Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Kreislauf von Gewalt gegen Roma durchbrechen - keine Abschiebung ins Elend

Von Michael Schmid (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 72 vom März 2012 Der gesamte Rundbrief Nr. 72 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 608 KB)

Liebe Freundinnen und Freunde,

dieser Rundbrief erscheint um den Jahrestag der furchtbaren Katastrophe im japanischen Fukushima vor einem Jahr. Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011 verursachten einen Super-GAU. Ein Jahr dauert diese Katastrophe schon an und ist noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil: das Ende ist nicht absehbar. Am 11. März 2012 werden wir der Opfer gedenken und uns gegen die weitere Nutzung der Atomenergie wenden. In Deutschland, in Europa, weltweit.

Seit vielen Jahren setzen wir uns "für eine grundlegende Wende in der Energiepolitik" ein, wie wir es etwa 2006 in unserer Erklärung zum 20. Jahrestag des Super-GAUs von Tschernobyl formuliert haben, und damit dafür, "die fossil-atomare Energiewirtschaft vollständig abzulösen durch konsequente Energieeinsparung, durch Erhöhung der Energieeffizienz und vor allem durch die Nutzung eines umfassenden Energiemixes aus Erneuerbaren Energien." Siehe Erklärung für eine grundlegende Wende in der Energiepolitik . Diese Wende muss im großen Maßstab erfolgen. Allerdings setzt sie sich aus vielen kleinen Elementen zusammen. Nachdem wir vor dreieinhalb Jahren eine energetische Sanierung des Lebenshaus-Gebäudes durchgeführt haben, berichte ich in diesem Rundbrief über unsere Erfahrungen.

Flucht und Asyl

Diese Problematik hat für uns schon eine lange Geschichte. Es war im Jahr 1992, als wir in Gammertingen einen "Arbeitskreis Asyl" bildeten, mit dem wir Kontakte zu hier untergebrachten Asylsuchenden knüpften. Zufall oder nicht: Die damals in diesem Arbeitskreis Aktiven bildeten dann auch den Vorstand des im Jahr 1993 gegründeten Lebenshaus-Vereins. Vor diesem Hintergrund ist es wohl kein Wunder, dass das Thema Flucht und Asyl seither ständiger Begleiter für uns ist. Und das keineswegs als abstraktes Thema. Vielmehr haben wir durch vielfältige Kontakte zu Asylsuchenden und Flüchtlingen Einblick in das Leben von hier gestrandeten Menschen erhalten, in ihre Nöte und ihr oft schweres Schicksal.

Seit rund 20 Jahren haben wir zum Teil sehr enge Kontakte zu einigen Roma bzw. Askhali. Angehörige dieser Minderheiten wurden in den Kriegen des ehemaligen Jugoslawiens systematisch verfolgt und umgebracht. Von denen, die fliehen konnten, kamen etwa 30.000 nach Deutschland. Die meisten stammen aus dem Kosovo und leben seit über zehn, teilweise zwanzig Jahren hier. 2010 beschlossen Bund und Länder, dass rund 10.000 Angehörige dieser Minderheiten in den Kosovo abgeschoben werden sollen. Aktuell steht die Entscheidung der grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg an, ob der von ihr im vergangenen Sommer verfügte Abschiebestopp wieder aufgehoben wird und die rund 1.000 langzeitgeduldeten Roma aus Baden-Württemberg dann abgeschoben werden. Diese Entscheidung wird auch eine bundesweite Signalwirkung haben. Nach neuesten Informationen scheint diese Entscheidung leider zugunsten der Wiederaufnahme von Abschiebungen gefällt zu werden.

