer Abspaltung des Südens könnte die Repression gegenüber Linken und Oppositionellen im Norden stark zunehmen. Freiräume für die Zivilgesellschaft, für freie Medien und Kultur drohen zu schwinden.

Gewalt-Eskalation innerhalb des Südens

Die Gesellschaft im Süden ist stark entlang von Stammeslinien strukturiert, Patronage ist an der Tagesordnung. Mit dem Wegfall der Klammer des gemeinsamen Gegners im Norden besteht die Gefahr, dass Verteilungskonflikte, besonders angesichts der weiten Verbreitung von Waffen, innerhalb des Südens paramilitärisch ausgetragen werden.

Patriarchalische Herrschaftsstrukturen und Traditionen wie das Brautpreissystem behindern nicht nur die Einbeziehung von Frauen in den Friedensprozess und in die wirtschaftliche Entwicklung, sondern führen unmittelbar selbst zu Konflikten, Entführungen und Gewalt.

Das Gewaltpotential im Südsudan ist extrem hoch. Gewalterfahrung und Traumatisierung, das Fortbestehen der Milizen in ihrer Stammesstruktur, wenn auch unter dem Dach der SPLA, eine schleppende Entwaffnung und Reintegration der Kämpfer sowie das Fehlen von zivilen Einkommensquellen können eine explosive Mischung ausmachen. Die Versuche zur Entwaffnung der Milizen im Rahmen des CPA müssen als gescheitert betrachtet werden.

Staatliche Institutionen sind vor allem in der Fläche kaum vorhanden und ohne ausländische Unterstützung nicht überlebensfähig, da ein großer Teil der Staatseinnahmen in einem unproduktiven Sicherheitssektor gebunden ist, der zudem selbst Sicherheitsrisiken erzeugt. Damit wächst die Gefahr der Einflussnahme durch und Abhängigkeit von Dritten.

Massive Hilfe wird weiter nötig sein in einem Land, in dem die Wahrscheinlichkeit für ein 15-jähriges Mädchen höher ist, bei der Geburt ihres Kindes zu sterben, als die Grundschule zu absolvieren.

Die Euphorie über das gelungene Referendum und die bevorstehende Trennung von Norden sind mittlerweil von massiven Kämpfen überschattet. Kurz nach dem Referendum brachen, wie befürchtet, Kämpfe zwischen oppositionelle Milizen und der SPLA, innerhalb der Joint Integrated Units, zwischen ethnischen Gruppen und zwischen ansässigen Bauern und Nomaden mit Viehbesitz aus.

UN-Militärmissionen

Unsere Skepsis gegenüber dem massiven Einsatz der UN und der internationalen Geber hat sich nicht vermindert. Die von der UN geleistete humanitäre Hilfe ist momentan unverzichtbar. Auch viele Aspekte des zivilen Teils der UNMIS im Süden sind sehr sinnvoll, zum Beispiel die Minenräumung oder die Bereitstellung der Infrastruktur für das Referendum.

Wir lehnen aber den militärischen Teil der UN-Mission (sowohl UNMIS im Süden als auch UNAMID in Darfur) ab. Keiner der möglichen gewalttätigen Konflikte im Sudan sind einer militärischen Bearbeitung zugänglich - im Gegenteil behindert der Fokus auf das militärische eine wirkliche Lösung der Konflikte. So stehen Ansätze zur zivilen Konfliktbearbeitung und der Aufbau nachhaltiger Entwicklungsmöglichkeiten hinter den Prioritäten Sicherheit und Governance zurück. Beispielsweise stellt der DED den Zivilen Friedensdienst im Südsudan zum 1.1.2011 ein - und das, obwohl hier seit Jahren sehr wertvolle Arbeit zur friedlichen Bearbeitung von Konflikten geleistet wurde.

Die meisten Bundeswehrsoldaten, die für UNMIS arbeiten, sind unbewaffnete Militärbeobachter. D.h. sie berichten Sicherheitsvorfälle an die Stellen, die sich dann mit der Konfliktbearbeitung befassen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Beobachterarbeit von Soldaten durchgeführt wird. Hilfsorganisationen und MenschenrechtsaktivistInnen berichten, dass sie sich ohne militärische Begleitung sehr viel sicherer und freier im Land bewegen können als mit. Die Übernahme von zivilen Aufgaben durch Militärs behindert den nachhaltigen Aufbau ziviler Strukturen.

In Darfur übernimmt ein riesiger Militärapparat inzwischen Aufgaben von humanitären und entwicklungspolitischen Organisationen, was von diesen scharf kritisiert wird, da sie nicht vom Militär vereinnahmt werden wollen.

Eine Folgemission von UNMIS wird derzeit bei den Vereinten Nationen beraten und könnte zum Juli auch im deutschen Bundestag vorgelegt werden.

Interesse des Westens an einer Abtrennung

Während der letzten fünf Jahre baute der Südsudan mit Unterstützung vor allem westlicher Länder, auch Deutschlands, staatliche Strukturen und Institutionen auf, während der Norden des Landes international weitgehend isoliert wurde. Die Umsetzung des CPA wurde nur halbherzig unterstützt, so dass eine ernsthafte Entwaffnung nie stattgefunden hat und die demokratische Transformation nicht einmal in Ansätzen verwirklicht ist. Die USA haben von Anfang an auf eine Abtrennung des Südens gesetzt, um einerseits den muslimischen Norden zu schwächen und andererseits einen besseren Zugriff auf die Ressourcen des Südens zu haben.

Bereits jetzt stehen ausländische Investoren in den Startlöchern, dabei geht es um den Zugriff auf das im Südsudan liegende Öl, aber auch um andere Rohstoffe und um den Zugriff auf das fruchtbare Land.

Unsere außenpolitischen Forderungen

  • Keiner der Konflikte im Sudan kann mit Militär gelöst werden. Daher Konzentration auf rein zivile Konfliktbearbeitung und Beendigung der Beteiligung der Bundeswehr an UNMIS und UNAMID.
  • Die Bevölkerung im Süden wie im Norden braucht eine Entwicklungsperspektive.
  • Deutschland muss die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Norden wieder aufnehmen und sein Engagement verstärken, auch beim Aussöhnungsprozess zwischen Nord und Süd.
  • Für einen bedingungslosen Schuldenerlass für den Sudan.

Veröffentlicht am

28. Mai 2011

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