Keine Abschiebung ins Elend

Natürlich rufen drohende Abschiebungen bei den Betroffenen schwere Angstzustände hervor. Denn für Angehörige von Minderheiten bedeutet eine Abschiebung, dass sie in eine Situation hineingezwungen werden, die wieder Ausgrenzung und Diskriminierung, Hoffnungslosigkeit und unsägliches Elend bedeutet. Während die allgemeine wirtschaftliche Situation im Kosovo schon sehr schlecht ist, es wird von einer Arbeitslosenquote von rund 40 % ausgegangen, liegt diese unter den Roma nach unterschiedlichen Angaben zwischen 70 % und.98 %. Medizinische Versorgung ist fast nicht vorhanden bzw. nicht finanzierbar. Menschen, die im Kosovo einer Minderheit angehören, können kaum in Würde überleben. Und besonders für Kinder und Jugendliche bedeutet die Abschiebung in den Kosovo einen massiven Einschnitt in ihrer Entwicklung. Sie sind oftmals in Deutschland geboren und aufgewachsen, sehen selbstverständlich Deutschland als ihre Heimat an. Drei von vier abgeschobenen Kindern besuchen im Kosovo nicht mehr die Schule, u.a. weil sie die Sprache nicht sprechen. Gerade auch der Kinder und Jugendlichen wegen muss endlich Schluss sein mit solch unmenschlichen Abschiebungen!

Wir haben uns als Lebenshaus gerne und mit tiefer Überzeugung einer Kampagne des "Netzwerk rassismuskritische Migrationspädagogik" gegen die Abschiebung von Roma nach Kosovo angeschlossen. Siehe  Aufruf: PädagogInnen gegen Abschiebung von Roma in den Kosovo . Insbesondere für langzeitgeduldete Kinder und ihre Familien soll ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglicht werden.

Kreislauf von Gewalt gegen Roma durchbrechen

Erinnert werden soll in diesem Zusammenhang auch daran, dass Roma und Sinti in der deutschen und europäischen Geschichte immer wieder Opfer von aggressiver Diskriminierung und Verfolgung gewesen sind. Höhepunkt dieser Verfolgung war die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten, deren Rassenwahn etwa eine halbe Million Roma und Sinti zum Opfer gefallen sind. Daraus erwächst für Deutschland eine besondere historische und moralische Verantwortung. In unserem Land könnte jetzt endlich der Kreislauf der andauernden Diskriminierung, Vertreibung und der europaweiten Gewalt gegen Roma und Sinti durchbrochen werden, indem Roma nicht geschichtsvergessen und inhuman abgeschoben werden, sondern ihnen die Chance zur Integration in unsere Gesellschaft geboten wird.

Einer solchen humanen Perspektive steht aber leider ein in unserer Gesellschaft weit verbreiteter latenter oder gar offener Rassismus entgegen. Von Zeit zu Zeit erreichen uns Zuschriften - meist anonym - aus denen keinerlei Verständnis für das Leid von Menschen spricht, die ihre Heimat verlassen mussten, oft weil sie Bedrohung durch direkte Gewalt in Form von Krieg und politischer Unterdrückung bedroht waren. Viele andere sind betroffen von den Auswirkungen struktureller Gewalt in Form von ungerechten wirtschaftlichen Strukturen und der damit verbundenen Perspektivlosigkeit ihres Lebens.

Sofern Rassismus keine Rolle spielt bei der distanzierten bis ablehnenden Haltung gegenüber Flüchtlingen, so ist es zumeist eine Art "Nützlichkeitsschere" im Kopf, die trennt zwischen Menschen, die wir gebrauchen können und denen, von denen wir annehmen, dass wir sie nicht gebrauchen können. Diese Haltung nimmt z.B. der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion von Baden-Württemberg ein, indem er sagt, dass nur Roma-Familien nicht in den Kosovo abgeschoben werden, deren Kinder gut integriert sind und gute Noten schreiben. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns allerdings gerade auch um diejenigen sorgen, die eben nicht so funktionieren, dass sie nützlich für uns erscheinen, die aber trotzdem eine Lebensperspektive benötigen.

Um es deutlich zu sagen: Das Problem sind nicht die Roma, das Problem ist unsere Gesellschaft. Wenn Deutschland sich der Verantwortung diesem Volk gegenüber wirklich bewusst wäre, dann dürften diese Abschiebungen nicht stattfinden, und angesichts der Situation im Kosovo schon gleich gar nicht.

Ganz davon kann in der Aufnahme von Flüchtlingen und in der Begegnung mit ihnen und anderen Migranten auch eine Chance liegen. Das macht jedenfalls Ullrich Hahn in seinen "Thesen zu Flucht und Migration" deutlich, die wir in diesem Rundbrief abdrucken.

Das eine tun ohne das andere zu lassen

In einer Mail wurden wir dieser Tage aufgefordert, statt um Flüchtlinge sollten wir uns "erst mal ums eigene Land und Volk kümmern, … dann macht ihr etwas Vernünftiges". Nein, einer solchen nationalistisch verengten Sichtweise schließen wir uns nicht an. Wir versuchen, das eine zu machen, ohne das andere zu lassen. So unterstützen wir als Lebenshaus sowohl Flüchtlinge als auch andere Menschen. Unsere solidarische Unterstützung erhält, wer diese nötig hat und das völlig unabhängig davon, ob seine Vorfahren aus Deutschland stammen und seit wie vielen Generationen. Leiten lassen wir uns von der Einstellung, dass alles Leben in einer gegenseitigen Abhängigkeit, in einer Wechselbeziehung miteinander steht und uns das Schicksal eines anderen Menschen selber betrifft. Und dabei spielt dann die Zugehörigkeit zu Nationalität, Religion, Rasse und Geschlecht keine Rolle. Ganz in dem Sinne, wie es Martin Luther King ausgedrückt hat (siehe Zitat von M.L. King in nachfolgendem Kasten). Allerdings natürlich stark begrenzt durch das, was wir selber leisten können und was wir als sinnvoll ansehen.

Alles Leben steht in einer Wechselbeziehung miteinander.
Wir sind in einem unentrinnbaren System
der Gegenseitigkeit gefangen,
in ein einzigartiges Netzwerk des Schicksals gebunden.
Was immer den einzelnen direkt betrifft,
betrifft indirekt auch alle anderen.
Die ineinandergreifenden Strukturen der Wirklichkeit
erfordern unser Zusammenleben.
So ist unsere Welt geschaffen,
das ist ihr auf Wechselbeziehungen beruhendes Wesen.
Wir werden keinen Frieden auf Erden haben,
ehe wir nicht diese gegenseitige Abhängigkeit
allen Seins begreifen.

Martin Luther King

"Lebenshaus gestärkt, Bundeswehr aufgelöst!"

Außer den in diesem Rundbrief ausführlicher vorkommenden Themen bewegen uns weitere, die hier nur unvollständig aufgelistet werden: die "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" und die neue Kampagne "atomwaffenfrei.jetzt" zur weltweiten Ächtung aller Atomwaffen, die im März startet, der nach wie vor drohende Krieg gegen den Iran und die Auflösung von Bundeswehrstandorten. In diesen und weiteren Konfliktfeldern wollen wir möglichst etwas bewegen, uns für Alternativen einsetzen.

Bundeswehr und Bewegung, das sind Stichworte für noch etwas ganz anderes: Es gibt ja einige Aktive aus unserem Verein und unserem Umfeld, die sich auch dem Ausgleich und dem eigenen Wohlbefinden wegen laufend bewegen. Wir haben in unseren Rundbriefen schon öfter auf das Kilometer-Spiel und die dort mitmachende Gruppe "Lebenshaus" hingewiesen. Und was mich dabei sehr freut: inzwischen ist unsere Gruppe auf elf Läuferinnen und Läufer angewachsen. Siehe Gruppe "Lebenshaus" beim km-Spiel. Während wir stärker geworden sind, ist gerade die Gruppe "Bundeswehr" aufgelöst worden, weil sie nicht mehr die Mindestgruppenstärke von vier Personen erreichen konnte. Zumindest hier können wir schon mal vermelden: Lebenshaus bzw. Friedensarbeit gestärkt, Bundeswehr aufgelöst! In der anderen Realität werden wir wohl noch eine Weile dran arbeiten müssen, bis es soweit ist…

Bedanken möchte ich mich für die vielfältige Unterstützung, die so großartig war, dass letztlich auch ein zum Jahresende drohendes Defizit hat noch abgewendet werden können. Besonders freut mich die bereits erfolgte bzw. zugesagte Unterstützung für das Projekt "Friedensarbeit Grundeinkommen", mit dem beabsichtigt ist, mich zumindest in Teilzeit bei unserem Verein anstellen zu können. Bis es zu einer solchen Anstellung kommen kann, fehlt zwar noch was, aber ich bin zuversichtlich, dass es noch dieses Jahr klappen könnte.
Herzlichen Dank für Ihre und Eure Solidarität!

Schalom - Salaam

Euer / Ihr

Michael Schmid

Fußnoten

Veröffentlicht am

12. März 2012

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